Henry van de Velde in Chemnitz

Vom Haus bis zum Handtuch

Henry van de Velde wollte die Welt schöner und gerechter machen. Eine Doppelausstellung in Chemnitz zeigt zum Auftakt des Kulturhauptstadtjahres die Vielfalt seines Schaffens

Neben der Architektur und den Möbeln entwarf Henry van de Velde für seinen Bauherren jedes Detail des Hauses gleich mit: Garten, Leuchten, Besteck, Tapeten, Stoffe, Teppiche – und sogar Kleider für dessen Frau. Eine derart konsequente Umsetzung der Idee eines Gesamtkunstwerks wäre heute kaum denkbar (und würde vermutlich als übergriffig empfunden werden). Das Vertrauen des Auftraggebers in den Architekten kann als ebenso außergewöhnlich angesehen werden wie die Vielseitigkeit des 1863 in Antwerpen geborenen Universalkünstlers.

Vor über 120 Jahren leitete die Reformkunst den Übergang zur Frühmoderne ein. Dass das Werk van de Veldes im Rahmen des Europäischen Kulturhauptstadtjahres 2025 in Chemnitz zum Thema der ersten großen Ausstellung gemacht wurde, ist naheliegend. Nicht nur, weil van de Velde dort eine bahnbrechende Villa hinterlassen hat. Sondern auch, weil sein künstlerischer Ansatz für die Stadt und Region heute wieder aufschlussreich sein könnte. Van den Velde ging es nach Eigenaussage um die "Wiederkehr der Schönheit auf Erden und den Anbruch einer Ära sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Würde". Dieser Anspruch ließ sich jedoch nicht einlösen.

Auch wenn van de Veldes Werk oft dem Jugendstil zugeordnet wird, umfasst es weit mehr, wie die Chemnitzer Doppelausstellung zeigt. Sie wird an zwei Standorten präsentiert: den Kunstsammlungen am Theaterplatz und im Henry van de Velde Museum in der Villa Esche, die er selbst entwarf. Das Wohnhaus gilt als sein Schlüsselwerk in Sachsen. Seit der behutsamen Renovierung im Jahr 2001 bietet das Gebäude – mehr noch als ein herkömmliches Museum – die Möglichkeit, wirklich zu erleben, was van de Veldes Kunst ausmacht: Sein Schaffen, beeinflusst von William Morris und der Arts-and-Crafts-Bewegung, schlägt eine intellektuelle und künstlerische Brücke zur Moderne, wie sie sich später im Bauhaus (einem van-de-Velde-Gebäude!) formierte. Bemerkenswert ist, dass Walter Gropius, der Gründer des Bauhauses, van de Velde ausdrücklich als Wegbereiter würdigte.

Ein "Netzwerker am Puls der Zeit"

Letzterer, der an der Weimarer Kunstgewerbeschule wirkte und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes war, erlangte durch diese Aktivitäten überregionale und schließlich europäische Bedeutung. Im Jahr 1926 gründete er in Brüssel die Hochschule La Cambre. Zu seinem Freundeskreis zählten Persönlichkeiten wie Richard Riemerschmid, Marianne Brandt und Max Bill. Als "Netzwerker am Puls der Zeit" bezeichnet ihn die Kuratorin Anika Reineke deshalb treffend.

Obwohl er eine Verbindung von Kunst und Industrie suchte, fand der Architekt diese vor allem im Austausch mit Industriellen. Der Schritt zur Serienfertigung seiner Möbel blieb jedoch aus. Stattdessen setzte er auf die Arbeit in seinen eigenen Werkstätten, wo er Möbel und Schmuck herstellte. Sein Ziel war es, die Alltagsgegenstände in Form und Funktion zu reformieren.

Van de Velde begann seine Karriere als Maler in Antwerpen, fühlte sich jedoch zunehmend unzufrieden. Er wollte nicht auf die Rolle des bildenden Künstlers beschränkt bleiben. Als Gestalter strebte er an, die Ära des gegenständlichen Dekors zu überwinden. Er prägte den Jugendstil entscheidend, indem er ihn von floralen Formen zu einer klareren, zunehmend geradlinigen Gestaltung weiterentwickelte.

Untiefen der Künstlerkarriere

Mit dem Bau der Villa Esche im Jahr 1903 erhielt van de Velde seinen ersten Bauauftrag in Deutschland. Heute beherbergt die Villa das nach ihm benannte Museum. Architektur verstand er vor allem als Hülle für die von ihm gestalteten Interieurs. Zu seinem Umfeld zählten Größen wie Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner und Friedrich Nietzsche, dessen Weimarer "Villa Silberblick" er nach dessen Tod als Gesamtkunstwerk umgestaltete.

Die Chemnitzer Ausstellung verharrt nicht in den gängigen Jugendstil-Klischees, sondern zeichnet auch die Untiefen der Künstlerkarriere durch zwei Weltkriege hindurch nach. Sein Lebensweg führte ihn – als "feindlicher Ausländer" im Ersten Weltkriegs verfemt – in die Schweiz und schließlich zurück nach Belgien. Mit dem Aufstieg der klassischen Moderne nahm die Bedeutung seines umfassenden Gestaltungsansatzes ab, der vom Haus bis zum Handtuch reichte.