Andres Serrano im Interview

"Ich bin ein christlicher Künstler"

Zu Beginn der Karwoche wurde in einem Avignoner Museum die Fotografie eines in Urin versenkten Kruzifixes von fundamentalistischen Christen angegriffen. Der New Yorker Künstlers Andres Serrano, von dem "Piss Christ" stammt, nimmt im Monopol-Interview zu diesem Vorfall Stellung

Herr Serrano, fühlen Sie sich verletzt durch die Angriffe auf Ihre Arbeit?
Nicht verletzt, aber doch bin ich traurig darüber, dass das Werk absichtlich oder unabsichtlich falsch verstanden wurde. Ich bin ein christlicher Künstler, der der mit religiöser Ikonografie arbeitet, so wie es andere Künstler über Jahrhunderte getan haben. Selbst Caravaggio, einer der größten religiösen Maler, der je gelebt hat, wurde in seiner Zeit missverstanden. Kunst befriedigt eben nicht immer jedermanns Bedürfnisse und Leidenschaften.

Jahrhundertelang gehörten Religion und Kunst zusammen. Welches Verhältnis sollten sie heutzutage haben?
Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich weiß, dass mir der Glauben wichtig ist, dass ich nie an meinem Glauben gezweifelt habe und dass ich deshalb so viele religiöse Bilder mache, etwa eine Serie mit Nonnen und Priestern in Europa.

Können Sie Verständnis für die Wut Ihrer Gegner aufbringen?
Ich habe Verständnis für die Wut vieler Menschen in vielen Teilen der Welt. Nur hier ist die Wut gegenstandslos. Weder ich noch meine Arbeit „Piss Christ” taugen als Feindbild.

Haben Sie beabsichtig, mit „Piss Christ“ starke Gefühle auszulösen oder gar zu verletzten?
Ich beabsichtige, erwarte oder fürchte niemals irgendwelche Reaktionen auf mein Werk.

Seitdem „Piss Christ“ in der Welt ist, seit 1987, wird das Bild kontrovers diskutiert …
Ich bin etwas überrascht, dass der Streit darum immer wieder neu aufflammt. Ich glaube, das spricht für die Kraft der Kunst.

Denken Sie an den Ärger, den es auch um die kotbeschmierte Madonna des Künstlers Chris Ofili gab. Es scheint doch immer das gleiche Muster zu sein: „Heiliges“ darf niemals mit vermeintlich Schmutzigem in Kontakt kommen ….
Ich bin erzogen worden im Glauben an den „Leib und das Blut Christi“. Christus war der Sohn Gottes, aber er war Mensch aus Fleisch und Blut und Körperflüssigkeiten.

Sie benutzen Sperma, Urin und Blut für Ihre Arbeit. Worin liegt der Reiz dieser Materialien?
Sie symbolisieren Leben.

„Stellen Sie sich vor, jemand nimmt eine Mohammed-Figur und taucht sie in Pisse.“ So kommentierte die Piusbruderschaft ihre Arbeit. Würden Sie denn ein ähnliches Bild auch mit einer Mohammed-Figur machen?
Ich bin kein Moslem. Es geht mir auch nicht darum, das Christentum oder irgendeinen anderen Glauben zu verunglimpfen. 

Was haben Kunst und Religion gemeinsam?
Hoffnung und Liebe.