Groß, aber leider nicht imposant: Katharina Fritschs Skulpturen verlieren sich in Hamburg

Gleich einem Schauspieler-Ensemble, das sich bereits vor der Aufführung zeigt, stehen am Eingang lebensgroße Statuen beieinander. Die schwarze „St. Katharina“ und die neongelbe Muttergottes, der massige Mann mit Keule, „Riese“ betitelt, der heilige Michael und die anderen treten später in wechselnden Konstellationen erneut auf. Das Stück, das Katharina Fritsch in den Hamburger Deichtorhallen zum Besten gibt, zielt, so scheint es, auf Wahrnehmungseffekte ab: Wie kann ich bedeutungsvollen und -armen Dingen Sinn nehmen oder geben? Wie kann ich sie mit wenig Aufwand verwandeln?

Vielleicht hätte die Künstlerin sich für ihr Theater der Verwirrungen eine kleinere Bühne suchen sollen. 2000 Quadratmeter und die enorme Höhe des eins­tigen Großmarkts gilt es in den Griff zu bekommen. Leichter ließ sich das hübsch proportionierte Kunsthaus Zürich bespielen, wo die Werkschau zuvor lief (gemeinsam konzipiert von der dortigen Leiterin, Bice Curiger, und dem ehemaligen Chef der Deichtorhallen, Robert Fleck). Der Besucher kam die Treppe hoch, und da stand der unappetitlich blassgelbe Koch, hinter ihm eine Schwarz-Weiß-Fotografie mit einer Gaststätte darauf. Ein schöner Scherz, dieser Empfang wie in einem Wirtshaus. Es folgten stimmungsvolle Räume, geschlossene Szenerien waren eher möglich.

In Hamburg wird man durch alberne Absperrbänder zu der verloren dastehenden Figurengruppe gelenkt. Die Dimensionen des Areals fressen jede ausgreifende, offensive Körperlichkeit auf – obwohl gerade diese viele von Katharina Fritschs Skulpturen erst interessant macht. Respekt einflößen sollte etwa die aufgesockelte Elefantenkuh aus Polyester, Holz, grüner Farbe und reichlich Übermut, mit der die heute 53-Jährige 1987 auffiel. Es ist der Abguss eines besonders wilden Exemplars namens Bibi, das seinen Wärter tottrampelte – zu deuten als radikal feminis­tisches Statement, auf jeden Fall aber als Denkmal für unzähmbare Naturgewalten. In den Deichtorhallen wirkt die Plastik imposant, allerdings nicht wie im sprichwörtlichen Porzellanladen.

Eine vergebene Chance, Fritschs vorige institutionelle Einzelschau hierzulande liegt schließlich eine Weile zurück. Immerhin lässt sich endlich studieren, wie es für die Künstlerin weiterging nach ihren Erfolgen der 80er-, 90er-Jahre, als ihre figurativen Arbeiten präsenter waren als heute; von der Venedig-Biennale 1995, wo sie Deutschland vertrat, bis zu den „skulptur projekten“ in Münster. Am augenfälligsten zunächst: Fritsch benutzt nun auch großformatige, ein- oder zweifarbige Siebdrucke, häufig von Ansichtskarten, die sie selbst erhalten hat. Sie können den stets monochromen Standbildern als eine Art Kulisse dienen.
Fragmente von Landschaft, Architek­tur, Interieur und dann natürlich die menschlichen Gestalten werden – wie probehalber – miteinander arrangiert. Abbildungen von schäumendem Bier, Surfern, Pin-up-Boys, Parks, Schwimmbädern, Zeitungsillustrationen aus dem 19. Jahrhundert oder Abgüsse von verkleideten Personen: Alles erscheint anfangs gleichwertig, wird bloßes, bedeutungsleeres Material, um sich schließlich, im Für- und Gegeneinander, neu darzustellen. Dieses Prinzip lassen auch schon frühere Werke erkennen, zum Beispiel „Messekoje“: Die Heiligenfiguren in Ecknischen eines weißen Würfels machen den sachlichen Kubus zu Sakralarchitektur.

Offenbar geht es Katharina Fritsch vermehrt um Gegensätze, die der Kopf nicht recht zusammendenken mag (ein vergrößertes Modell eines Gehirns stellt sie auf einem Seziertisch aus). So erzeugen Perspektive und Fläche, Skulptur und Grund Spannung: Der „Riese“ vor einer Bergansicht, „St. Katharina“ vor Blattwerk, Skelettfüße vor einer Gartenszene. Die Plastiken treten aus dem Bild heraus und bleiben doch Teil davon.

Tatsächlich theaterhaft führt Fritsch dem Publikum vor, wie lebendige Natur und erstarrte Materie, Erlebnis und seine mediale Form eins werden. In den 80ern faszinierte sie die Produkthaftigkeit von Religion – tiefe Gefühle, ausgedrückt in seriell gefertigten Andachtsobjekten. Ein Wühltisch mit auf Tüchern gedruckten Ikonen und sogenannte „Warengestelle“ mit Madonnen sind auch in Hamburg zu sehen.
Aktuell untersucht die Künstlerin den Tourismus, in dem Realität und Klischee auf ähnliche Weise aneinanderkleben. Zwischen Stellwänden entwirft sie ein surreales Kitsch-Paris. Verschiedenfarbige Regenschirme hängen von der Decke, an den Wänden Postkartenmotive, und im Zentrum der Installation steht ein absurdes, vergrößertes Souvenir: eine Frau mit Hund, aus Muschelformen gebastelt.

Katharina Fritsch hat den Trash ins Herz geschlossen, und manch einer mag in den Artikeln der Reise- oder Frömmigkeitsindustrie wirklich Abgründe entdecken. Doch die Reihung von zu Großformaten aufgeblasenen trivialen Sujets ermüdet schnell. Verlässt der Besucher die Ausstellung, muss er wieder an der Figurengruppe vorbei. Sie ist ihm seltsam fremd geblieben.

Deichtorhallen Hamburg, bis 7. Februar 2010. Zur Ausstellung ist ein Katalog bei Hatje Cantz erschienen: 148 Seiten, 35 Euro