Fotoserie über US-Rekruten

Stillgestanden!

Der Fotograf Jason Koxvold hat junge US-Soldaten vor und nach ihrer Grundausbildung porträtiert. Das Langzeitprojekt "Engage and Destroy" ist nun als Buch erschienen. Es ist eine Reflexion über Männlichkeit und eine eigene Form der Anti-Kriegs-Kunst

Ein junger Mann, vielleicht Anfang 20, schaut ernst in die Kamera. Seine Haare sind kurz geschoren, er trägt eine Uniform der U.S.-Army, auf seiner rechten Brust ist sein Nachname zu lesen: Williams. Rechts neben diesem Porträt ist ein zweites Foto zu sehen, ebenfalls von Williams. Die Haltung ist die gleiche. Soweit es durch die Jacke sichtbar ist, scheint er muskulöser geworden zu sein. Die Gesichtszüge sind ein wenig kantiger. 

Zwischen den Aufnahmen, die der Fotograf Jason Koxvold gemacht hat, liegen einige Monate. Das erste zeigt den Rekruten zu Beginn seiner Grundausbildung bei der US-Armee, das zweite bei deren Abschluss. Zwischen Mai 2021 und März 2023 besuchte Koxvold den militärischen Stützpunkt Fort Moore in Georgia und fotografierte Soldaten der 197. und 198. Infanterie-Brigade. Das Ergebnis des Langzeitprojekts ist nun im Fotoband "Engage and Destroy“ im Verlag Gnomicbook erschienen. 

Das Setting der Porträts ist stets dasselbe. Die Protagonisten werden in halbnaher Perspektive vor einem weißen Hintergrund abgelichtet, sie stehen gerade. Durch die Nebeneinanderstellung der Fotos entsteht ein Vorher-Nachher-Effekt. Schnell beginnt man, nach Unterschieden zu suchen. Mal scheint ein Kinn konturierter, mal ist die Haltung aufrechter, mal sind die jungen Männer dünner geworden. Es sind feine Veränderungen, für die man genau hinsehen muss. Natürlich, die Rekruten werden älter in den Monaten der Ausbildung. Womöglich werden sie auch erwachsener, oder müssen es werden. Man würde erwarten, dass sie gezeichneter aussehen nach der Zeit des Drills und der Disziplin. Doch wirklich deutliche Unterschiede sind nicht zu erkennen. 

"I am an American soldier“

Auf einigen Seiten stehen unter den Fotos Auszüge aus dem sogenannten "Soldier's Creed“ der US-Armee.  Mit "I am an American soldier“ fängt es an, es folgen Sätze wie "I am a Warrior and a memeber of the Team“, oder "I will always place the mission first“. 

Diese Zitate spiegeln nicht nur ein kollektives Mantra wider, sondern auch eine Erwartung, mit der die jungen Männer vielleicht ihren Dienst antreten. Der Betrachter erfährt nichts weiter über sie außer ihre Nachnamen, die auf den Uniformen stehen. Sie alle tragen das Gleiche, sie alle werden vor dem gleichen Hintergrund gezeigt, sie alle posieren ähnlich. Jeder von ihnen ist einer von vielen, Teil einer Gruppe, aus dem Kollektiv gegriffene Individuen. 

Besonders ins Auge stechen die Seiten, auf denen nur ein Bild zu sehen ist, weil das "Nachher“-Foto fehlt. Was mit diesen Rekruten passiert ist, bleibt eine Leerstelle. Womöglich sind sie suspendiert worden, haben die Ausbildung selbst abgebrochen. Vielleicht leben sie nicht mehr. Ihr unerklärtes Fehlen wirkt schmerzlich. 

Alles ist geplant und gewollt

Ungefähr ab der Hälfte des Fotobandes werden die Porträts von Aufnahmen des Nahkampf-Trainings der Soldaten ergänzt, einem Bestandteil der Grundausbildung. Die Schwarz-Weiß-Aufnehmen zeigen, was in dem sonst verborgenen "Dazwischen“ mit den Rekruten passiert. 

Die sonst regungslosen Gesichter sind verzerrt, an ihren Wangen liegen fremde Fäuste, vor ihren Zähnen tragen sie leuchtend weiße Schienen. "I will never accept defeat“, steht unter dem ersten Foto der Reihe. Ich werde niemals eine Niederlage akzeptieren. 

Gemeinsam mit den Kampffotos wird deutlich, welch verbindendes Element die Zeilen für den Rekruten wohl spielen. Auf einigen Aufnahmen sieht man die Männer aus der Stirn bluten, ihre Adern stehen vor Anspannung und Anstrengung hervor, auf anderen Bildern sind diejenigen zu sehen, die ihre Kameraden vom Rand aus anfeuern. So sorgfältig und genau inszeniert die Porträts sind, so roh und nah sind hier die Fotos, auf denen Blut und Schweiß dominieren. Dennoch ist beim Betrachten sicher: Nichts passiert aus spontaner Brutalität oder Lust, all das ist Teil des Trainings, geplant und gewollt. 

Hegemoniale Hypermaskulinität 

Die Serie zeichnet ein bestimmtes Bild von Maskulinität: geprägt von Muskeln, Kampfwillen und Kraft. Es ist eine Erwartung an Männlichkeit, wie sie in dieser konservativen Form wohl kaum irgendwo so zelebriert wird wie in Armeen. Das Zusammenspiel aus dem "Soldier's Creed“, den Porträts und den Kampffotos bietet einen Einblick in den Alltag der Rekruten, die Erwartungen, die an sie gestellt werden, und die Soziokultur, in der sie sich bewegen. 

Alles wirkt streng, in Reih und Glied, kein Raum für Schmerz oder Grübeln. Da sind nur starke Körper und Mantren, die keine Niederlage zulassen sollen. Als "hegemoniale Hypermaskulinität" bezeichnet der Fotograf Jason Koxvold dieses Phänomen. 

Der Fotograf, der sich seit 2015 dokumentarisch-künstlerisch mit dem Thema Krieg beschäftigt, begann 2021 mit der Arbeit an "Engage and Destroy“. 20 Jahre waren da seit dem 11. September vergangen. Seitdem befinden sich die USA erklärtermaßen im Kriegszustand gegen den Terror. Mit seiner Arbeit stellt Koxvold die Frage, welchen Einfluss dies auf die Gesellschaft hat. Die Antwort darauf liegt beim Betrachter. 

Ist das Anti-Kriegs-Kunst?

Beim genauen Hinsehen stechen einige Fotos ins Auge, bei denen der Rekrut nach der Ausbildung besonders ernst und grimmig schaut. Einer von ihnen, Smith, funkelt den Betrachter auf dem "Nachher“-Porträt schier an. Bilder wie diese lassen sich durchaus als Anti-Kriegs-Kunst interpretieren. 

Besonders in Zeiten, in denen jedes Mal, wenn wir die Zeitung aufschlagen oder die Nachrichten einschalten, von Kriegen berichtet wird, wirken die Fotos von Jason Koxvold noch einmal eindringlicher. Man fragt sich, wie die Männer aussehen würden, wenn sie nicht nur durch dieses Training gehen würden, sondern tatsächlich zu Einsätzen in Krisengebieten müssten. Wie dann die Mantren, die Vorstellungen und trainierten Körper mit der Realität aufeinandertreffen.