Interview mit Kuratorin Joanna Warsza

"Die Mächtigen haben Angst vor dem Blick der Frau"

Im Nationalmuseum Warschau wurden feministische Kunstwerke abgehängt  und die Kunstszene protestierte kreativ und erfolgreich. Wir haben mit der Kuratorin Joanna Warsza über den Zustand der polnischen Kunst unter der nationalkonservativen PiS-Regierung gesprochen

Der Fall machte dank vieler Bananen in den sozialen Medien auch außerhalb Polens Schlagzeilen: Im Nationalmuseum Warschau wurden feministische Kunstwerke abgehängt, darunter auch die Serie "Consumer Art" der Künstlerin Natalia LL, in der sie lasziv Bananen isst. Der neue Museumsdirektor bezeichnete die Werke als "traumatisch" für Jugendliche. Viele witterten darin einen Akt der Zensur, sieht doch die nationalkonservative Regierung ihr Land durch "Genderideologie" bedroht. Nach den Protesten wurde "Consumer Art" wieder aufgehängt. Wir haben mit der polnischen Kuratorin Joanna Warsza über kreativen Protest und die Bedingungen für Kulturschaffende in Polen gesprochen. 

Joanna Warsza, Sie haben letzte Woche Bananen vor dem Nationalmuseum in Warschau gegessen, um gegen die Entfernung von feministischen Kunstwerken aus der Ausstellung zu protestieren. Wie haben Sie die Stimmung dort erlebt?
Die Aktion könnte man als das bezeichnen, was Elżbieta Matynia "performative Demokratie" nennt. Damit ist ein Moment gemeint, in dem die Demokratie eine theatralische, außergewöhnliche Dimension annimmt, um sich auszudrücken und zu feiern. Going Bananas sozusagen. In Polen war die Politik in letzter Zeit eher grau, und das Bananen-Happening hat für eine fröhlichere Note gesorgt. Was als #bananagate viral ging wurde zu einer Möglichkeit, gegen die abrupte Zensur von drei feministischen Werken aus der Abteilung für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu protestieren. Dabei geht es sich nicht nur um “Consumer Art” von Natalia LL und “The Appearance of Lou Salomé” von Katarzyna Kozyra, sondern auch um ein drittes Werk: “Part XL. Tele Game” von Aleksandra Kubiak und Karolina Wiktor.

Wie haben die Demonstranten reagiert, als die Werke wieder aufgehängt wurden?
Nur zwei von ihnen wurden wieder aufgehängt, die Arbeit von Aleksandra Kubiak und Karolina Wiktor ist weiter verschwunden und wurde durch ein anderes feministisches Werk von Julita Wójcik ausgetauscht. Das neue Label wurde einfach auf A4 gedruckt und über das vorherige geklebt. Ohne jede Scham.

Stimmen Sie denen zu, die das Abhängen der Werke Zensur nennen? Ein Museum hat ja keine Verpflichtung, alle Werke aus seiner Sammlung jederzeit zu zeigen.
Wenn jemand ein Museum übernimmt, kann er natürlich seine Vision entwickeln und eine Kuratierung vorschlagen. Aber ein Museum ist kein Wohnzimmer, in dem man einfach so ein Werk verschwinden lassen kann, ohne sein Team zu konsultieren – einige der Museumsmitarbeiter waren sogar bei der Protestaktion dabei. Was passiert ist, ist ein Akt der Selbstzensur des neuen Direktors Jerzy Miziołek. Er hat vorweggenommen, was der aktuellen Regierung nicht gefallen könnte.

Jerzy Miziołek hat mögliche Traumatisierung von Jugendlichen als Grund genannt…
Das war die erste Erklärung, dass ein Kind irgendwie traumatisiert gewesen sein soll. Nun, Kunst hat das Recht starke Gefühle hervorzurufen, deshalb ist die Freiheit der Kunst in der Verfassung garantiert. Der 3. Mai ist in Polen der Tag der Verfassung, der von der Regierung opulent gefeiert wurde. Einer Regierung, die nicht zögert, genau diese Verfassung zu verletzen, wenn es um die Unabhängigkeit der Justiz geht – und jetzt die der Kunst.  

Das Kulturministerium hat kommentiert, dass es keine Anweisung zum Abhängen der Werke gegeben hat. Halten Sie das für plausibel?
Ehrlich gesagt ist es mir egal. Allerdings tendiere ich dazu, zu glauben, dass der neue "Streberdirektor", wie man auf Deutsch sagt, mit seinen "Korrekturen" vorauseilt. Der Minister hat abgestritten, die Entscheidung getroffen zu haben, aber er hat die Kunst offensichtlich auch nicht verteidigt. Ein paar Tage nach der Demonstration bin ich nochmal in den Flügel für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zurückgegangen, der vom ehemaligen Direktor des Nationalmuseums, Piotr Rypson, kuratiert wurde. Am Eingang dieser Abteilung steht deutlich, dass einige Werke anstößig sein können. Der Deal ist klar: man geht auf eigene Gefahr hinein.

Zwei der Werke wurden nach Ihrem Protest wieder aufgehängt. Ist das ein kurzzeitiger Erfolg oder kann Protest längerfristig etwas anstoßen?
Was man als großen Erfolg sehen kann, ist, dass dank #bananagate viele Leute in Polen und im Ausland von Natalia LLs Kunst gehört haben. Aber was heißt das längerfristig? Die zeitgenössische Kunstszene steht größtenteils in Opposition zur Regierung. Solange die nationale Rhetorik so bleibt, dass sie keinen Raum für Dilemmata, Fragen, Zweifel und Tabus lässt, wird es Widerstand geben – und das kann zu interessanter Kunst führen.

Was heißt das für die Institutionen?
Zum Glück sind viele Kunstzentren und Museen unter kommunaler Aufsicht, also nicht in den Händen der PiS-Partei. Andere, wie das CCA Warschau, das dem Ministerium untersteht, können weiter frei ihr Programm fortsetzen. Ich hatte gerade das Vergnügen, dort die Retrospektive "Synthetic Folklore" von Janek Simon zu kuratieren. Es wurde viel getan, um die Mittel für offen eingestellte Magazine wie "Dwutygodnik" oder "Krytyka Polityczna" zu kürzen  "Dwutygodnik" hat zum Glück einen neuen finanziellen Partner gefunden. Trotzdem war zeitgenössische Kunst bisher bei der PiS nicht ganz oben auf der Agenda, insofern könnte #bananagate ein Wendepunkt sein. Es ist normal, in einer gesunden Demokratie ideologische Kämpfe auszufechten. Aber die Art, wie es getan wird, untergräbt nicht nur die Arbeit von langjährigen Museumsteams, sondern wirkt sich auch auf den Ruf von Polen im Ausland aus.  

Sie haben sich schon zu Beginn der Amtszeit der PiS-Regierung vor drei Jahren besorgt über die Zukunft der Kulturszene in Polen geäußert. Wie haben sich die Dinge entwickelt: besser oder schlimmer, als Sie gedacht haben?
Im Herbst sind die nächsten Wahlen, also schauen wir mal. Man muss immer bedenken, was die andere Seite will und braucht. In der postkommunistischen Landschaft Polens behauptet niemand, politisch links zu sein, aber was die PiS in Polen erfolgreich macht, ist ihre linke Sozialpolitik - die sie nach außen als rechts verkauft. Das muss man wertschätzen, auch wenn ihre nationalistische Haltung  inakzeptabel ist.

Jaroslav Kaczynski hat kürzlich gesagt, dass Polen von Homosexuellenrechten, Genderthemen und den UN-Richtlinien für Sexualerziehung bedroht ist. Warum hat die Regierung so viel Angst vor allem, was Geschlecht und Sex betrifft?
Kaczynski und die polnische Rechte haben vor vielen Dingen Angst, eben auch vor allen emanzipatorischen Bewegungen, LGBTQI und dem, was sie "Genderideologie" nennen. Die Arbeiten von Natalia LL wurden mal als "exhibitionistische Aktionen des Muts" bezeichnet, die an den Tabus der polnischen Gesellschaft der 70er-Jahre gerührt haben. Die Frau als Subjekt, nicht als Objekt, wie sie erotisch Bananen, Würstchen und Salzstangen leckt, spielt mit der Bewunderung, aber auch mit der Ablehnung des westlichen Konsumfetischs. Wenn die PiS schlauer wäre, könnte sie mit diesem Punkt sogar einverstanden sein. Aber nein. Es ist kein Geheimnis, dass die Regierungspartei eine patriarchale, konservative Struktur hat. Die Herrschenden sind von Kunstwerken verstört, in denen Frauen ihre Macht in Frage stellen, aufgewühlt von ihrem Blick, ihrer Lust und ihrer Fantasie.