Roman "Technophoria"

"Alles, was unglaublich klingt, passiert wirklich"

Ist die Stadt der Zukunft für Menschen oder für Roboter gebaut?
Foto: Scott Webb / Pexels

Ist die Stadt der Zukunft für Menschen oder für Roboter gebaut? In Niklas Maaks "Technophoria" geht es auch um das Leben in Smart Cities

Keiner weiß mehr, wie seine eigene Tür aufgeht, Städte sind Privatunternehmen und draußen siedelt sich der Wolf an. In seinem Roman "Technophoria" entwirft Niklas Maak ein ambivalentes Bild der smarten Zukunft. Ein Gespräch über die datenbasierte Welt


Niklas Maak, Ihr Roman "Technophoria" spielt in Teilen in einer völlig datenbasierten Alltagswelt. Wie sind sie vorgegangen, um diese Welt glaubwürdig zu konstruieren?
 
Ich habe zur Recherche für das Buch in den vergangenen Jahren viel Zeit mit Smart-City-Planern verbracht und mit Roboterbauern, die daran arbeiten, dass wir eine künstliche Intelligenz beim Mailen oder telefonieren nicht mehr von einem Menschen unterscheiden können. Aber auch im Alltag drängt sich diese neue Welt einem ja so massiv auf, dass man sie gar mehr nicht ignorieren kann. Ein Roboter befiehlt beim Einloggen "Beweise, dass Du kein Roboter bist", und dann muss man endlos Zebrastreifen und Ampeln auf Fotos markieren. Alles sieht nur auf den ersten Blick so aus wie früher – aber wenn wir genau hinschauen, dann sind Häuser, Städte und Autos längst bewohnbare Roboter geworden.

Inwiefern?

Mein Mietwagen bimmelt nach ein paar Stunden Fahrt plötzlich und zeigt dort, wo eben noch die Geschwindigkeitsanzeige war, eine sehr hässliche Kaffeetasse, mit der Aufforderung, eine Pause zu machen, weil Sensoren angeblich "Müdigkeit erkannt" haben. Ich bin aber gar nicht müde. Falls ich jetzt weiterfahre und es kommt zu einem Unfall, werde ich meine Selbstwahrnehmung gegen die Einschätzung eines Algorithmus verteidigen müssen. Der sogenannte "gesunde Menschenverstand", die Selbstbestimmung wird es in einer Welt, in der die Annahme sich verbreitet, dass Maschinen es am Ende besser können als Menschen, nicht einfach haben. Diese kollektive Selbstentmündigung wird, glaube ich, noch zum zentralen Problem der kommenden Jahre werden.  

Beim Lesen hat man nach und nach das Gefühl, dass hier kein Science-Fiction-Roman vorliegt, sondern dass es diese Welt bereits gibt. Wir realistisch ist diese Testsiedlung von Smart Homes vor den Toren Berlins, die Sie beschreiben?
 
Häuser und Stadtviertel wie die, die ich im Buch beschreibe, werden gerade von privaten Firmen wie Google in Toronto oder von Toyota bei Tokio geplant, und Siemens will tatsächlich auf dem Berliner Firmengelände eine Smart City bauen. Technophoria ist eigentlich eine Art Anti-Science-Fiction-Roman. Alles, was unglaublich klingt, passiert wirklich – selbst die Idee, die im Buch eine zentrale Rolle spielt, nämlich einen Kanal vom Mittelmeer in die libysche Wüste zu sprengen und dort das größte Binnenmeer der Welt entstehen zu lassen, womit man durch die Wolkenbildung die Temperaturen in der Sahara erträglicher machen und die steigenden Meeresspiegel wieder senken, also den Klimawandel bremsen kann: Diese Ideen gab und gibt es wirklich.

Was daran macht den interessanten literarischen Stoff aus?

Mich hat dabei vor allem die Frage nach der Rolle von Technologie in der aktuellen Situation interessiert: Es ist klar, dass wir, nur indem wir nicht mehr fliegen und kein Fleisch mehr essen, den Klimawandel nicht mehr aufhalten. Was aber tun? Die einen sagen: der Mensch hat genug angerichtet, er muss wieder so spurlos wie vor der industriellen Revolution leben. Die anderen – nennen wir sie die Techno-Euphoriker – argumentieren, dass der Mensch so viel Unordnung angerichtet hat, dass nur mehr Technologie und ein entschlossener Umbau der Welt -  etwa durch die Flutung ganzer Wüsten – sie noch retten kann. Ist es unverantwortlich, so in die Natur einzugreifen – oder unverantwortlich, nichts zu tun? Das ist eine Frage, mit der sich die Figuren in diesem Buch herumschlagen.
 
Interessanterweise wohnen die Entwickler dieser neuen Welten in Villen aus der Jahrhundertwende mit handgedrechselten Treppengeländern.

Das stimmt. Driessen, der CEO eines Smart-City-Start-Ups, lebt zunächst in einem alten Landsitz, der selbst unter den Erfindern der neuen Welten noch als Statussymbol gilt. Dann lässt er sich aber ein Smart Home bauen, in dem alles touchless ist und die Türsensoren den Hund nie erkennen. Seine Frau hasst es dort. Das ist natürlich eine kleine Hommage an Jacques Tati, an das Haus in Blake Edwards "The Party" und an Evelyn Waughs "Decline and Fall", wo Lady Beste-Cherwynde ihr Schloss aus der Tudorzeit zugunsten eines Eisenbeton-Aluminiumhauses abreißen lässt.
 
Niemand weiß mehr, wie seine Tür auf- oder zugeht, während draußen der Wolf in die besiedelten Gebiete zurückkehrt.
 
Das ist ein anderes Thema des Romans – die Nähe einer Welt, in der das Verhalten aller Einwohner von Algorithmen gesteuert und vorausberechnet wird, zu einer nach wie vor nicht steuerbaren Natur. Einige der Helden dieses Buchs entscheiden sich auch, aus den Städten, die in ihrer Sicht das Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung zugunsten von Komfort und Sicherheit aufzugeben, sich in der Natur zu verschanzen. Andere entdecken in den Serverfarmen, wo alle Daten aller Menschen gespeichert sind, eine neue Form von Natur, sie stehen vor den flimmernden endlosen Serverracks wie die Romantiker vor der Erhabenheit eines Nebelmeeres in den Bergen. Turek ist anders als seine Freundin Aura, die sich rechtzeitig absetzt in eine Land-Kommune, letztendlich auch so ein Techno-Romantiker.
 
Es gibt ein paar verhängnisvolle Fails und auch sehr gute Slapstick-Momente. Trotzdem ist Ihre Hauptfigur Turek kein Gegner der digitalen Technik.
 
Das wäre ja auch langweilig – nichts ist deprimierender als der Kulturpessimismus jener dogmatischen Permakulturalisten, die die einzige Überlebenschance darin sehen, wieder in Lehmhütten zu wohnen und alles selbst anzubauen und sich dem digital detox hinzugeben. Es gibt ja viele Sachbücher darüber, wie schädlich das Leben mit dem Mobiltelefon und in digitalen Netzwerken ist. Mich hat das interessiert, was seltener beschrieben wird – wie die Glätte des iPhones, das blaue Leuchten des iPads, das Stakkato der Messages die Art verändert, wie wir auch die physische Welt, unsere Körper wahrnehmen und bewegen, wie wir auf künstliche Stimmen reagieren …
 
… die des Sprach-Bots Alexa zum Beispiel.

Der geht Turek allerdings kaputt: Irgendetwas am Lautsprecher ist kaputt, und die warme, angenehme Stimme klingt plötzlich wie eine böse alte Hexe, die den wahren Charakter der Technologie offenbar. Auch ein künstlicher Mensch steht plötzlich ohne seine Silikonhaut im Raum wie ein Skelett. "Technophoria" ist ja auch eine klassisch romantische, von Gespenstern bevölkerte, E.T.A.-Hoffmannsche Schreckensgeschichte fürs digitale Zeitalter. Wobei Versprechen und Schrecken, Gefahr und Chance der technologischen Revolution damals wie heute eng beieinander liegen.
 
Turek sieht vor allem Chancen. Aus Freude am Neuen, aus Neugier und Begeisterungsfähigkeit. Um eine nicht in erster Linie profitgetriebene, soziale Vision für die durchdigitalisierte Zukunft zu entwickeln, können da Notstände wie gerade jetzt helfen?
 
Die Corona-Krise zeigt ja vor allem auch, dass eine bestimmte Form von neoliberalem Effizienzdenken die Welt in eine im Wortsinn lebensbedrohliche Krise gestürzt hat: Dass so viele Menschen sterben, liegt auch daran, dass private Akteure, die Krankenhäuser profitabel machen wollten, die Intensivstationen, Beatmungsgeräte und Bettenkapazitäten weggespart haben. Der Slogan "Capitalism kills" stimmt hier auf eine furchtbare Weise. Nach Corona wird man auch über den Kahlschlag und die Privatisierungen von nicht nur "systemrelevanten", sondern überlebenswichtigen öffentlichen Einrichtungen reden müssen.
 
Haben Sie ein paar gute Beispiele?

Genau genommen spielt "Technophoria" die Optionen durch, die wir haben: Hingabe an die neuen Technologien, Flucht vor ihr – oder Kampf darum, die Hoheit über unsere Daten zu behalten und sie nicht (wie in den Vereinigten Staaten) an private Konzerne oder (wie in China) an autoritäre Regimes abzugeben. Das könnte ein Dritter Weg für Europa und Afrika sein: Eine moderne Gesellschaft, die Instrumente schafft, die Datenhoheit in Hand der Bürger zu lassen. Dadurch würde sich alles ändern – wie regiert wird, wie Entscheidungen getroffen werden, auch, wie wir uns fühlen, wenn wir kommunizieren und im öffentlichen Raum oder im Internet sind.
 
Eine Nebenfigur namens Doctoroff ist angelehnt an den Entwickler der Hudson Yards, jenem gerade entstehenden Stadtteil von Manhattan, der unter dem Versprechen der Smart City eine gut durchorchestrierte Kontrollgesellschaft etabliert. Wird über diesen Wandel überhaupt genug diskutiert?
 
Eben nicht. Man nimmt es hin, dass private Anbieter ganze Stadtteile mit Überwachungskameras ausrüsten und mit Sitzbänken mit Ladegelegenheit, die sämtliche Bewegungsdaten absaugen und auswerten, die Krankenversorgung privatisieren … Die Smart City ist eine Gelegenheit für Konzerne im Moment, in dem die westlichen Konsumgesellschaften an eine natürliche Wachstumsgrenze stoßen, alle aus den bestehenden Städten herauszureißen, was sie ausmachte, und durch ihre neuen, angeblich smarten Produkte zu ersetzen: nicht nur ineffiziente Fassaden und Verbrenner-Autos, die durch Elektroautos ersetzt werden, sondern auch die bestehenden staatlichen Versorgungsysteme. Und der Staat schaut dem nicht nur zu wie das berühmte Kaninchen der Schlange, er wirft sich diesen Privatunternehmen auch freiwillig in den Rachen.

Wie zum Beispiel?

Toronto überlässt die beste Uferlage dem Google-Konzern, um dort eine Smart City zu bauen, Berlin lässt seine Digitalstrategie von der Unternehmensberatung Ernst and Young entwickeln. Smart sind die neuen Produkte nur für die Anbieter, die damit unfassbar viel Gewinn machen können. Doctoroff, der als Investment-Banker bei Lehmann begann, bevor er erst Berater des Unternehmers Michael Bloomberg in seiner Zeit als New Yorker Bürgermeister war und dann die Stadtplanungsabteilung von Googles Mutterkonzern Alphabet übernahm, ist der Prototyp des Unternehmers, der sich vorübergehend als Politiker verkleidet, um aus Städten florierende Privatunternehmen zu machen.
 
Glauben Sie, dass man beides haben kann: Komfort, und die Kontrolle behalten?
 
Ich würde sagen: Wir haben fast zu viel Komfort gerade, wir brauchen dringend Kontrolle über unsere Daten und über das, was damit angestellt wird.
 
"Technophopria" ist trotz allem keine Dystopie geworden. Es steckt voller Ideen. Welche würden Sie gerne sofort umsetzen?
 
Eine Serverfarm, die die Abwärme der Rechner nutzt, um einen künstlichen Urwald oder ein gigantisches Schwimmbad auf ihrem Dach zu beheizen. Als neuen öffentlichen Ort, an dem die Bürger das feiern und sehen können, was sie zusammen an Daten produziert haben. Mitten in der Stadt – am besten auf dem vollendet öden Schlossplatz in Berlin.