Hängepartie beim Hamburger Bahnhof

Historisches Versäumnis

Das Museum für Gegenwart Hamburger Bahnhof in Berlin
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Das Museum für Gegenwart Hamburger Bahnhof in Berlin

Die Lage für Berlin als Kunststadt ist sogar noch ernster als zuletzt befürchtet. Durch die Hängepartie beim Hamburger Bahnhof ist eine unhaltbare Situation entstanden. Ein schneller Rückkauf durch den Bund ist die einzige Option für eines der wichtigsten Museen der Stadt  

Journalisten und Journalistinnen wird oft nachgesagt, Drama-Queens zu sein, die die Apokalypse herbeibeschwören für ein paar Sekunden mehr Aufmerksamkeit. Das Berlin-Bashing der vergangenen Wochen hätte man zum Beispiel so lesen können. Seitdem bekannt wurde, dass der Hamburger Bahnhof als zentraler Ort für Gegenwartskunst die Rieckhallen und damit die Hälfte seiner Ausstellungsfläche verlieren wird und der Großsammler Friedrich Christian Flick angekündigt hat, aus diesem Grund seine hochkarätigen Leihgaben aus der Sammlung der Nationalgalerie abzuziehen, wurde das Ende der Kunststadt Berlin in den Feuilletons so lauthals beschworen, dass man es kaum mehr ernst nehmen konnte. Doch die Lage ist sogar noch ernster, als die Öffentlichkeit es bisher diskutiert hat. Denn nicht nur die Rieckhallen, der gesamte Hamburger Bahnhof könnte der Stadt verloren gehen – und damit hätte die Nationalgalerie keinen Ort mehr für die Gegenwartskunst.

Wie Boris Pofalla in der "Welt am Sonntag" in einem umfangreichen Recherchestück darlegt, hat der Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Kultursenator André Schmitz 2003 es in absurder Wurschtigkeit versäumt, den Bau für die öffentliche Hand zu sichern. Als das Gelände, das sich im Besitz einer bundeseigenen Gesellschaft, die die Immobilien der Deutschen Bahn verwaltete, an die Wiener Aktiengesellschaft CA Immo verkauft wurde, ließ das Land Berlin ein Vorkaufsrecht diskussionslos verstreichen. Die Staatlichen Museen, so die "Welt", haben bis heute für den Museumsbau, in dessen Herrichtung die Senatsverwaltung in den 1990er-Jahren über 100 Millionen DM investiert hatte, nicht einmal einen Mietvertrag.

Mittlerweile ist das Haus aber ein Sanierungsfall – bis auf die große Kleihues-Halle, in der die Sammlung Marx präsentiert wird, ist so gut wie der gesamte Bau stark renovierungsbedürftig. Doch wer sollte diese Renovierung bezahlen? Die Staatlichen Museen als Mieter ohne Mietvertrag? Wohl kaum. Die CA Immo, die schon vorher bewiesen hat, dass sie keine Lust hat, den Kunstmäzen zu spielen? Noch weniger. Es passiert also: Gar nichts. Und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Hamburger Bahnhofs haben keine Ahnung, mit welchen Flächen sie eigentlich in naher und mittlerer Zukunft ihr Programm planen sollen. Für ein Museum, das den Anspruch hat, internationale Strahlkraft zu besitzen, eine unmögliche Situation.

Schneller Rückkauf einzige Option

Die einzige Option, die Pattsituation zu lösen, wäre ein schneller Rückkauf des Gebäudes. An dem, so ließ Kulturstaatministerin Grütters unter dem Druck der Veröffentlichungen jetzt verlauten, sei man dran: "Der Bund strebt den Erwerb des Hamburger Bahnhofs an", bestätigte ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters der Deutschen Presse-Agentur. Die Verhandlungen zwischen dem Bund und der CA Immo "sind auf gutem Weg", hieß es. Grütters habe bereits mit dem Vorstand von BImA und CA Immo gesprochen. Auch von einem Erweiterungsbau war die Rede.

Es kann also sein, dass Grütters es schafft, die historische Scharte aus der Ära Wowereit auszuwetzen, den Hamburger Bahnhof plus ein Grundstück für einen Erweiterungsbau zu sichern. Ein Rätsel bleibt, warum alle Beteiligten das Problem nicht schon vor Jahren viel entschlossener angegangen sind. Jetzt hängt das Haus in der Luft: Ohne Direktor, denn Udo Kittelmanns Direktorenzeit geht im Oktober zu Ende, ohne dass die Suche nach einer Nachfolgerin überhaupt begonnen hätte, und ohne Planungssicherheit. Informelle Zwischennutzungen können irgendwann sehr unglamourös zu Ende gehen, das haben in Berlin schon viele schmerzhaft lernen müssen. Dass das auch einem der wichtigsten Museen der Stadt zu passieren droht, ist schwer zu fassen.