Fotografin Julia Autz über Belarus-Serie

"Ich wollte das Leben im Hier und Jetzt abbilden"

Julia Autz hat in Belarus junge Menschen fotografiert, die sich durch die politischen Umstände zum Warten verdammt fühlen. Hier spricht sie über die Lage im Land, Individualität im Verborgenen und Bilder für Resignation

Seit 1994 ist Alexander Lukaschenko in Belarus an der Macht, junge Menschen kennen ihr Land nicht ohne ihn. Julia Autz zeigt in ihrer Serie "While I was waiting", was es für diese Generation bedeutet, in einem Land aufzuwachsen, in dem freiheitlich-demokratische Werte unterdrückt werden.

Die Fotos entstanden zwischen 2017 und 2019, also vor den jüngsten landesweiten Protesten; in einer Zeit, in der es nur wenige Menschen gab, die gegen das Regime rebellierten. Dafür umso mehr, die sich mit den Regeln scheinbar desillusioniert arrangiert hatten. Autz setzte meist junge Personen dagegen, die trotz allem nach Individualität streben, sich aber in ihrer Sexualität, politischen Haltung und Lebensweise nicht offen ausdrücken können.

Wie fotografiert man das Warten, Julia Autz?

Das war nicht geplant, sondern ist einfach so passiert, als ich in Belarus war. Für viele Menschen dort sind ihre eigenen vier Wände der einzige Ort, an dem sie ihre Identität ausleben können. Sie in diesem intimen Raum zu porträtieren, macht die Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelt deutlich. Ich habe viele Menschen beobachtet, die am Fenster standen und nach draußen geblickt haben. Ihre Vorhänge sind ein Schutz, schirmen sie aber gleichzeitig auch von der Realität ab.

Warum ist die Reihe "While I was waiting" in Belarus entstanden?

Lukaschenko regiert dort seit fast 30 Jahren, die junge Generation kennt es nicht anders. Ich habe mich gefragt, wie es ist, so aufzuwachsen. Als ich 2017 begonnen habe, mich für Belarus zu interessieren, war das Land für viele Menschen nichts weiter als ein weißer Fleck auf der Landkarte. Gerade deshalb fand ich es wichtig, etwas über das Leben der Menschen dort zu erzählen.

Wie haben Sie die junge Generation in Belarus erlebt?

Ich habe gezielt nach Menschen gesucht, die nach Individualität streben – etwas, was in Belarus nicht erwünscht ist. So bin ich mit Künstlerinnen, Aktivisten, Musikerinnen und Oppositionellen in Kontakt gekommen. Menschen, die ihren eigenen Weg gehen und nicht mit den Regeln des Regimes konform sind.

Ist Warten in Belarus ein kollektives Gefühl?

Zuerst dachte ich, dass ich in Belarus die Extreme fotografieren muss, zum Beispiel Oppositionelle oder Leute, die im Gefängnis waren. Dann habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich der Großteil der Bevölkerung in einem Wartezustand befindet. Ich wollte das Leben im Hier und Jetzt abbilden, in einer Gegenwart, in der nichts passiert. So war es zumindest von 2017 bis 2019, als die Bilder entstanden sind.

Ist dieses Gefühl durch die Proteste 2020 unterbrochen worden?

Der Titel "While I was waiting" ist auf jeden Fall eine Anspielung auf die Proteste in Belarus. Zu dieser Zeit hat sich die Bevölkerung aus ihrem abwartenden Zustand gelöst. Das hat nicht nur die Intellektuellen betroffen, sondern die breite Masse. Die Proteste sind aber schließlich so brutal niedergeschlagen worden und die Repressionen sind so schlimm, dass viele das Land verlassen mussten.

Warten junge Menschen anders als alte?

Seit 30 Jahren hat sich in Belarus politisch kaum etwas verändert. Ich habe auf meinen Reisen junge Punks getroffen, die das euphorische Gefühl hatten, etwas verändern zu können. Vielleicht hat man als junger Mensch mehr Hoffnung. Aber mit der Zeit kommt für viele die Resignation.

Bedeutet Warten Stillstand?

Zumindest entsteht durch warten Monotonie. Ich selbst hasse es, zu warten.

Was machen Sie, wenn Sie warten?

Rauchen.