Fotograf Maxime Ballesteros im Interview

"Das Nackte ist für mich nicht sexy"

Wie seltsam kann der Alltag sein, wie anrührend die Ekstase, wie normal das Unvertraute? Der französische Fotograf Maxime Ballesteros ist mehr als ein brillanter Chronist des Berliner Nachtlebens, das beweist sein erstes Fotobuch. Ein Interview

Maxime Ballesteros, eine Fotografie sagt immer auch etwas über den Menschen hinter der Kamera aus. Was erzählen Ihre Bilder über Sie?
Meine Fotografie ist eher das Gegenteil meiner Persönlichkeit. Ich bin schüchtern und gern zu Hause, aber die Fotografie zwingt mich dazu, rauszugehen und sozial zu sein. Mir fällt es sehr schwer, mich anderen Menschen zu nähern, ja ich würde nie verreisen, wenn ich nicht fotografieren müsste. Aber wenn ich dann erst einmal irgendwo bin, treibe ich es immer weiter, will ich weitergehen. Die Fotografie ist nach wie vor eine große Herausforderung für mich, weil sie meinem Naturell widerspricht. Darin liegt der Kitzel.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Ich hab mich sehr langsam entwickelt. Seit ich 16 war, hatte ich ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotografie gemacht und sehr viel Zeit in der Dunkelkammer verbracht. Ich liebte den dark room. Die Kunsthochschule in St. Etienne bei Lyon war sehr akademisch ausgerichtet, im ersten Jahr brachten sie dich regelmäßig zum Heulen. Eine harte Zeit, aber auch ein gutes Training, zumal man als junger Mensch oft ja ein bisschen hochnäsig daher kommt. Damals habe ich viel Architektur und Objekte fotografiert, da ich Angst vor Menschen hatte. Das Ende der Schwarz-Weiß-Periode war erreicht, als ich anfing, mit Blitz zu arbeiten. Das bedeutete, dass ich auch nachts arbeiten konnte, und so fing an ich, meine Freunde zu fotografieren, auf Partys zu gehen.

Sie leben seit 2007 in Berlin und wurden hier bekannt für Ihre intensiven Party-Aufnahmen. Was ist so faszinierend am Nachtleben?
Die Menschen. Die Intensität, wenn wildfremde Leute diverser Herkunft für ein paar Stunden zusammenkommen in dieser Mikrowelt. Der Spaß, die Freiheit. Das Gefühl, das etwas passieren könnte, sei es eine Schlägerei oder eine Liebesgeschichte.

Über Türsteher oder Fotografieverbote schützen Clubs wie das Berghain diese Intimität. Haben Sie dafür Verständnis?
Absolut. Das Berghain ist großartig. Und es würde nicht existieren, wenn man dort fotografieren dürfte. Es sollte mehr solcher Orte geben.

Dann wären Sie arbeitslos.
Wenn ich einen Auftragsjob habe, wissen die Leute meist, dass ich fotografiere. Und nicht selten kommen sie sogar auf mich zu mit der Bitte, fotografiert zu werden. Aber natürlich gibt es ein paar Regeln: Du fotografierst keine Menschen beim Drogennehmen, keine Paare beim Rummachen, generell niemanden, der nicht fotografiert werden will oder den du durch das Bild bloßstellen könntest. Ich schneide aber auch oft die Köpfe weg oder zeige Menschen mit Masken oder in Rückenansicht. Mir geht es nicht um die Person, sondern um die Handlung. Dann können sich die Betrachter auch leichter hineinversetzen in die Situation.

Arbeiten sie immer noch mit Film?
Ja, ausschließlich.

Warum?
Wenn man nicht die ganze Zeit auf dem Display kontrollieren kann, wie das Foto aussieht, muss man untereinander Vertrauen aufbauen. Man diskutiert nicht groß rum, es ist sehr viel effizienter. Manchmal mache ich Shootings über fünf Tage, und während der gesamten Zeit sieht niemand auch nur ein einziges Bild. Es ist eine größere Herausforderung. Natürlich ist Digital-Fotografie billiger und bequemer, aber ich habe mir von Beginn an Regeln gesetzt, weil ich sonst vermutlich zu lax werden würde.

Man muss sich mehr konzentrieren?
Ja. Manchmal hampeln Models vor mir rum und fallen in immer neue Posen. Und dann sag ich: "Was machst du da? Ich mache keine 30 Aufnahmen von dir, sondern genau eine!" Analoge Fotografie ist wie Bogenschießen, du hast einen Pfeil, du musst anvisieren, um ins Schwarze zu treffen. Digitale Fotografie ist, als ob du mit einem Maschinengewehr die gesamte Zielscheibe zerballern würdest. Aber das ist mein Tick, digital funktioniert für andere Fotografen wunderbar.

Wer sind Ihre fotografischen Vorbilder?
Anfangs waren das vor allem die Klassiker, Henry Cartier-Bresson, William Klein, Helmut Newton.

Sie scheinen ähnliche Fetische wie Newton zu haben, lange Beine, Latex, High Heels …
Ich brauche immer mehrere Ebenen in einem Bild, um die Dinge spielerischer und vielschichtiger zu machen. Frauen oder Männer nackt zu fotografieren, interessiert mich überhaupt nicht. Das Nackte ist für mich nicht sexy.

Was interessiert sie an High Heels?
High Heels drücken Macht aus. Sneakers ziehst du mal eben über, mit denen bist du schnell und beweglich. Aber für High Heels entscheidest du dich ganz bewusst. Du kannst dich in ihnen nicht so schnell bewegen, eigentlich musst du die ganze Zeit an einem Ort stehen, wie eine Skulptur. Du musst im Moment sein, im Bewusstsein der Situation. Als Fotograf interessiert mich aber auch die grafische Form. High Heels sind spitz, fast gewaltsam. Sie haben ein zerstörerisches Element.

Bei Modefirmen und Magazinen ist kaputte Sexiness zurzeit sehr gefragt, das Label Vetements hat mit seiner Anti-Fashion-Attitüde den Betrieb aufgemischt.
Vetements sind sehr clever und talentiert. Sie sind fast schon Konzeptkünstler in dem Sinn, dass die PR beinahe wichtiger ist als die Produkte. Ihre erste Kollektion war großartig, wie ein radikales Happening. Sie haben gezeigt, dass du mit dem größten Unsinn Erfolg haben kannst, das war subversiv, weil es die Lächerlichkeit des Modebetriebs spiegelte. Hätten sie danach einfach aufgehört, wären sie unsterblich für mich. Jetzt müssen sie aufpassen, nicht zu routiniert zu werden. Vielleicht verkörpern sie aber einfach die neue Generation. Ich bin 33, also auch nicht so alt, aber als ich aufwuchs, konntest du ein Thrasher-T-Shirt nur tragen, wenn du Skater warst. Ein Ramones-Shirt reflektierte dein Leben. Du musstest dir das Recht erarbeiten, es zu tragen. Heute ist es das Gegenteil. Es geht nur noch ums Vermarkten, es sind leere Zeichen. Momentan scheint mir das alles etwas hohl, es gibt zu viele Bilder, zu viele Slogans und am Ende steht nichts dahinter. Vielleicht ändert sich das aber auch wieder. Die jungen Leute sind nicht blöd, die werden dagegen rebellieren und vielleicht mit etwas Ehrlicherem kommen.

Sie veröffentlichen jetzt Ihr erstes Buch unter dem Titel "Les Absents" – auf deutsch: "Die Abwesenden". Spüren Sie diese Leere auch in der Fotografie?
Als ich mein Archiv durchschaute, kam dieses Gefühl der Einsamkeit in mir hoch. Man ist ständig von Menschen umgeben, aber dennoch allein. Die Partys müssen immer größer und verrückter werden, wie eine ständige Kompensation. Wie überkommen wir diese Ängste, wie machen wir das Leben erträglich? Ein Fotoarchiv ist ja auch wie ein Friedhof für die Träume, die man mal hatte, die vielleicht zwei, drei Monate gültig waren und dann zerbrachen.

Was zeigen Sie in Ihrem Buch?
Es ist eine Monografie meiner Arbeiten der vergangenen zehn Jahre. Auftragsarbeiten sind dabei, aber vor allem persönlichere Fotografien über meine Reisen, über Liebe, Freunde, den Clash des Natürlichen und Menschengemachten. Das Leben ist mehr als Berlin-Partys.

Aber Sie bleiben der Stadt schon treu?
Ich überlege immer mal wieder, woanders hin zu gehen, aber zurzeit gibt es einfach keine bessere Stadt.

Eckart Köhne, der Direktor des Badischen Landesmuseums im Schloss Karlsruhe, in dem das Museum untergebracht ist