Zum Weltfrauentag am 8. März postete die Mode-Bildungsplattform @1granary auf Instagram drei schwer zu verdauende Wahrheiten aus der Fashion-Welt. "Ich glaube nicht an Mutterschutz", soll ein Arbeitgeber seiner Chefdesignerin für Damenmode gesagt haben. "In der Modebranche bekommen Männer (Kreativdirektoren) eher eine zweite, dritte oder sogar vierte Chance, während Frauen durchgehend exzellent sein müssen, um erfolgreich zu sein", liest sich der zweite Post. "Wenn Frauen es doch in die Branche schaffen, stellen sie normalerweise fest, dass sie gegen 'mittelmäßige Männer' antreten müssen", heißt es in der Bildunterschrift. "Frauen sind in der Ausbildung überrepräsentiert, aber sie steigen in ihrer Karriere im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen einfach nicht weiter auf", erklärt der dritte Post. Würde man darauf hören, was Frauen wirklich tragen wollen und danach handeln, dürften diese Aussagen nicht so zutreffend sein, wie sie es immer noch sind.
Frauen machen 74 Prozent der Studierenden in Modekursen aus, aber nur 12 Prozent der Chefdesignerinnen bei Top-Marken. "Wir werden wissen, dass es Gleichberechtigung gibt, wenn eine inkompetente Frau Kreativdirektorin ist. Genauso wie es schon viele inkompetente Männer waren", erklärte Lucien Pagès, Gründer der Kommunikationsagentur @1granary. Die Frauen, die es tatsächlich an die Spitze eines Modehauses schaffen, stehen unter enormem Druck. Eine einzige als schwach bewertete Kollektion kann das sofortige Aus bedeuten - und schon wird die Direktorin von einem Kollegen ersetzt.
Dabei sind es meist Frauen oder weiblich gelesene Personen, die Mode entwerfen, die andere Frauen tatsächlich gerne tragen; für eine lange Zeit und zu unterschiedlichsten Anlässen. Sie kennen den weiblichen Körper, wissen, wie Frauen sich im beruflichen oder privaten Kontext fühlen oder fühlen wollen. Es ist, überspitzt formuliert, wie in einer stereotypen Beziehung: Die Männer driften in Genie-artige Zustände und kreieren Kollektionen, die nie jemand tragen wird, der kein blutjunges Supermodel ist. Die Frauen übernehmen die Care-Arbeit, stecken zurück, was irre Designs angeht und sorgen dafür, dass Menschen jeden Alters etwas zum Anziehen haben.
Vom Anzug bis zum Tutu
Während der Pariser Modewoche zeigten drei Modehäuser die Debüt-Kollektionen ihrer neuen Kreativdirektoren. Julian Klausner entwarf das erste Mal für Dies van Noten, Haider Ackermann für Tom Ford und Sarah Burton für Givenchy. Alle drei Shows bekamen positives Feedback, doch gerade Sarah Burton wurde für ihre Designs gefeiert – vor allem von Frauen.
"Es ist fast so, als würden Frauen in Positionen mit kreativer Macht bei Damenmode gehören", schrieb Trendanalystin Mandy Lee. Jede Frau könne in Burtons Kollektion etwas finden – vom mädchenhaften bis zum klassischen Stil, von Jackett bis Tutu. Burton kreierte ein Minikleid, das mit unzähligen Puderquasten und Etuis aus der Schönheits-Linie der Marke besetzt war. Sie erweckte den dreidimensionalen Schal, den Hubert de Givenchy 1952 für sein Haus entwarf, zu neuem Leben. In ihrem Universum wurde er zu breitschultrigen, aber taillierten Mänteln in Pastellgelb oder Tiermustern kombiniert.
Die Sanduhr-Silhouette, die so ziemlich jedem steht, dominierte die Kollektion. In klassischen Anzügen, langen Wollmänteln, kurzen Lederjacken-Kleidern und schwarzen Kostümen wurden ausladende Schultern und kurvige Ärmel durch enge Taillen ausgeglichen. Ein voluminöser Trenchcoat mit schmaler Mitte könnte ein Stück sein, das im Schrank jeder Frau, Alter und Figur egal, gut aufgehoben wäre. Auch zwei Models, deren Maße über die der klassischen Modelle hinausgingen, liefen für Givenchy – in Paris eine Seltenheit.
Schneiderkunst aus einer weiblichen Perspektive: Burton zeigte die Verschmelzung und Gegenüberstellung vermeintlich maskuliner Techniken und femininer Formen. Über die gezeigten Netzkleider kann man sich streiten. Aber die eleganten Minikleider, die einem taillierten, am Körper hochgerutschten und verkehrt herum getragenen Blazer glichen, waren einzigartig.
Asymmetrische Schnitte, eiförmige, bestickte Mäntel und am Hals geraffte, weit in geometrischen Falten fallende Kleider sieht Sarah Burton ebenfalls im kommenden Winter. "Frauen sind facettenreich. Ich entwerfe für alle Aspekte des Lebens einer Frau", erklärte die neue kreative Leitung. Auch, wenn sie sicher einen Blick ins Archiv des französischen Modehauses geworfen hatte, zeigte die Designerin vor allem das, was sie kann. Was sie in 13 Jahren bei Alexander McQueen gelernt hat. Mit ihrer ersten Kollektion lenkte sie Givenchy in eine neue Richtung, die vor allem von Frauen mit Vorfreude beobachtet wird. Chic, aber einfach zu tragen.
Haider Ackermanns Debüt für Tom Ford war ebenfalls von großem Beifall begleitet. "Ich hoffe, ich habe euch alle verführt", sagte der kolumbianisch-französische Designer nach seiner ersten Show. Er präsentierte seine Vision von subtiler Sexiness, die nie ins Vulgäre abrutschte, sondern Glamour großschrieb.
Nichts fehlt - außer dem weiblichen Blick
Hochgeschlossene, den Körper umschmeichelnde Maxi-Kleider, scharf geschnittene Anzüge, bis zum Beckenknochen geschlitzte pastellene Roben. Ein Highlight waren sicher die Trompe-l’œil-Kleider aus "falschem" Krokodil, aus vielen tausend Perlen zusammengesetzt.
Auch Julian Klausner für Dries Van Noten zeigte eine vielversprechende erste Kollektion für das von Insidern und Langzeit-Fans geliebte Modehaus. "Ich wollte meiner Fantasie ein wenig freien Lauf lassen und mit einigen Stücken etwas kraftvoller werden. Aber ich hatte immer im Hinterkopf, dass es um eine Garderobe geht – diese Stücke sollen im echten Leben existieren und flexibel tragbar sein", sagte er am Tag vor der Modenschau.
Es gab also nicht wirklich viel, was bei diesen beiden Neuanfängen gefehlt hätte. Außer eben dem weiblichen Blick. Und das ist sogar mit Daten belegbar. Der Mode-Anaylse-Account @databutmakeitfashion veröffentlichte am 8. März eine neue Statistik. Demnach waren während der aktuellen Pariser Modewoche Kollektionen von weiblichen Kreativdirektoren 51 Prozent beliebter als die ihrer männlichen Kollegen. Neben den Designs von Sarah Burton etwa auch die dritte Kollektion von Chemena Kamali für Maison Chloé. Würde man sich an diesen harten Fakten orientieren, sollte doch mindestens ein Gleichgewicht an der Fashion-Spitze geschaffen werden. Die Zahlen sprechen für sich.