Superyachten

Meeresungeheuer des Kapitalozäns

Nichts symbolisiert die Ungleichheit in der heutigen Welt so sehr wie die Superyacht. Der Soziologe Grégory Salle hat ein kluges Buch über die schwimmenden Schlösser geschrieben 

Einmal volltanken macht knapp 1,5 Millionen Dollar. Die 118 Meter lange, von Stardesigner Philippe Starck entworfene Motor-Yacht "A" des russischen Bankers Andrei Melnitschenko schluckt eben 2000 Liter Treibstoff in der Stunde. Trotzdem geht die Annahme komplett fehl, Kinder hätten einen 110 Millionen Dollar teuren Basquiat auf einer Yacht aus Protest wegen mangelnder Anstrengungen beim Klimaschutz mit Milch getränkten Cornflakes beworfen und damit ruiniert. Nein, wie "Le Monde" am 17. August 2019 berichtete, gefiel ihnen der schwarze Totenkopf auf blauem Grund nicht, er ängstigte sie, also schossen sie ihn ab.

Die Manieren dieser "letzten Generation" lassen entschieden zu wünschen übrig. Wobei sie sich sicher nicht in der Rolle der Klimaretter sehen. Sie sehen sich als Erben, als zukünftige Besitzer jener Superyachten von 80 bis 180 Metern Länge, von denen der gerade ins Deutsche übersetzte Essay des französischen Soziologen Grégory Salle über "Luxus und Stille im Kapitalozän" handelt.

Ob es sie interessiert, dass eine durchschnittliche Superyacht im Jahr 7020 Tonnen CO2 emittiert? Dass ihr persönlicher Pro-Kopf-Ausstoß bei 8190 Tonnen liegt, während er weltweit fünf Tonnen beträgt und selbst der durchschnittliche Deutsche, der mehr als 60 Prozent über dem Weltniveau emittiert, am Ende nur auf vergleichsweise Schlappe 11,2 Tonnen kommt?

Yachten mit Staunen begegnen

Angesichts dieser Zahlen möchte man dem Beitrag der "Süddeutschen Zeitung" zum Thema Superyachten, auf den man beim Googeln im Netz stieß, unbedingt beipflichten. Dort liest man, es gelte Superyachten "mit Staunen zu begegnen". Der "bescheidensten aller menschlichen Regungen", denn wie die SZ weiß, "einem Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan seine Rekordhalterin Azzam zu neiden, da spielt man doch deutlich oberhalb der eigenen Neid-Liga".

Aber sollte einen nicht Wut erfüllen hinsichtlich dieser Rekordhalterin bei Umwelt- und Klimaschäden? Allein die 300 größten der insgesamt 6000 Superyachten weltweit emittieren, wie Salle einer 2019 veröffentlichten Studie von US-Forschern entnimmt, im Jahr mehr CO2 als die über 10 Millionen Einwohner Burundis. Und sind wir wirklich neidisch, wenn die Superyachten durch ihr rücksichtsloses, inzwischen gegen Gesetze verstoßendes, freies Ankern die Neptungraswiesen im Mittelmeer zerstören? Die als Erosionsschutz, Artenreservoir und Sauerstoffproduzent für den Erhalt seines Ökosystems unverzichtbar sind?

Der empirisch gestützte Befund, dass die Superreichen ständig bestehende Gesetze verletzten, ohne dafür belangt zu werden, weil ausgerechnet in ihrem Fall, anders als bei der breiten Masse, immer die Mittel zur Durchsetzung des Rechts fehlen, benennt Salle mit Michel Foucault  als "Verwaltung der Gesetzwidrigkeiten", in deren Differenzierungen sich Klassenherrschaft manifestiert.

Superyachten sind Superzeichen

Superyachten sind so betrachtet Superzeichen der neoliberalen Vorstellung vom Dominium der privaten Eigentums- und Verfügungsrechte, das es vor dem Imperium, verstanden als die Welt der Politik und des Rechts, zu schützen gilt. Superyachten sind Sinnbilder des entfesselten Kapitalismus, wie Salle selbst sagt: "In ihnen kondensieren wesentliche Merkmale dessen, was unsere Epoche ausmacht: die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit, die Beschleunigung der ökologischen Katastrophe, der Fortbestand juristischer Ungerechtigkeit."

Die Kriegsflotte der Kunstsammlersuperyachten, die noch vor Corona alle zwei Jahre zu Biennale-Zeiten den Canal Grande durchpflügte, um vor den Giardini zu ankern, nur unter dem Aspekt des demonstrativen Konsums zu betrachten, führt in die Irre. Ihre Hauptfunktion ist eine andere: die größter Privatheit, selbst im digitalen Zeitalter von Satellitenkommunikation abgeschirmt zu sein von jeder Möglichkeit der Überwachung und Kontrolle.

Dass die Luxusyacht, anders als das Schloss, mobil ist und damit exterritoriale Zone par excellence, gehört zu ihrem wesentlichen Ausstattungsmerkmal, das sie in politischer wie ökonomischer Hinsicht extrem leistungsfähig macht. Arbeitsrecht, Steuerrecht – was bitte soll das sein? Probleme, die hier auftauchen, verschwinden schnell im juristischen Durcheinander der Regelungen in internationalen Gewässern, der Registrierungen und Eigner. Immerhin das haben die Schwierigkeiten bei der Beschlagnahmung der Oligarchenyachten in Folge von Ukrainekrieg und Russland-Sanktionen öffentlich gemacht.

Kompletter Bockmist

Grégory Salles Überlegungen zum Phänomen der Superyacht gewinnen nicht zuletzt, weil sie geschickt zwischen Literatur, Journalismus und Sozialwissenschaften wechseln. Bei Salle gibt es keine akademische Sprache, nach Selbstauskunft bedient er sich beim Schreiben "der ersten Person, der Prosopopöie und Anflügen von Spott". So lässt sich elegant darlegen, welch kompletter Bockmist diese Yachten sind.

Merkwürdigerweise kommt man sich nämlich schnell missgünstig vor, selbst nur bei dieser Buchbesprechung, legt man die Schadensbilanz dieser eindrucksvollen Meeresungeheuer offen, deren jährlicher Betrieb Ausgaben verursacht, für die die gesamten Schulden der sogenannten Entwicklungsländer getilgt werden könnten. Glücklicherweise witzeln dann aber Insider wie der Informatiker und ehemalige Wirtschaftsanwalt Bill Duker: "Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen."