Biennale-Künstlerin Maria Eichhorn

"Die Kunst bleibt anarchisch und widerständig"

Bei der Venedig-Biennale 2022 wird Maria Eichhorn den Deutschen Pavillon bespielen. Hier spricht sie über die Auflösung des Nationenbegriffs, den Einfluss des Kunstmarkts auf Großausstellungen und ihr ambivalentes Verhältnis zur Lagunenstadt 

Für die coronabedingt um ein Jahr verschobene Biennale in Venedig wird Maria Eichhorn den Deutschen Pavillon gestalten. Die in Berlin lebende Künstlerin überrascht und erstaunt oft mit ihren Arbeiten. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagt sie, was sie bei der Vorbereitung für Venedig bewegt.
 

Maria Eichhorn, nach mehreren anderen Biennalen und zwei Teilnahmen in Venedig: Worin liegt für Sie das Besondere, nun den Deutschen Pavillon zu gestalten?

Es gibt Unterschiede zu anderen Biennalen, in diesem Fall in Venedig ist der Austausch mit dem Kurator, mit Yilmaz Dziewior, intensiver im Vergleich zu den Gruppenausstellungen, wo man Teil eines größeren Zusammenhangs ist, der einzelne Beitrag geht in der Gesamtheit aller Beiträge auf. Diesmal steht meine Arbeit mehr im Fokus der Öffentlichkeit und der Medien. Wenn wir aber nicht nur den einzelnen Pavillon, sondern die gesamte Biennale, alle Länderbeiträge betrachten, tritt mein Beitrag wieder zurück und ist einer unter vielen.

Das Konzept der Biennale wird auf vielen Ebenen und in unterschiedlicher Weise immer wieder in Frage gestellt. Wird das System der Pavillons der Gegenwartskunst gerecht?

Auch wenn Kunst in nationalen Pavillons gezeigt wird, bleibt Kunst, wie ich sie verstehe, international und kosmopolitisch, anarchisch, widerständig, politisch und polemisch, fragmentarisch, kritisch und unabhängig davon. Es ist nur eine vorübergehende Phase des Zeigens in diesen Pavillons und diesen Zusammenhängen. Kunst bleibt davon unabhängig.

Sie werden als Künstlerin mit deutscher Staatsangehörigkeit den deutschen Pavillon gestalten. Was bedeuten Begriffe wie Nation für Sie als Künstlerin?

In Deutschland leben heute über 21 Millionen Menschen aus fast 200 Ländern, jede/jeder Vierte hat eine Migrations- oder Zuwanderungsgeschichte. In fast jedem Land leben Menschen aus der ganzen Welt. Begriffe wie Nation lösen sich aus meiner Sicht immer mehr auf.

Die Vergangenheit des Pavillons, seine NS-beeinflusste Architektur sind schon auf sehr unterschiedliche Weise thematisiert worden. Wie beeinflusst das Ihr Vorgehen?

Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich Künstlerinnen und Künstler mit dem Pavillon umgegangen sind, welche Aspekte dabei aufgetaucht und Zusammenhänge klar geworden sind. All diese früheren künstlerischen Arbeiten üben ganz selbstverständlich einen Einfluss auf zukünftige Beiträge aus, auch auf meinen. Ich gehe aber davon aus, dass Künstlerinnen und Künstler ihre jeweils eigene Sprache haben, eigene Formen und Inhalte entwickeln. Auch Zeit etwa spielt eine große Rolle. Es entwickelt sich eher weg von der Architektur des Pavillons. Was gezeigt wird, hat mit der jeweiligen künstlerischen Praxis zu tun. Insofern sind alle sehr unterschiedlich, man muss sich nicht abgrenzen, sondern macht einfach seine Arbeit, die man seit Jahrzehnten macht.

In Ihren Arbeiten befassen Sie sich auch mit deutscher Geschichte. Inwiefern wirkt der Pavillon dabei als Verstärker?

Meine Arbeiten befassen sich vor allem mit der Gegenwart. Also: Wie gehen wir heute mit den Nachwirkungen unserer Geschichte um? Der Pavillon ist natürlich auch Teil der Geschichte, und wir sind heute davon beeinflusst, ob wir wollen oder nicht. Aber man muss sich nicht mit dem Pavillon befassen. Wobei sich Künstlerinnen und Künstler immer wieder mit ihren Beiträgen ortsspezifisch geäußert haben. Es ist interessant, dass dieser Pavillon so eine Ortsbezogenheit herausfordert. Es gab aber auch Beiträge, die sich davon distanziert haben, oder sich von der Distanzierung distanziert haben.

Die Documenta in Kassel und die Biennale in Venedig gelten als wichtigste Ausstellungen für Gegenwartskunst. Was unterscheidet die beiden Veranstaltungen für Sie als teilnehmende Künstlerin?

Die Documenta findet nur alle fünf Jahre statt, da gibt es viel mehr Zeit, neue Arbeiten zu entwickeln. Es gibt eine größere Aufmerksamkeit vom Fachpublikum. Und dann gibt es auch einen engeren Austausch mit Künstlerkolleginnen und -kollegen. Das Soziale, das Gemeinschaftliche ist ziemlich stark. In den Wochen vor der Eröffnung sind alle Künstlerinnen und Künstler in Kassel, man trifft sich oft, geht gemeinsam essen, Freundschaften werden geknüpft. Venedig ist viel mehr auf den Kunstmarkt fokussiert. Galerien oder Sammler finanzieren künstlerische Beiträge, und Künstlerinnen und Künstler ohne kommerzielle Unterstützung verschulden sich. Aber auch da gibt es natürlich Ausnahmen, die Biennale kann auch kritische, politische Dimensionen haben, trotz der Dominanz des Kunstmarkts. Gemeinsam ist beiden Ausstellungen das Internationale, Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt nehmen teil und auch die Besucherinnen und Besucher kommen aus fast der ganzen Welt.

In welcher Form hat Venedig mit seinem sehr eigenen Charme und der übervollen Geschichte Einfluss auf Ihre Arbeit?

Venedig hat eine magnetische Anziehungskraft, der man sich kaum entziehen kann. Ich mag die Stadt sehr. Aber ich übersehe nicht die Auswirkungen, die Venedig im Griff haben: die globale, neoliberale Wirtschaftspolitik, Mieten, die ins Endlose steigen, Venezianerinnen und Venezianer, die verdrängt werden, und ein Sozialgefüge, das auseinanderbricht. Ich sehe in Venedig immer beide Seiten, diesen unglaublichen Charme und diesen Massentourismus, der den Menschen extrem zusetzt und das sensible ökologische Gleichgewicht in der Lagune zerstört.

Ihre Arbeiten erstrecken sich häufig über größere Zeiträume, manche Projekte entwickeln sich auch eher in einer Gedankenwelt der Betrachtenden. Welche Rolle spielt diese Wirkung Ihrer Arbeit beim Entstehungsprozess?

Die Zugänglichkeit meiner Arbeit ist mir vor allem bei diesen großen Ausstellungen sehr wichtig. Deshalb versuche ich immer, mehrere Zugangsebenen einzubauen, um es den Besucherinnen und Besuchern zu erleichtern, die Arbeit zu rezipieren. Ich versuche auch immer, ihnen die Entscheidungsfreiheit zu lassen, sich aktiv oder passiv zu meiner Arbeit zu verhalten. Jede/jeder kann ihre/seine eigenen Gedanken daran anknüpfen, kann etwas anderes damit anfangen, bringt einen jeweils eigenen Hintergrund mit, eigene Gedanken und Erfahrungen.

Wie beeinflusst die Pandemie-Lage Ihre Arbeit?

Es gibt sicher einen Einfluss, welchen Einfluss, kann ich kaum in Worte fassen. Die weltweiten Veränderungen, alles was seit Beginn der Pandemie geschieht, kann nicht ohne Einfluss sein, auf jeden Menschen, insofern bestimmt auch auf künstlerische Arbeiten und auch auf meine.

Am 23. April 2022 eröffnet die 59. Venedig-Biennale. Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig in Köln sowie Kurator des deutschen Pavillons, und Assistenzkuratorin Leonie Radine lassen uns in ihrer Kolumne "Post aus Venedig" regelmäßig an ihren Recherchen für ihren Beitrag teilnehmen