Hannah Arendt in Berlin

Die Dinge der Denkerin

Was sagt Hannah Arendts Kleidung über ihr Verständnis von Weiblichkeit? Half das Zigarettenetui beim Denken? Das DHM in Berlin nähert sich der großen Philosophin über Objekte aus ihrem Besitz

Sie besaß ein mondänes Pelzcape mit ihrem eingestickten Monogramm "H A B", eine jadefarbene Perlenkette und eine elegante Aktentasche: All das sind Objekte, die durch ihre Trägerin, Hannah Arendt, mit Bedeutung aufgeladen wurden. Eigentlich sollten sie gerade in der Ausstellung "Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin zu sehen sein. Sie stammen aus der großzügigen Schenkung von Edna Brocke, der Großnichte der Theoretikerin des Totalitarismus. Aufgrund des Corona-bedingten Museums-Shutdowns muss man sich derzeit mit einem Online-Einblick in die Schau begnügen. Ein genaueres Hinsehen lohnt sich natürlich trotzdem.

Was bedeuten diese alltäglichen Objekte? Geht es hier um eine auratische Aufladung der Dinge? Nachfrage bei Monika Boll, Philosophin und Kuratorin der Ausstellung: "Ich würde nicht von Magie oder Aura sprechen. Andererseits sind diese Objekte aber auch mehr als reine Alltagsgegenstände. So ist Arendts Zigarettenetui mehr als nur ein Zigarettenetui aus der Massenproduktion von Dunhill Ltd, wenn wir wissen, dass Rauchen und Denken für Arendt untrennbar zusammengehörten. Deshalb gab sie das Rauchen trotz Herzinfarkt nicht auf."

Eigentlich sollte die Ausstellung am 26. März feierlich eröffnet werden. Die Covid-19-Schutzmaßnahmen verhinderten das jedoch. Online erhalten die Betrachter einen Eindruck von der Ausgestaltung der Räumlichkeiten sowie den gezeigten Objekten der Sammlung. Vor allem aber können sie der Denkerin in Hörcollagen, produziert von RBB-Kultur, lauschen.

Ein Jahrhundert, so reich an Gewalt

Flankiert wird die Ausstellung von einem vorzüglichen Begleitband, der versucht, Arendt in dieses an gewalttätiger Geschichte so reiche 20. Jahrhundert einzuordnen. Er umfasst Essays zu ihrer Rolle bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, ihren Totalitarismusstudien, aber auch ihrer Haltung zu den studentischen Protestbewegungen in den USA, Frankreich und natürlich Deutschland. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass ihr die deutsche Studentenbewegung suspekt war. Warum beschäftigten sich die Studenten mit dem Vietnamkrieg, nicht aber mit der Frage der Oder-Neiße-Linie, die für den deutschen Staat und das Verhältnis zwischen Ost- und Westmächten von so zentraler Bedeutung war?

Ebenfalls im Begleitband enthalten und in der Ausstellung zu sehen sind Fotografien von Fred Stein, jenem in Dresden geborenen Fotografen, der wie Arendt zunächst nach Paris emigrierte, und der unser Bild von Arendt so entscheidend prägte. Man sieht die Philosophin lässig auf ihren Arm gestützt daliegen. Die Haltung konterkariert den Eindruck, den ihre Kleidung erweckt. Der dunkle Rock aus festem Stoff, die noch dunklere Bluse, eine Brosche, die ihren Kragen eng schließt: Ihre Garderobe wirkt elegant und zweckmäßig zugleich, jedoch keineswegs leger. In ihrer Hand glimmt, natürlich, eine Zigarette.

Zahlreiche Kontaktabzüge machen nachvollziehbar, wie das Bild dieser Denkerin entsteht: Welche Fotografien verworfen, welche ausgewählt werden. Die Broschen und Perlenketten auf den Fotos begegnen uns als Objekte aus der Schenkung wieder.

Gibt es eine Kleiderordnung für weibliche Intellektuelle?

Die Gegenstände sind zu sehen, so Kuratorin Boll, weil sich mit ihnen Fragestellungen verknüpfen lassen. "Uns hat interessiert, ob es eine soziale Konvention, sozusagen eine soziale Kleiderordnung für weibliche Intellektuelle gibt und wie Arendt damit umgegangen ist." Boll verweist auf das in der Ausstellung gezeigte Interview mit Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, unter anderem bekannt für ihre Analysen zur Mode. Vinken sagt darin: "Ich finde, dass das Hannah Arendt auf eine unglaublich elegante Weise gelungen ist, weil sie ihre Weiblichkeit weder versteckt, noch in den Schatten gestellt hat. Sondern sie ganz selbstverständlich angenommen hat und ganz in sich ruhend als Frau Intellektuelle war."

So zeigt die Ausstellung Arendt nicht nur als Denkerin im 20. Jahrhundert, sondern auch ihre Positionierung als weibliche Intellektuelle. Die Ausstellung fügt ihr jedoch auch ungeahnte Facetten hinzu. So zeigt sie Arendts Kamera, die sie oft auf ihren Reisen begleitete. Wofür interessierte sie sich? Monika Boll: "Arendt hat fast ausschließlich Menschen fotografiert, liebevolle Porträts von Freundinnen und Freunden und Verwandten gemacht. Ich denke, darin spiegelt sich, welchen Stellenwert Freundschaften in ihrem Leben hatten. Für Hannah Arendt waren sie mehr als das Vergnügen der Geselligkeit. Mit ihren zahlreichen Freundschaften spannte sie ein Netz über die Abgründe von Flucht und Vertreibung." Allerdings handelt es sich nicht nur um Schnappschüsse. "Mit Karl Jaspers und Martin Heidegger hat sie offenbar richtige Fotositzungen gemacht, da es von beiden Männern Serien gibt."

"Mein lieber Frosch, guck Dir das gut an"

Und wie steht es um das Verhältnis zu ihrer Großnichte, Edna Brocke, mit der sie von 1956 bis 1975 einen Briefwechsel unterhielt (und die ebenfalls bei den Eichmann-Prozessen zugegen war)? In der Ausstellung wird eine an die Großnichte gerichtete Postkarte aus dem Museo Nazionale in Neapel gezeigt, sie enthält eine Darstellung von Hermes, Eurydike und Orpheus. "Mein lieber Frosch, guck Dir das gut an, es ist eines der Meisterwerke. Die Geschichte von Orpheus & Eurydice kennst Du - - hoffentlich. - - […] Es grüsst Dich und die Familie von Herzen - - Deine Hannah"

Diese niedlich-vertraute Anrede der Nichte, sie passt so gar nicht ins Bild der ernsten Kettenraucherin. Zum Glück, schließlich soll eine Ausstellung nicht einfach das Bild bestätigen, das man sich bereits gemacht hat. Wie sehr schmerzt es da die Kuratorin, dass diese Ausstellung vorerst nicht physisch zugänglich ist?

"Den physischen Rundgang durch eine Ausstellung kann kein Online-Angebot ersetzen, das ist uns sehr bewusst. Alle dreidimensionalen Objekte bleiben hier zweidimensional, auch ist ein flanierendes Wahrnehmen und Sich-Überraschen-Lassen physisch-räumlich besser möglich als digital. Außerdem muss man sich auch die wunderbare Architektur und Gestaltung von chezweitz unbedingt im Raum erwandern. Was wir aber anbieten können, ist, in die Themen unserer Ausstellungen einzutauchen, um sich auf den geplanten Besuch - hoffentlich bald - schon vorab etwas einzustimmen."