Nachhaltigkeitsberaterin Nynke Eggen

"Wir müssen die Menge unserer Kleidung drastisch reduzieren"

Nynke Eggen ist Nachhaltigkeitsberaterin und hilft Modefirmen, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Hier spricht sie über ihre Arbeit, das langsame Umdenken der Hersteller und den Elefanten im Fast-Fashion-Raum

Die Mode und die Nachhaltigkeit, ein Problempärchen, das immer wieder neue Anläufe nimmt - und doch nicht wirklich zueinander findet. Die Fashion-Industrie ist schätzungsweise für bis zu zehn Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich - mehr als internationale Flüge und die Seeschifffahrt zusammen. Wieso gibt es also immer noch Fast Fashion? Wer gebietet dieser Praxis Einhalt? Und kann eine Industrie, die davon lebt, sich immer neu zu erfinden und neue Produkte anzupreisen, tatsächlich nachhaltig werden? 

Modemarken, die sich zu diesem Thema engagieren, werden oft mehr durchleuchtet als jene, die das ganze Thema lieber ignorieren. Die Gefahr, des gefürchteten "Greenwashing" beschuldigt zu werden, hält viele davon ab, verantwortungsbewusste Methoden anzugehen und Fortschritte zu kommunizieren. Doch Not macht erfinderisch, und jetzt eilt eine neue Berufsgruppe zur Hilfe: Nachhaltigkeitsberater. Mentorinnen und Mentoren, die Unternehmen durch den Dschungel der Maßnahmen dirigieren, Fehltritte und Skandale idealerweise umschiffen und so die Mode ein kleines Stück weiter in die richtige Richtung manövrieren. Eine von ihnen ist die Niederländerin Nynke Eggen, die das Dilemma und den Status Quo der nachhaltigen Mode erklärt. 

 

Nynke Eggen, wie wird man zu einer Nachhaltigkeitsberaterin?

Ich arbeitete etwa zehn Jahre lang in der Modeindustrie, zuerst als Designerin, dann als Produktentwicklerin. Zuletzt war ich bei einer Firma in Amsterdam angestellt, bei der ich mich langsam in die Nachhaltigkeit und Corporate Responsability hineinfand. Ich half dem Betrieb dann, sich durch die richtigen Schritte nachhaltiger zu entwickeln. Diese Rolle war wie ein "Crash Kurs", in dem ich in wenigen Jahren sehr viel gelernt habe. Heute arbeite ich als Nachhaltigkeits-Beraterin und helfe Modefirmen, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwerfen und ihren Fortschritt auf die richtige Art und Weise zu kommunizieren. 

Womit genau verbringen Sie also meist Ihre Tage?

Ich spreche vor allem mit den Menschen aus den unterschiedlichen Abteilungen des Unternehmens, das sich an mich gewandt hat und versuche, anhand verschiedener Umfragen herauszufinden, an welchem Punkt es sich aktuell auf seiner nachhaltigen Transformation befindet. Weiterhin fertige ich Risikoeinschätzungen an, um Schwachpunkte, etwa in der Lieferkette oder der Materialauswahl, herauszufinden. Ein weiterer großer Teil meiner alltäglichen Arbeit ist es, Workshops und Trainings abzuhalten, um die Teams zu schulen. Wir definieren, was Nachhaltigkeit in einem Unternehmen eigentlich bedeutet und wie man es ganzheitlich etablieren kann. Es geht auch darum, die Markenidentität herauszuarbeiten, und darauf aufbauend eine Kommunikationsstrategie zur Nachhaltigkeit.

Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Mode für Sie? Sind hier auch weniger "sexy" Bereiche wie Arbeitsbedingungen miteingeschlossen, oder geht es vor allem um den CO2-Fußabdruck und Emissionsausgleich?

Für mich persönlich bedeutet Nachhaltigkeit, so zu leben, dass wir sicherstellen können, zukünftigen Generationen genügend Ressourcen zu überlassen. Das klingt jetzt schwammig, bezieht aber alles mit ein. In den Strategien, die ich mit Firmen aufsetze, werden ihre Auswirkungen auf Menschen, Planet und Profit einkalkuliert. Auswirkungen auf die Umwelt sind wichtig, aber genauso die Menschen, die in der Lieferkette arbeiten und generell, wie man sich in der Gesellschaft positioniert, und was man ihr aussetzt. 

Warum arbeiten so viele große Unternehmen noch nicht nachhaltig?

Meine Antwort muss ich etwas auffächern. Auf der einen Seite geht es um die Priorisierung des Themas und um die Vergabe der Ressourcen und des Budgets. Viele Führungskräfte schreiben dem schlichten Überleben ihrer Firma die Priorität zu und stellen Nachhaltigkeit viel weiter hinten an. Hier muss sich zweifellos etwas ändern. Ein zweites Problem ist, dass viele Firmen gigantische Lieferketten haben, mit tausenden von Menschen und einer enormen Intransparenz. Das macht es sehr schwierig, herauszufinden, wie hoch die Auswirkungen eines Unternehmens tatsächlich sind: Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen, Umwelteinfluss, wo steht man da überhaupt? Das heißt, den Anfang dieses Knäuels auszumachen, stellt schon ein riesiges Hindernis dar. Und als letzten Punkt muss man hinzufügen, dass viele Unternehmen noch nicht nachhaltig arbeiten können, da gewisse Lösungen noch nicht auf einem industriellen Level verfügbar sind. Momentan wird etwa eine riesige Menge an Baumwolle verwendet und wir haben noch nicht die Mittel, dieses Material zu 100 Prozent nachhaltig herzustellen und damit den Bedarf zu stillen. 

Müsste man dann nicht einfach sagen: Produzieren wir eben weniger, um mit dem vorhandenen, nachhaltigen Material auszukommen?

Genau das ist der Elefant im Raum. Das ist der Teil der Lösung, den viele Modefirmen für sich noch ausschließen, aber er trifft den Nagel auf den Kopf. Um eine nachhaltige Industrie zu gewährleisten, muss früher oder später die Quantität an Kleidung, die wir produzieren, drastisch reduziert werden. In den Mengen, in denen wir gerade herstellen, kann die Modeindustrie nie eine nachhaltige sein. Die Firmen müssen beginnen, die Ressourcen des Planeten zu respektieren und hinterfragen, ob ihre Produktion mit ihnen übereinstimmt. Momentan ist das nicht der Fall. 

Ist Nachhaltigkeit überhaupt möglich in einer Branche, die davon lebt, ständig etwas Neues zu produzieren? Oder ist es ein Märchen, das wir uns einzureden versuchen?

Die Modeindustrie wächst noch immer weiter. Mehr und mehr Produkte werden produziert. Wenn wir nun versuchen, diese Produktion nachhaltiger zu gestalten, dann ist das ein guter Schritt. Wenn jedoch das Wachstum nicht aufhört, werden die negativen Auswirkungen trotzdem überwiegen und auch weiter ansteigen. Der Job, den wir machen, kann nicht gegen eine andauernde Überproduktion anstinken. Und es wird niemals ein Produkt geben, das absolut null Auswirkungen auf den Planeten hat. Solange wir weiter und mehr produzieren, könnten all unsere Anstrengungen hinfällig sein. Wir müssen uns klar den Themen Wachstum und Konsum stellen, sonst wird die Modeindustrie keine nachhaltige werden. 

Und würden all Ihre Kunden und die Ihrer Kollegen Ihre Ratschläge und Strategien befolgen, wäre es dann möglich, die Mode zu einer nachhaltigen Industrie umzuwandeln?

Eine ganz und gar nachhaltige nicht, aber eine, in der vieles schon sehr viel nachhaltiger fungiert und faire Arbeitsbedingungen sowie CO2-Einsparungen garantiert wären. Jedoch sind dafür Hingabe und Wandel nötig, und dieser Wandel gehört zu den größten Herausforderungen. Firmen werden höhere Preise fordern müssen, oder niedrigere Profitmargen akzeptieren, oder weniger von bestimmten Produkten herstellen. Sie müssen darüber nachdenken, wie sie produzieren, und das wollen einige einfach nicht.

Welche Frage bekommen Sie am häufigsten zu Beginn einer neuen Zusammenarbeit mit einem Modeunternehmen gestellt? 

Es gibt zwei. "Wir möchten nachhaltiger werden, aber wir wissen nicht wie", ist die eine. Nachhaltigkeit ist ein sehr komplexes Thema, und viele Firmen, für die ich arbeite, möchten das Richtige tun, aber haben nicht immer die nötigen Ressourcen oder das Wissen, um es auch umzusetzen. Und die andere ist: "Wir haben begonnen, uns nachhaltiger aufzustellen und wir wollen das gern kommunizieren, aber nicht mit Greenwashing in Verbindung gebracht werden." Viele Unternehmen haben große Angst, ihre Fortschritte öffentlich zu machen, weil sie noch nicht all das tun, was möglich ist. Sondern eben nur einen kleinen Teil.

Glauben Sie, dass diese Unternehmen wirklich hinter dem Konzept der Nachhaltigkeit stehen und sich verbessern wollen? Oder versuchen sie bloß, möglichen negativen Konsequenzen von außen auszuweichen? Was ist die Motivation?

Bei vielen Modemarken, mit denen ich arbeitete, ist es eine Kombination. Sie werden aufmerksamer auf das Thema und möchten mit ihrem Unternehmen etwas richtig machen. Aber da ist natürlich immer auch die Einsicht, dass sie, wenn sie nicht an ihrer Praxis arbeiten und nachhaltige Konzepte etablieren, ab einem bestimmten Punkt nicht mehr relevant sein werden und die Konsumenten das Interesse verlieren. Eine weitere Motivation ist immer mehr, und hier ändert sich in Europa gerade viel, dass neue politische Regulationen eingeführt werden. Gesetze und Anforderungen die Firmen betreffen, die Produkte auf dem europäischen Markt anbieten.

Also funktioniert hier das politische Eingreifen?

Ja, definitiv, vor allem um Nachhaltigkeit auf Führungsebene auf der Agenda zu platzieren und zu einem relevanten Thema zu machen. Damit geht jedoch das Risiko einher, dass "nachhaltig werden" zu einem rein bürokratischen Akt wird, für den alles getrackt und Daten gepflegt werden müssen, sodass alles konform abgebildet werden kann. Meine Sorge ist, dass Budget und Kapazitäten für Schreibarbeit draufgehen werden und nicht mehr für innovative Projekte und Arbeit eingesetzt werden können, die positiven Wandel hervorbringen.

Im letzten Juni wurden schon mehrere gesetzliche Änderungen angekündigt. Hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Ja, sehr. Als das Green Claims Directive, eine Regelung der EU darüber, was Unternehmen für Aussagen über Nachhaltigkeit machen dürfen, in Kraft trat, hat das die Perspektive einiger grundlegend geändert. Es müssen heute bestimmte Basisdaten vorgewiesen werden, damit ein Produkt als nachhaltig beschrieben werden darf. Für viele Produkte hörte damit die Kommunikation komplett auf, da es faktisch nicht viel zu sagen gab, was einer Kontrolle hätte standhalten können. Viele Firmen sagten auch: Wir verstehen, dass wir über dieses Produkt nicht aussagen dürfen, dass es nachhaltig ist. Was müssen wir ändern, damit wir tatsächlich Nachhaltigkeit versprechen können? Diese Regelung hat sich also schon mal als wirksam bewiesen. Und es werden weitere Gesetze eingeführt werden, die Transparenz über Produkte festlegen.

Gibt es "Red Flags" bei Unternehmen, die auch der ungeschulte Endverbraucher entdecken kann?

Oft schlachten Unternehmen minimale Erfolge mit großen, bedeutungsschweren Worten maximal aus. Eine "Red Flag" wäre es aber auch, wenn ein Unternehmen wirklich gar nichts zu dem Thema kommuniziert. Oder wenn sie etwa ein spezielles, nachhaltiges Sortiment haben, aber nichts auf ihrer Website, das erklärt, inwiefern die angepriesene Ware nachhaltig sein soll. Man sollte immer ein bisschen Hintergrundrecherche leisten, bevor man etwas kauft und kann etwa auch auf der Website Goodonyou.eco nachschauen, wo bestimmte Marken im Nachhaltigkeits-Index stehen. 

Was sind die wichtigsten Schritte, die wirklich jeder selbst tun kann, um die Modeindustrie, soweit es geht, umzukrempeln?

Wir müssen unsere Konsum-Muster betrachten: Warum kaufen wir? Was kaufen wir? Brauchen wir es, oder stillen wir ein Verlangen? Durch das kapitalistische System, in dem unsere Gesellschaft lebt und das die Mode ziemlich eindeutig bedient, wollen wir konstant Neues besitzen. Man kann in wissenschaftlichen Studien erkennen, dass das, was wir tun und konsumieren, zu viel ist, verglichen mit dem, was der Planet zur Verfügung stellen kann. Und der Planet kann nicht mit den Folgen umgehen, wie wir immer stärker merken. Das klingt abgegriffen, aber das ist tatsächlich etwas, das wir alle tun können: hinterfragen, umdenken und umlernen. 

Fast-Fashion-Giganten wie Shein wachsen und wachsen, ebenso ihre Umsätze. Wie finden Sie Hoffnung und Motivation, Dinge zu verbessern, wenn diese zerstörerischen Riesen existieren und mit ihrem Geschäftsmodell so erfolgreich sind?

Was mir persönlich Hoffnung gibt, sind die gesetzlichen Regulierungen, die kommen werden. Frankreich wird zum Beispiel eine Art Steuer von um die 10 Euro erheben, die Firmen pro Kleidungsstück extra zahlen müssen, damit sie dieses Produkt auf dem französischen Markt verkaufen dürfen. Diese Regulierungen sind ein Schlüsselelement, damit Unternehmen nicht noch weiter wachsen, und Frankreich ist hier ein Vorreiter, an dem sich viele Länder ein Beispiel nehmen sollten.

Der Beruf der Nachhaltigkeitsberatung ist ein neuer und dazu einer, in dem man sich ununterbrochen mit einer düsteren Zukunft und Katastrophen-Szenarien auseinandersetzen muss. Wie stellen Sie sicher, nicht durchzudrehen? 

Klimaangst und der Druck, meinen Job noch schneller und besser zu machen, können mich überwältigen und auch überfordern. Was mir sehr hilft, ist, mich mit Menschen auszutauschen, die das gleiche Ziel aber unterschiedliche Ansätze verfolgen. Und vor allem: in die Natur zu gehen, für die ich das alles tue. Ich war vor kurzem drei Wochen in der Toskana bei der Künstlerresidenz Sopra Sotto, dort ging es vor allem darum, die Verbindung zur Natur wieder herzustellen. Wir sollten uns nicht nur auf einer rationalen Ebene der Nachhaltigkeit widmen, sondern auch auf einer emotionalen. Wir müssen nicht nur die Erde retten, wir wollen es, weil sie unser Zuhause ist. Dieser Schritt raus aus dem Krisenmanagement hin zu dem eigentlichen Grund für all die Arbeit ist wichtig, um wieder einen Sinn in dem Ganzen zu sehen. 

Was sind die aktuellen Trends der nachhaltigen Entwicklung, die Unternehmen jetzt angehen?

Ein neuer Ansatz ist es, regenerative Landwirtschaft miteinzubeziehen. So kann die Biodiversität bewahrt werden, aber genauso auch eine gesunde Erde. Wenn Erde mit Monokulturen bepflanzt wird, wie es heute oft der Fall ist, kann sie CO2-Emissionen sehr schwer aufnehmen, ein gesunder Boden jedoch absorbiert sie. Das ist ein neuer Bereich, den bisher noch nicht viele Unternehmen angegangen sind. Außerdem ist eine Trendbewegung, dass viele Unternehmen von dem Profit, den sie erwirtschaften, etwas zurückgeben möchten und nicht alles einbehalten. Wer hätte das gedacht?