Insta-Watchlist: Hannah Müller-Hillebrand

"Ich liebe Dinge, die ein bisschen aus der Reihe tanzen"

Die Berlinerin Hannah Müller-Hillebrand hat gleich mehrere Instagram-Accounts, einer davon ist ihrer figurativen Malerei gewidmet. Hier spricht sie über Selbstliebe, weibliche Sichtbarkeit und die Skepsis der Kunstwelt gegenüber Autodidaktinnen


Auf Instagram teilen Sie auf Ihren Profilen ganz unterschiedliche Aspekte von sich selbst. Ich tue mich schon schwer, nur ein Profil zu bespielen, Sie bespielen gleich drei. Warum?

Ich habe 2014 begonnen, Inhalte auf meinem Blog und meinem Account zu teilen. Den Account @namastehannah gibt es bis heute – er feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum, was völlig verrückt ist. Dieser Account ist sehr persönlich und behandelt neben meinem Alltagsleben in Berlin Themen wie mentale Gesundheit, Feminismus, Sexualität und Kunst. Mein zweiter Account, @hannah.muehi, dreht sich hauptsächlich um meine Arbeit als Künstlerin und dient mir auch ein bisschen als Portfolio. Wenn ich Menschen aus der Branche kennenlerne und sie mich fragen, was ich mache, ist es hilfreich, einen Account zu haben, dessen Fokus wirklich nur auf der Kunst liegt. Und ehrlich gesagt ist es für mich auch schön, einen kleineren Account zu haben – je kleiner ein Account ist, desto freier fühlt sich das natürlich auch noch an. @muehi.journal repräsentiert das "Balancebook", ein von mir gestaltetes Journal zum angeleiteten Schreiben und Reflektieren, das es jetzt es auf Amazon und in ein paar Buchläden in Berlin und Hamburg zu kaufen gibt.

Aus welcher Motivation heraus haben Sie damals begonnen, zu posten?

Eigentlich hat alles damit angefangen, dass ich, nachdem ich mein Abitur beendet habe, nach London gezogen bin. Ich komme ursprünglich aus Bayern, aus einer Stadt mit 100.000 Einwohnern. Das war dann natürlich aufregend, weil London so groß ist und so viel zu bieten hat. Hier habe ich zum ersten Mal wirklich angefangen, Instagram zu nutzen. Ursprünglich ging es aber nicht wirklich um mich – ich habe kaum mein Gesicht gezeigt, eher Fotos von der Architektur und Essen gepostet. Mit der Zeit wurde es immer persönlicher. Als ich dann für mein Studium in Kommunikationsdesign nach Berlin zog, habe ich auch immer mehr von meinem Privatleben geteilt – persönlichere Inhalte und Ausschnitte aus meinem Studium. 

Und dann?

Damals hatte ich ungefähr 2000 Follower, das war für mich eine unfassbare Zahl – es gab damals noch nicht so viele Accounts wie heute. In etwa zu dieser Zeit habe ich auch meinen Blog gestartet. Ich hatte bereits zu Beginn an die 8000 Leserinnen und Leser. Und habe dann auch angefangen, das alles zu überdenken: Was ist das hier eigentlich? Wie will ich meine Plattform und Reichweite nutzen? 8000 Leute sind eine Riesenmenge. Ich habe also angefangen, über mentale Gesundheit zu schreiben. Und Themen zu behandeln wie Depressionen, Essstörungen, sexuelle Übergriffe – alles Themen, die mich persönlich betroffen haben oder betreffen. Es war schon eine Überwindung, darüber zu schreiben, aber ich hatte irgendwie das Gefühl: Ich will das. Ich will das teilen. Und das Feedback, was ich danach erhalten habe, war unfassbar, weil sich so viele Menschen damit identifizieren konnten und sich verstanden gefühlt haben. Ich konnte ihnen auf irgendeine Art und Weise Kraft und Hoffnung schenken, das war unfassbar für mich. Und da habe ich gedacht, okay, ich kann wirklich etwas verändern. Gutes tun. Einfach nur, indem ich Texte schreibe, die ehrlich sind. Es war damals eben noch nicht so wie heute, das war vor der #MeToo-Bewegung. Es gab noch nicht diese Buzzwords wie Empowerment, Self Love, die man heute in jede zweite Kampagne einbaut. Die Leute haben damals nicht so öffentlich über Depression gesprochen wie es heute der Fall ist.

Und später kam mit @hannah.muehi auch die Kunst dazu.

Ja, und damit auch die ersten Verkäufe. Ich bin in ein Atelier gezogen, habe meine ersten Ausstellungen gemacht, meine ersten Prints mit einer Online-Galerie gedruckt. Nach Corona fing es an, dass ich wirklich regelmäßig Ausstellungen und Kollaborationen hatte und Leute aus der Bubble kennengelernt habe. Ursprünglich hatte ich natürlich erstmal gar keinen Kontakt zur Kunstbranche und habe auch gemerkt, dass die Reaktionen eher verhalten waren. Instagram und Social Media, also dieser Stempel, den man als Creator hat, war nicht unbedingt günstig für die Kunst. Viele belächeln Instagram-Künstlerinnen und Künstler, vor allem die, die nicht studiert haben. Ich habe das Gefühl, das alles bricht langsam ein bisschen auf, aber es immer noch ein Riesenthema. Vor allem in Berlin gibt es ganz viele Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, in allen möglichen Berufen. Aber in der Kunst scheint es immer noch so ein Geschmäckle zu haben, wenn man sagt, man sei Autodidaktin.


Es scheint, als gäbe es ein verbindendes Element Ihrer Profile: das Thema Selbstliebe.

Ja. Mir ist es tatsächlich immer schwergefallen, mich selbst lieben. Und auch heute fällt es mir nicht immer leicht. Ich bin mit sehr viel Liebe aufgewachsen, weshalb es so skurril ist, dass ich mir diese Liebe manchmal nicht selbst geben kann. Mit 16 oder 17 habe ich eine Essstörung entwickelt, die mit sehr viel Hass gegen meinen Körper einherging, aber auch mit Hass gegen mich selbst als Person. Ich konnte mich selbst nicht ausstehen und wollte einfach immer weniger werden. In dieser Zeit kamen auch depressive Phasen hinzu, weil eine solche Krankheit einen natürlich extrem einnimmt und isoliert. Das ist ein Teufelskreis. Yoga hat mir in dieser Zeit sehr geholfen, weil es nicht um Vergleiche mit anderen ging, sondern nur um mich selbst. Klar gibt es diese ganzen kreativen Posen, Spagat, Handstand – aber ein guter Yogi ist jemand, der bei sich selbst bleibt. Und die Kunst bedeutet genau dasselbe für mich. Ich glaube, ich mag diese beiden Bereiche so gerne, weil es kein Richtig kein Falsch gibt. Das nimmt mir irgendwie den Druck. Es gibt immer wieder Phasen, in denen mir Selbstliebe schwerfällt, aber ich nutze diese mittlerweile für meine kreative Arbeit: Ich glaube, dass es genau diese schweren Zeiten und Themen sind, die einen inspirieren und weiterbringen.

Gleichzeitig äußern Sie sich auch viel zu Themen wie Gleichberechtigung und Feminismus.

Das waren schon immer wichtige Themen für mich. Ich habe zum ersten Mal als Jugendliche in einem Jungendparlament politisch gearbeitet und mich später bei der NGO Plan International in Kambodscha ehrenamtlich engagiert. Dabei habe ich gemerkt, dass mir diese Themen wirklich am Herzen liegen. An der Uni habe ich dann ein Projekt mit dem Titel "Aber was hattest du an?" gemacht, bei dem es um das Thema sexuelle Gewalt und Übergriffe ging. Ich habe ein Fotobuch gestaltet, für das ich Frauen fotografiert habe, die selbstbewusst ihren Stil präsentierten. Diese Fotografien habe ich mit Interviews gepaart, in denen Frauen mit mir ihre Geschichten von Übergriffen und sexueller Gewalt geteilt haben. Das Ganze ist ein Manifest von ganz viel Power, Hoffnung und Kraft geworden. Aber ich habe dabei auch gemerkt: Hier läuft so vieles schief. Wenn man beispielsweise in Deutschland eine Vergewaltigung anzeigt, findet man im Protokoll die Frage: Was hattest du an? Das ist so eine irrelevante Frage, die in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen und auch nicht ins Protokoll einfließen sollte.

Sie malen ausschließlich Frauen, spielen mit unterschiedlichen Formen und Größen, abseits von gängigen Schönheitsnormen. Ist das auch etwas, das Sie mit Ihrer Kunst vermitteln möchten? Dass man vermeintliche Ecken und Kanten nicht verstecken muss?

Ich glaube, wenn man meine Story hört, dann merkt man, dass ich selbst lange damit gekämpft habe, mich selbst anzunehmen. Und ich habe mich auch immer noch nicht komplett angenommen. Ich arbeite auch als Model, das hilft da auch nicht wirklich. Trotzdem glaube ich wirklich, dass Schönheit in der Diversität liegt. Das ist so ein ausgelutschter Begriff, aber es ist so. Wenn ich von mir auf andere Leute schaue, dann liebe ich Ecken, Kanten und all die Dinge, die ein bisschen aus der Reihe tanzen. Das inspiriert mich auch für meine Kunst. Unterschiedliche Formen und Größen und Kanten und Rundungen, das ist toll, das gibt mir Stoff. Aber gleichzeitig bin ich auch unfassbar selbstkritisch. Dieser Kontrast und dieser Kampf motivieren mich, zu malen und helfen mir auch beim Verarbeiten. Ich habe schon so viele kleine, große, dicke, dünne, lustige Körper gemalt, dass ich auch im Annehmen von mir selbst und meinem eigenen Körper viel, viel lockerer geworden bin.


Geht es dabei auch um das Thema weibliche Sichtbarkeit?

Frauen sind in der Kunst in zweierlei Hinsicht unterrepräsentiert: Die erfolgreichsten Künstler sind immer noch männlich. Ich möchte das ändern, ich möchte dazu beitragen, dass mehr Frauen in der Kunstszene gesehen werden. Und wenn Frauen auf Kunstwerken gezeigt werden, dann immer nur auf eine bestimmte Art und Weise. Es gibt viele Frauen, die als Musen genutzt, dann aber immer sexualisiert dargestellt wurden. Und obwohl ich meine Persönchen oft im Bikini oder nackt darstelle, strahlen sie aus meiner Sicht nichts Sexuelles aus. Sie sind einfach so, wie sie sind. Sie haben Spaß und sind stark, stolz. Ich finde, das ist ein interessanter Twist: Das sind keine Werke, wo man sich denkt: Das stört mich. Oder: Das macht mich geil. Sondern es ist eher so: Hier bin ich. Und ich habe einen dicken Po und große Füße und große Hände und einen kleinen Mini-Bikini an und I’M LOVING IT. Das ist die Energie, die ich ausdrücken möchte.

Es gibt offenbar auch Typen, die nicht umhin können, Ihre Posts mit "Why in panties?" und "Hast du eigentlich kein Geld für Kleidung oder warum bist du immer nur halbnackt zu sehen hier?" kommentieren. Wie gehen Sie damit um?

Eigentlich finde ich das sehr witzig. Diese "Haralds" gab’s schon immer. Es gibt einfach wirklich viele Leute, die das nicht verstehen können. Aber irgendwie geht das da rein, da raus. Ich möchte das Thema Nacktheit enttabuisieren und entsexualisieren. Nacktheit bedeutet einfach nur, in seiner pursten Form zu sein. Aber ich glaube, viele haben fälschlicherweise das Gefühl, dass ein nackter Körper immer sexuell ist. Und diese sexuelle Aufgeladenheit führt zu Problemen. Natürlich kann ein nackter Körper sexuell sein und natürlich darf man sich sexy präsentieren, wenn man will. Aber für mich ist es wichtig, da eine Trennung zu machen: Nur, weil ich nackt bin, heißt das nicht, dass ich gerade in einer sexuellen Energie bin oder Sexuelles aussenden möchte. Für mich ist es einfach wichtig, diese Message zu teilen: Hey, mach das, womit du dich gut fühlst und lass dir da nicht reinreden. Und wenn du dich wohl fühlst im Bikini oder gerne nackt bist, dann mach das und lass dir nicht erzählen, dass es obszön sei. 

Auf Instagram schreiben Sie, Kunst höre bei Ihnen nicht beim Malen auf, sondern erstrecke sich über viele Bereiche Ihres Lebens.

Ja, ich finde, Kunst ist eher eine Lebensphilosophie. Neben Yoga ist Kunst das, was mich durchs Leben treibt und was mich gerettet hat. Auch, weil es eine eigene Sichtweise auf die Welt ist. Ich kann zum Beispiel auch ein Mittagessen als Kunst betrachten. Mir Zeit nehmen, lecker kochen, das Essen schön anrichten. Es gibt die Kunst, sich um sich selbst zu kümmern. Oder auch jetzt gerade zum Beispiel: Ich sitze hier in meinem Wohnzimmer und schaue raus. Die Sonne scheint gegen das Fenster und meine Fenster sind unfassbar schlecht geputzt. Man könnte jetzt sagen: Die sind einfach dreckig. Oder man schaut darauf, sieht die Schlieren und sagt: So was, ein kleines Staubkunstwerk hier bei mir. Es ist alles eine Art der Perspektive. Aber man kann sich Dinge natürlich auch schönreden – ich glaube, ich sollte meine Fenster einfach mal wieder putzen.


Anlässlich des 20. Geburtstags von Monopol hat Hannah Müller-Hillebrand alias Mühi das Werk "After Hour" geschaffen.