Filmporträt im Ersten

Greta kann die Welt nicht retten

Braucht es einen Film über eine Person, die sowieso omnipräsent ist? Das Porträt "I am Greta" fügt dem Bild der Klimaaktivistin Greta Thunberg ein paar Facetten hinzu - drückt sich aber vor kritischen Fragen

Die alte Dame macht sich Sorgen. Vor ihr sitzt 2018 ein 15-jähriges Mädchen auf einer Treppe vor dem Stockholmer Parlamentsgebäude: Eine stupsnäsige Jugendliche, Zöpfe, blauer Hoodie, Leopardenmuster-Leggings und ein Schild: "Skolstrejk för Klimatet". Sie solle besser in die Schule gehen und lernen, findet die Passantin.

Was die Seniorin nicht wissen kann: Die Noch-Einzelkämpferin wird ihre Grundschule (neun Jahre in der schwedischen "Einheitsschule") wenige Monate später mit hervorragenden Noten abschließen. Mehr noch, Greta Thunberg wird in Windeseile zur weltberühmten Aktivistin avancieren. Ihr Landsmann Nathan Grossman begleitete Greta ungefähr ein Jahr lang mit der Kamera – von ihrem persönlichen Schulstreik bis zu ihrer Teilnahme an der UN-Klimakonferenz im September 2019. Nur einen Monat nach dem Kinostart ist die Dokumentation ab Samstag, 14. November, in der ARD-Mediathek verfügbar.

Greta Thunbergs "How dare you"-Wutrede ging um die Welt. "I am Greta" behandelt die Klimaproblematik nur am Rand, um sich auf die Titelfigur zu konzentrieren. Neben den auch anderswo gut dokumentierten Auftritten der Aktivistin auf "Fridays for Future"-Demonstrationen, der UN-Klimakonferenz in Katowice 2018 oder im Europäischen Wirtschafts- und Sozialauschuss in Brüssel, neben Begegnungen mit Jean-Claude Juncker, Angela Merkel, António Guterres und Arnold Schwarzenegger runden private Szenen im Familienkreis oder auf Reisen mit ihrem Vater Svante Thunberg das Porträt ab.

Eine Überfahrt mit reinem Symbolwert

Gerahmt wird "I am Greta" von Bildern der stürmischen Atlantiküberquerung mit Ziel New York. Am Anfang spritzt die Gischt, am Ende auch. Die Reise wurde kontrovers diskutiert, weil ein Flug der beiden Thunbergs nach New York und zurück weit weniger Treibgasausstoß verursacht hätte als der Segeltörn, denn ein Teil der Crew musste ins Flugzeug steigen.

Eine Überfahrt mit reinem Symbolwert – wie sinnvoll oder womöglich kontraproduktiv war das? Im Film findet der innere Widerspruch der Aktion keine Erwähnung. Doch die mitunter unübersehbare Erschöpfung der jungen Aktivistin – nicht allein bei der strapaziösen Atlantikfahrt – provoziert die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel, was diese Person betrifft. Wie belastbar ist eine Minderjährige, die unablässig für den Klimaschutz streitet. Wer schützt eigentlich Greta?

Eine kindliche Aktivistin, die sich in der Weltpolitik Gehör verschafft, ist fraglos eine Sensation. Um das zu zeigen, braucht es den Film nicht unbedingt. Grossmans Kamera ist schließlich nicht die einzige, die auf dem politischen Parkett Gretas Nähe sucht. Über ihr öffentliches Wirken steht alles in den Zeitungen und bei Wikipedia.

"I am Greta" wirkt daher am eindringlichsten, wo Grossman seine Heldin in ganz privaten Momenten erwischt: Wenn Thunberg in einem leeren Konferenzraum plötzlich selbstvergessen zu tanzen beginnt. Wenn sie sich über einen beleidigenden Facebook-Kommentar kaputtlacht. Wie sie den Mächtigen imponierend schulterzuckend gegenübertritt. In solchen Augenblicken dominiert der Eindruck, dieser Jugendlichen kann nichts und niemand etwas anhaben. Als trüge Greta (bei der damals Zwölfjährigen wurde das Asperger-Syndrom diagnostiziert) einen unsichtbaren Panzer, der sie vor Angriffen schützt.

Die Verehrung als Lichtgestalt kann ihr keiner wünschen

Womöglich macht der – gar nicht so politische – Greta-Kult der Jugendlichen am meisten zu schaffen. Sie ist ein Popstar wider Willen. Neben den Mitstreiterinnen und Mitstreitern, die sich um Kipppunkte und Klimaziele sorgen, gibt es die Fans, die ihr Idol einfach mal anfassen wollen. Und die Selfiejäger, darunter nicht wenige Politikerinnen und Politiker. Fotos mit Greta steigern die (grüne) Wählergunst, nicht zuletzt die amtierende Bundeskanzlerin weiß das.

Gretas Weg, auch das zeigt der Film, ist gesäumt von Spruchbändern. Zu lesen sind witzige wie "Make the world GRETA again", aber auch solche, die Anlass zur Skepsis geben: "Go, Greta, save the planet" hat ein Demonstrant in Brüssel auf sein Schild geschrieben. Das klingt nach einem Missverständnis, denn Greta ist ja ausgezogen, um den Rest der Welt von der Dringlichkeit ihres Themas zu überzeugen. Dass doch alle etwas tun müssen.

Sie trägt viel Verantwortung. Dass sie als Lichtgestalt angehimmelt wird, kann ihr keiner wünschen. Oder gar zur Märtyrerin fürs Klima wird. Würde sie eine, könnte das die Erderwärmung doch nicht stoppen. Deswegen spielt Greta Thunberg den Ball ja immer wieder in die Politik zurück: "How dare you!"

"I Am Greta" ist ein Film, der dem Bild einer berühmten Umweltaktivistin ein paar Facetten hinzufügt. Mehr nicht. Nathan Grossman setzt der Jugendlichen ein Denkmal, das sie als Mahnerin sicherlich verdient hat. So what? Greta ist selbstredend nicht die Lösung der Krise. Strategien müssen entwickelt werden, Konzepte auf den Tisch. Vorstellbar sind in Zukunft auch dringlichere, problembewusstere Beiträge zur Klimadebatte als dieses Filmporträt. Wir wollen ja nicht im Greta-Jubel steckenbleiben!