Ausstellung in Berlin

Kim Kardashian und die Normalos aus dem Mittelalter

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Was sagt das Gesicht von Kim Kardashian über unsere Gegenwart aus? In der Berliner Galerie Heidi umkreisen Benjamin Lallier und Christophe de Rohan Chabot neoliberale Ikonen und die trügerische Transparenz von Social Media

Das perfekte Gesicht kann jeder haben. Es ist weniger eine Frage der richtigen Gene als eine Frage der richtigen finanziellen und digitalen Mittel. Hat man diese, kann man sein Gesicht auch ohne chirurgische Eingriffe zu präziser Symmetrie, messerscharfer Kontur und seidiger Faltenfreiheit augmentieren lassen.

Das "Kim K Package" ist hierfür vielleicht ein guter, allumsorgender Einstieg auf dem Weg, einen Face-Filter auch in Realität zu tragen. Benannt nach der Erfinderin des SoMe-Körperkultes, Kim Kardashian, setzt sich das Schönheitspaket aus 3-5 Millilitern Hyaluronsäure zusammen, die in die Kieferpartie, Kinn, Lippen, Wangen und Nasenrücken gespritzt wird. So wird ein kultivierteres Gesicht versprochen als das, mit dem man geboren wurde. In der Ausstellung "Ok" mit Benjamin Lallier und Christophe de Rohan Chabot in der Galerie Heidi in Berlin hängt an einer massiven Betonsäule im Raum eine Nahansicht von Kim Kardashian. Der quadratische Print "Untitled (Kim Kardashian)" erinnert an die "Zoom-in"-Funktion auf Instagram, die es erlaubt, in Großaufnahme an Gesichtern und Körpern entlangzufahren und digitale Verschönerer wie Filter oder "Facetune" (oder beides) in Posts zu erspähen.

Neben Kim Kardashian stellt de Rohan Chabot auf die gleiche Weise sieben weitere, aus Neoliberalismus-kritischer Sicht zumindest schwierige, Persönlichkeiten aus. Dazu gehören Kanye West, Elon Musk, Jeff Koons und Francois Pinault, die grinsend (wahlweise mit oder ohne Zähne) oder scheinbar neutral in den Raum starren.

Milliardenschwere Individuen kommen in jede Nische

Bei den restlichen auf Aluminium gedruckten Personen geht es aber wohl weniger darum, perfekte Gesichtsmerkmale zu identifizieren, als darum, wie diese millionen- und milliardenschweren Individuen nicht nur Massenkultur beeinflussen, sondern ziemlich alles Vorstellbare ­– und eben auch nischige Kulturkreise. Sonst würden sie wohl nicht in einer Galerie in Berlin gezeigt werden, die es zwar erst seit letztem Jahr gibt, die aber bereits Akeem Smith, Hanne Darboven, Michael E. Smith und andere ausgestellt hat.

Die Schau "Ok" dreht sich um eben diese neoliberalen Ikonen und ihre Wirkungssphären. Dabei beschäftigt sich de Rohan Chabot aber nicht nur mit ihnen, sondern nimmt sie wortwörtlich unter die Lupe, inspiziert sie, befragt sie und durchdringt sie bildlich. Benjamin Lallier kommentiert dagegen noch expliziter und auch direkt sprachlich. Seine drei Arbeiten "Proto Hardcore Social Misconduct 1,3,4" zeigen mittelalterliche Figuren aus der Durchschnittsgesellschaft, die berauscht tanzen. Sie stehen somit dem zeitgenössischen – oder, wenn man an Elon Musk denkt, fast schon cyborgischen – "einem Prozent" unserer Bevölkerung spöttisch kontrastierend gegenüber.

Während die Reichen routiniert und berechnend in ihrem geschlossenen Rahmen von der Leinwand lächeln, bewegen sich die “Normalen“ hemmungslos auf ihrem Screen, der aus einer transparenten Plane besteht. Diese ist jedoch nicht vollkommen durchsichtig, sondern eher ein trüb-milchiges Gewässer, auf denen die schwarz-weißen Figuren schwimmen. Diese erinnern wiederum an mit Scheren ausgeschnittene Charaktere aus Comicbüchern.

Kim Kardashians Kleiderschrank als kuratierte Schau

Lallier weist damit auf die trügerische Transparenz von sozialen Medien hin. Wenn Kim Kardashian eine Story aus ihrem begehbaren Kleiderschrank postet oder Fotos veröffentlicht, auf denen sie von einer Schar an Menschen für ein Event physisch perfektioniert wird, mag dies zwar so wirken, als könnten wir - beziehungsweise ihre 295 Millionen Followerinnen und Follower - daran teilhaben. Letztlich ist diese Inszenierung aber genauso geschickt kuratiert wie die Ausstellung bei Heidi.

In einer Sprechblase einer der Figuren von Lallier heißt es: "It’s easy to be happy". In den Gedankenblasen der zwei männlichen Figuren, die die weibliche Sprechende umgeben, ist "Very very easy" und "I am happy" geschrieben. Alle drei Gesichter sind jedoch kläglich verzogen. Es ist nun einmal sehr, sehr einfach, Zufriedenheit in der virtuellen Welt raffiniert zu kuratieren – ob durch ein vermeintlich zwangloses Foto vom Clubabend oder Spiegelselfie mit neu unterspritzten Lippen.

In Instagrams quadratischem Feed kann jeder zu einer kleinen Berühmtheit werden, die zumindest im Wirkungsraum ihrer Followerschaft beeinflusst. De Rohans Chabots Arbeiten schauen hinter das verführerische Lächeln der Ikonen. Denn dieses kann einem beim Gedanken daran, für welche neoliberale Konsumlogik die Influencer der Gegenwart wirklich stehen, schonmal aus dem Gesicht rutschen.