Architekten Inken und Hinrich Baller

"Wir stellen sehr hohe Anforderungen an die Bewohner"

Die exzentrischen Bauten von Inken und Hinrich Baller haben Westberlin geprägt - und erfahren gerade eine Neubewertung. Eine Hamburger Ausstellung würdigt das gemeinsame Werk. Monopol traf die Architekten zum Interview

Ihr expressiver Architekturstil polarisiert, doch wer einmal in einer ihrer Wohnungen lebt, will meist nie wieder ausziehen. In ihrer gemeinsamen Schaffensphase von 1966 bis 1989 haben Inken und Hinrich Baller unkonventionelle Häuser gebaut, die bis heute das (West-) Berliner Stadtbild prägen. Besonders ihr Wohnungsbau – filigran, durchlässig und mit ungewöhnlichen Grundrisslösungen – gilt heute als wegweisend: die zum Wohnraum offenen Küchen etwa oder die Verschränkung von Innen und einem grünen Außen.

Eine vom Kollektiv ufoufo – urban fragment observatory inszenierte Ausstellung in der Freien Akademie der Künste in Hamburg, die vorher im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) in Berlin gezeigt wurde, präsentiert einen Blick in diese Räume. Unterlegt von Audiobeiträgen der heutigen Bewohnerinnen und Bewohner sowie von Archivmaterial dokumentiert die Schau genutzte Architektur und stellt die Frage, was der heutige Wohnungsbau von diesem offenen Raumverständnis lernen kann.

Im Gespräch mit Monopol erinnern sich Inken und Hinrich Baller an eine unbürokratische Berliner Baubehörde und daran, wie Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" ihre Vorstellung von gelungenem Wohnungsbau prägte.

Inken und Hinrich Baller, wenn man mit Bewohnerinnen und Bewohnern spricht, hört man immer wieder, wie gerne diese in Ihren Häusern leben. Warum ist das so?

Inken Baller: Wir haben immer so gebaut, dass die Leute sich in den Häusern ein echtes Zuhause schaffen können. Sie kommen nicht in eine anonyme Schachtel, sondern in etwas, das sie vielleicht ein wenig herausfordert, aber das sie auch selbst interpretieren können. 

Hinrich Baller: Mir fällt da ein Gespräch ein, dass ich mit einem Bewohner vom Fraenkelufer geführt habe. Der erklärte mir, wie schwierig es für ihn war, die Wohnung einzurichten. Auf sein Ergebnis war er dann so stolz, als hätte er das Haus selbst gebaut. Der konnte sich auch gar nicht vorstellen, dass man die Wohnung anders einrichten könnte. Ich habe mir dann mal fast alle Wohnungen angucken können: Die waren alle ganz unterschiedlich eingerichtet. Und nicht eine so, wie wir uns das mal gedacht hatten. Aber es stimmt schon: Wir stellen sehr hohe Anforderungen an die Bewohner.

Hat der städtische Wohnungsbau die Bedürfnisse der Menschen vergessen?

Hinrich Baller: Was immer wieder vergessen wird: Die Attraktivität der Wohnungen war damals von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. In Berlin gab es keinen Engpass an Wohnungen, es gab Leerstand. Für unsere Auftraggeber, die vielleicht ein bisschen knapper gerechnet haben als andere, wäre ein Jahr Leerstand allerdings nicht zu verkraften gewesen. Aber unsere Wohnungen waren grundsätzlich vom ersten Tag an vermietet. Das war für die Bauherren ein so großer Vorteil, dass sie immer wieder mit uns arbeiten wollten.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich die Neubauprojekte der letzten Jahre anschauen?

Inken Baller: Bei einigen, wie der Europa City, bekomme ich Angst und Schrecken. Aber es gibt auch eine Reihe von Baugruppenprojekten, die durchaus ansehbar sind. Was mir auffällt – und das ist eine Sache, die uns immer besonders wichtig war: die Verbindung nach draußen, also dass die Wohnung sich über den Balkon in den Garten oder in die Straße hinein erweitert. Das ist ein wichtiges Angebot an die Bewohner, das aktuell aber extrem vernachlässigt wird. Die meisten Häuser in der Europa City haben, wenn überhaupt, eingezogene Balkone. Das Ergebnis sind tote Häuser ohne Interaktion zwischen Innen und Außen. Das hat sicher damit zu tun, dass es eine Zeit lang so eine merkwürdige Ästhetik der Box gab. Das Haus sollte eine möglichst hermetische Box sein, aus der nichts hinauskragt.

Hinrich Baller: Man muss dazu aber auch wissen, dass wir damals eine ganze andere Architekturdiskussion geführt haben, die stark von den Sozialwissenschaften geprägt war. Inken hat sich in ihrer Diplomarbeit mit "Raum und frühkindliche Sozialisation" befasst. Sowas würde heute vielleicht gar nicht mehr zugelassen werden. Wir wollten einfach über das Bautechnische hinaus informiert sein. Diese ganze Sozialdiskussion gehörte für uns dazu. 

Inken Baller: Außerdem mussten wir als Studenten noch ein Praktikum auf dem Bau machen. Da genügte es nicht, in irgendeiner Tischlerei zu sein, es musste ein Hochbaupraktikum sein. Das gibt es heute nicht mehr. Wir hatten später auch immer wieder tolle Poliere, von denen man etwas lernen konnte. Das war ein Austausch auf Augenhöhe. Für uns waren nie die Handwerker das Problem. Wenn, dann waren das die Bauherren oder die Behörden.

Was für ein Geist wehte damals durch die Berliner Baubehörde?

Inken Baller: Ein besserer als heute. Es war wesentlich weniger bürokratisch. Wir konnten damals noch mit dem Bauaufsichtsbeamten gemeinsam beraten, wie wir einen Befreiungsantrag machen. Das wäre heutzutage undenkbar. Früher war aber auch die Verantwortung von uns Architekten viel breiter gestreut. Heute gibt es für jeden Bereich – Brandschutz, Energieberatung, Akustik, Bauphysik – einen externen Verantwortlichen. Das haben wir noch alles selbst gemacht. Dazu kommen viele Auflagen. Es ist heute unendlich viel komplizierter geworden.

Sie und Ihre Kommilitonen von der Berliner Technischen Universität haben 1968 die Ausstellung "Diagnose" mitorganisiert – eine kritische Auseinandersetzung mit den Projekten des sozialen Wohnungsbaus der damaligen Zeit. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Ausstellung "Visiting Inken und Hinrich Baller"?

Inken Baller: Es gibt gerade in den letzten Jahren ein immer größeres Bewusstsein bei den jungen Leuten. Da kommen viele alte Ideen wieder hoch.

Hinrich Baller: Die werden eben jetzt wieder erkannt und ausgestellt. Das finde ich eine tolle Leistung. In der Summe gefällt mir die Ausstellung auch besser als das Buch, das natürlich mit vielen anderen Architekturbüchern konkurriert.

Inken Baller: Das sehe ich nicht so. Ich finde, das Buch zeigt viel besser, wie die Leute in den Wohnungen leben und diese nutzen. In den normalen Architekturbüchern kommt der Mensch ja kaum vor. Und wenn, dann in diesen unheimlich aufgeräumten Räumen, in die der Mensch nur über Renderings reingepackt wird. Das Buch zur Ausstellung zeigt den tatsächlichen Gebrauch. Natürlich gibt es da Einrichtungen, so würden wir uns selbst nie einrichten. Aber so ist es nun mal.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben? Frühere Bauten sieht man noch ihre Zeitgenossenschaft zur Architektur Ihrer Kollegen an, aber dann entwickelten Sie Ihre eigene, sehr organische Ästhetik.

Inken Baller: Eine Mischung aus Mies van der Rohe und Hans Scharoun. 

Hinrich Baller: Scharoun haben wir ja auch persönlich gekannt, was die Sache nicht einfacher gemacht hat. Je näher man ihm persönlich war, desto schwerer war es, seine Architektur zu verstehen. Es gab kaum nennenswerte Schriften von ihm. Er lebte hauptsächlich im direkten Gespräch. Das war zwar immer hochinteressant, aber theoretisch gar nicht auf den Punkt zu bringen. Deswegen war seine Architektur auch nicht multiplizierbar. Als Scharoun-Anhänger, und zu denen gehören wir letztendlich, können wir uns gar nicht auf ihn beziehen. Natürlich gibt es Brücken zu Vorgängern, zum Beispiel was das Wegesystem angeht, der Weg durch die Wohnung als Erlebnisraum. Das war aber nicht nur Scharoun, sondern auch Zeitgenossen wie Hermann Fehling und Daniel Gogel, die Architekten des Max-Planck-Instituts in Berlin-Schmargendorf.

Gab es Einflüsse außerhalb der Architektur?

Hinrich Baller: Ernst Bloch und sein "Prinzip der Hoffnung" waren ein großer Einfluss. Unsere Architektur lebt von Hoffnung. Der Weg durch die Wohnung ist auch ein Weg der Hoffnung. 

Inken Baller: Es immer auch ein Stück Utopie. Auch wenn der Glaube an Utopien in manchen Zeiten natürlich schwierig ist.

Was wünschen Sie sich für den Berliner Wohnungsbau?

Hinrich Baller: Es braucht zunächst mal ein vernünftiges Förderungssystem. Wohnungsbau ohne Förderung geht nicht. Ein Haus finanziert sich ja nicht aus sich selbst. 
Da muss unsere Wirtschaft andere Wege finden.

Inken Baller: Das Bauen selbst ist gar nicht zu teuer, zu teuer sind die ganzen Rahmenbedingungen. Der eigentliche Hausbau macht ja nur 40 oder 50 Prozent der Baukosten aus. Das Problem ist der Boden. Hier in Berlin mit seinen Quadratmeterpreisen kommt man da kaum dagegen an. Da kann dann nur ein teures Haus draufgestellt werden.

Hinrich Baller: Das kann nur von der Öffentlichkeit insgesamt gelöst werden. So wie das nach dem Krieg mit den Förderprogrammen geschehen ist, denen wir ja auch unsere frühen Bauten verdanken. Das ist so. Und wenn man die nicht hat, wie heute zum Beispiel, dann gerät man eben in Verlegenheit.