James Gregory Atkinson in Frankfurt

Wer erzählt die Geschichte der Kinder und Enkel?

James Gregory Atkinson "6 Friedberg-Chicago", Filmstill
Foto: Courtesy James Gregory Atkinson

James Gregory Atkinson "6 Friedberg-Chicago", Filmstill

Der Künstler James Gregory Atkinson legt ein Archiv über Schwarze deutsche Identität an. In seinem elegischen Film "6 Friedberg-Chicago" bringt er Nachfahren von US-Soldaten in einer ehemaligen Kaserne zusammen 

Die Ray Barracks in Friedberg stehen leer. Die Division, der Elvis Presley 1958 nach seiner Einberufung beitrat, war dort stationiert. Auch der ehemalige US-Außenminister Colin Powell begann seine Armeekarriere hier. Jetzt erinnern nur noch bestimmte architektonische Details wie silbern schimmernde Trinkwasserspender, bestimmte Furniere und Proportionen daran, dass hier bis 2007 ein bis ins kleinste Detail durchdachtes, funktionierendes Stück USA lag.

"Eine Hybrid-Welt", sagt James Gregory Atkinson, der die Barracks selbst aus den 80er- und 90er-Jahren kennt. Mit dem Ende des Kalten Kriegs verschwand diese Welt, und mit ihr auch die Frage nach den damals hier mit ihren Familien lebenden Personen. Der Künstler hat insbesondere da eine Lücke identifiziert, wo es um die Dokumentation der Rezeption Schwarzer Soldaten in Deutschland und ihrer hier geborenen Kinder geht. In einem großen Rechercheprojekt archiviert er dazu Texte, Bilder, Objekte und Zeitzeugenberichte. Denn historische Diskurse über Schwarze Geschichte fehlen, Schwarze deutsche Identität ist kein selbstverständlicher Teil deutscher Erinnerungskultur. Dem geht er mit seinem wachsenden, nichtlinearen Archiv nach. Genauso wie mit Werken, die diese Leerstelle künstlerisch bearbeiten.

Seinen Film "6 Friedberg-Chicago" drehte der Künstler in den Ray Barracks mit Freunden und Bekannten – Söhnen und Enkelsöhnen der Schwarzen US-Army-Soldaten. Ein Junge sitzt auf einem Basketballkorb und sieht herunter, junge Männer gruppieren sich bei Schwarzlicht in einem Aufenthaltsraum, einer liegt im Freien in einem Wasserbassin und schaut in den Himmel. Es sind introvertierte Gesten und Blicke, die Bewegungen von Körpern bekommen in Zeitlupe etwas elegisch Tänzerisches.

"Das war damals der deutsche Umgang mit der Situation"

Entrückt ist auch der Soundtrack, ein zeitgenössisch neu arrangiertes Kinderlied, das "Toxi-Lied" aus den 1950er-Jahren. Der Schwarzweißfilm "Toxi" von 1952 erzählte die Geschichte eines fünfjährigen Mädchens, dessen weiße Mutter gestorben war. Es kam in Hamburg in eine großbürgerliche Familie und sorgte für Verunsicherung. "Wer hat mich lieb und nimmt mich mit?" sang die 22-jährige Marie Nejar im Titellied, damals als Schlagersängerin Leila Negra vermarktet. Das Befreierkind Toxi wird am Ende von ihrem Schwarzen Vater "nach Hause" geholt. "Das war damals der deutsche Umgang mit der Situation", sagt James Gregory Atkinson lakonisch.

Nur in intensiver Bildsprache und jenem betörenden Sound fasst er das facettenreiche, komplexe Thema. Die queere Künstlerin Ahya Simone hat das "Toxi-Lied" für Atkinsons Film neu auf der Harfe interpretiert und auf Deutsch eingesungen. Die von der weißen Mehrheitsgesellschaft aufoktruierte Fremdheit aus dieser Geschichte, die fast schon gewaltsame Verordnung einer Sehnsucht nach einem anderen Ort legen sich über die selbstbewusst, stark und schön agierenden jungen Männer, die sich im Film vor der Kamera bewegen. Ihre Blicke und Berührungen sind nur angedeutet, aber von großer Vertrautheit. Resultat einer geteilten Erfahrung, die nicht ausgesprochen werden muss.

James Gregory Atkinson zeigte den Film und wichtige Elemente seines Archivs im Kunstverein Dortmund, darunter Anti-Schwarze Propaganda. Er hat Erfahrung mit Archiven unter anderem als Mitarbeiter von Adrian Piper in Berlin gesammelt. Nach dem Studium bei Douglas Gordon an der Städelschule hatte er sich zunächst international orientiert und unter anderem in New York gelebt. Bis er beschloss, dass in der Kunst noch wenig behandelte Thema der Schwarzen Deutschen zu seinem zu machen, weil es noch keine zufriedenstellende historische Basis dazu gibt.

Hier steht wieder ein silberner Wasserspender

Jetzt ist "6 Friedberg-Chicago" in der Studiengalerie der Frankfurter Goethe-Universität zu sehen, ein perfekter Ort, nicht nur wegen der hier fachübergreifend angebotenen Studien am Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften, die den Ausstellungsraum betreibt. Sondern auch, weil das IG-Farben-Gebäude, in dem ein Teil der Universität jetzt untergebracht ist, nach dem Krieg zentraler Sitz der US-Streitkräfte in Deutschland war.

Ein paar Türen weiter liegt der Eisenhower-Saal. In der Vergangenheit wurde hier auf dem gepflegten Grün vor dem einschüchternden Gebäude die US-Flagge gehisst. Wer das Ritual durch die Büsche von der Straße aus mal beobachtet hat, vergisst die rätselhaften Rufe, magischen Bewegungen, die Stiefel und die lässige Freundlichkeit der Akteure nicht mehr. Ein paar Elemente aus den Ray Barracks hat James Gregory Atkinson in sein Archiv übernommen und in den Ausstellungsraum hier ins IG-Farben-Haus überführt. Jetzt steht hier wieder ein silberner Wasserspender.