Künstler Jon Rafman

"Ich fühle mich zum Grotesken und zum Elend hingezogen"

Im Schinkel Pavillon in Berlin präsentiert Jon Rafman seine dunklen Visionen einer vom Internet bestimmten Gegenwart. Ein Gespräch über konstruierte Erinnerungen und KI-generierte Bildwelten
 

Jon Rafman, sie haben kürzlich Bilder mit Hilfe Künstlicher Intelligenz geschaffen, sie waren in Ihrer Ausstellung bei der Berliner Galerie Sprüth Magers zu sehen. Viele Menschen stehen KI generell kritisch gegenüber – Sie nicht?

Wie jede Technologie ist KI selbst nicht wertend und kann sowohl für Gutes als auch für Schlechtes verwendet werden. Fernsehen zum Beispiel kann ein großartiges Bildungswerkzeug sein, oder aber eine anti-intellektuelle Kraft, die die Massen verdummen lässt. Mit jeder neuen Technologie eröffnen sich für Künstler und Künstlerinnen neue Möglichkeiten, sich auszudrücken und die Gegenwart zu reflektieren. Heute ist es einfacher geworden, zu manipulieren und Bilder zu schaffen, die echt erscheinen, aber in Wirklichkeit vollständig digital erstellt wurden. Algorithmisch erschaffene Bilder sind heute so allgegenwärtig, weil sie, zum Teil zumindest, technologischer Ausdruck unserer Zeit sind.

Inwiefern?

KI-Bilder spiegeln eine Welt, in der der Wahrheitsbegriff bereits an seine Grenzen gekommen ist und der Konsens darüber, was Realität ist, in sich zusammengefallen ist. Andererseits entspringen die ganzen Vorbehalte, die Menschen eventuell gegenüber digitalen Technologien und KI-generierten Bildern haben – dass es trügerische Illusionen seien – einer alten Skepsis, mit der Menschen jeder Form der Bildschöpfung durch die Jahrhunderte hindurch entgegengetreten sind. Platon verbannte die Poesie und die Dichter aus seiner idealen Stadtgesellschaft. Die Druckerpresse wurde zunächst als Werkzeug verteufelt, das zur Manipulation der Bevölkerung dienen könnte.

Es kommt also drauf an, was man daraus macht?

Technologien transformieren  die Welt um uns herum, aber sie sind auch selbst Produkt eines sich wandelnden menschlichen Geists. Technik ist keine abstrakte deterministische Kraft, die uns kontrolliert. Wir als Individuen haben einen freien Willen, obwohl es sich oft so anfühlt, als ob wir Sklaven der Werkzeuge seien, die wir selbst geschaffen haben. Eine der Aufgaben eines Künstlers ist es, das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Technik auf einer ästhetischen Ebene zu untersuchen. In meiner künstlerischen Arbeit nutze ich eben jene Werkzeuge, die uns von uns selbst, der Gesellschaft und der Natur entfremden.

Kann von KI geschaffene Kunst für Menschen überhaupt interessant sein?

Das ist eine der Fragen, denen ich in meinen Werken nachgehe. Wenn man eine brandneue Technologie anwendet, ist es schwer vorherzusehen, was das für die Menschen in der Zukunft bedeutet und wie diese Technologie altern wird.

In Ihrem Film "Punctured Sky", der derzeit in Ihrer Ausstellung im Schinkel Pavillon zu sehen ist, erzählen Sie die ziemlich umheimliche Geschichte eines Mannes, der nach einem  Computerspiel sucht, das vielleicht nie existiert hat. Wie funktioniert dieses Phänomen des falschen Gedächtnisses?

Meine Arbeit hat sich von Anfang an mit Gedächtnis und Geschichte auseinandergesetzt, und damit, wie wir unsere Identitäten durch Erinnerungen konstruieren, sowohl als Individuen als auch als Gesellschaft. Aber mich interessiert auch, wie Gedächtnis und Geschichte in der Gegenwart entstehen. Das Vergangene kann nur durch die Augen der Gegenwart betrachtet werden. Auf der einen Seite ist das Vergangene eine fremde Welt, das ultimative Unbekannte. Das bedeutet aber nicht, dass keine Wahrheit in den Erinnerungen liege oder dass die Vergangenheit pure Fiktion sei. Eine falsche Erinnerung von etwas, das in Wirklichkeit nicht passiert ist, hat reale psychische Auswirkungen auf das Leben einer Person. Außerdem manifestieren sich, wie Freud an dieser Stelle anmerken würde, in der falschen Erinnerung auch Wahrheiten. In Bezug auf Videospiele und das Internet interessiert mich, wie bestimmte Medien unsere Wahrnehmung der Welt in der Gegenwart lenken und Einfluss darauf nehmen, wie wir uns an die Vergangenheit erinnern. Digitale Technologien sind in ihrer Immaterialität einzigartig: Alles kann aufgezeichnet werden, aber genauso schnell auch wieder verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.


In Ihren Arbeiten erscheint das Internet wie ein bösartiger Ort voller Lügen, der einen verrückt macht. Spiegelt das, wie Sie auf das Internet blicken?

Ich hoffe, dass meine Arbeit, so sehr sie auch von den Schattenseiten des Internets und seinem Chaos inspiriert ist und sie reproduziert, die Möglichkeit einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der psychologischen und historischen Bedeutung von Online-Kultur zeigt. Ich feiere Online-Kultur und kritisiere sie zugleich. Wie viele Künstlerinnen und Künstler vor mir fühle ich mich zu dem Grotesken und zum Elend hingezogen. Das hängt nicht direkt mit dem Internet selbst zusammen, sondern kann als tiefergehender Strang der Kultur der Moderne wahrgenommen werden, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Ich erschaffe visuelle Poesie aus vorgefundenen Bildern, die aus allen Ecken des Internets entstammen und in der Tradition symbolistischer und spätdekadenter Dichtkunst stehen, etwa von Baudelaire. Diese Bilder spiegeln die selbstzerstörerischen Züge unserer Zeit und üben die gleiche Anziehungskraft aus, die auch die Symbolisten empfanden.

Was halten Sie davon, dass Elon Musk Twitter gekauft hat?

Es ist noch zu früh, um darüber urteilen zu können. Aber es ist auch nicht die Rolle des Künstlers, die Zukunft vorherzusagen. Ich hoffe, der Kauf lenkt Elon nicht von seinen coolen Projekten ab, etwa seinen Marsmissionen oder davon, Cyberpunk-Fahrzeuge zu bauen.

Im Jahr 2020 wurden Sie auf einem Instagram-Kanal des "sexuellen Fehlverhaltens" und des "Machtmissbrauchs" beschuldigt. Ausstellungen wurden abgesagt, der öffentliche Druck war groß. In der Zwischenzeit haben Sie die Zeitung verklagt, die den Artikel veröffentlicht hat, und die Anklageschrift ins Netz gestellt, um die Vorwürfe zu widerlegen. Den Chat-Nachrichten, die dort zu lesen sind, kann man eindeutig entnehmen, dass die Treffen mit den Frauen, die sich gegen Sie wandten, konsensuell waren. Zudem war keine der Frauen von Ihnen abhängig. Was aber im ersten Aufruhr kein Gehör fand. Wurde auch dieser Vorgang von der Logik der Social-Media-Kampagnen angetrieben?

Soziale Medienplattformen fördern oft die Polarisierung und verhindern einen sinnvollen und nuancierten Diskurs. Es ist eine Ironie, dass ich mich in diesem von den sozialen Medien angetriebenen Wahnsinn wiederfand, denn genau diese Mechanismen gehören zu den Phänomenen, die ich in meiner künstlerischen Praxis untersuche: Wie bringt uns die Technologie näher zusammen und wie treibt sie uns weiter auseinander? Dennoch war es schockierend für mich, dass ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren überstürzt geurteilt wurde, ohne dass die Fakten berücksichtigt wurden. Es gibt eine Ekstase der Gruppenmacht, aber die ist nicht auf das Internetzeitalter beschränkt. Sie findet sich in der Französischen Revolution, im Aufstieg des Faschismus und in der Kulturrevolution. Das Internet mag dies noch verschärfen, aber es ist in der Gesellschaft endemisch, mit oder ohne soziale Medien.