Jay DeFeo als Fotografin

Erst vor, dann hinter der Kamera

Bis heute überschattet "The Rose" das vielschichtige Werk Jay DeFeos. Jahrelang wurde die Künstlerin vor dem berühmten skulpturalen Gemälde als stereotypisches "Beat-Chick" inszeniert. Dem setzt Leah Levy, Direktorin der Jay DeFeo Foundation, nun etwas entgegen: eine Monografie, die sich erstmalig dem fotografischen Werk der US-Amerikanerin widmet

Fillmore Street, San Francisco. Ein großzügiger Atelierraum, in dem Farbreste wie wilde Patina den Boden und jegliche Oberflächen bedecken. Es ist der Ort, an dem die Künstlerin Jay DeFeo acht Jahre lang – von 1958 bis 1966 – aus dem anfänglich "Deathrose" betitelten Werk den monumentalen Giganten erschafft, der bis heute das malerische, zeichnerische und fotografische Werk der 1929 geborenen Künstlerin überschattet.

Meist hört sie dabei Jazzmusik, eine Zigarette oder eine Flasche Brandy in der Hand, manchmal auch beidem. Motivierende Worte an den Wänden helfen ihr, Anfälle von Zweifeln und Ängsten zu überwinden. "Mehr als einmal wurde das ganze Ding bis auf die Leinwand heruntergekratzt", erzählt Jay DeFeo später. "Und das Ganze begann von vorne." Das Gemälde wird für die Künstlerin zu einem täglichen Ritual – und mit der Zeit zu einem Symbol und einer Pilgerstätte für die Beat-Szene San Franciscos.

1959 ziert eine Atelieraufnahme Jay DeFeos einen Artikel des "Oakland Tribune", der vor "absichtlich schockierender Beat-Kunst" warnt. Sie trägt darauf einen Rollkragenpullover und kurze, mit Farbe bespritzte Jeans und Sandalen – die vermeintlich typische Uniform der Beatniks. Hinter ihr: das Gemälde "The Jewel", es wurde im gleichen Jahr begonnen wie sein kolossales Pendant "The Rose". Die Fotografie ist im Artikel direkt neben der Schlagzeile positioniert – als ob der ganze Schrecken der Beat-Kunst im Kunstschaffen Jay DeFeos nun seinen Höhepunkt erreicht hätte.

Den Beat-Stempel aufdrückt

Es ist nicht das erste Mal, dass die Presse den Künstlerinnen und Künstlern San Franciscos den Beat-Stempel aufdrückt, aber eine der wenigen Ausnahmen, die die Frauen der Bewegung in den Fokus rückt. (Eine weitere, noch weniger erstrebenswerte Ausnahme bildet der "Playboy", der im Jahr 1959 als Ergänzung zu einer Reihe an Gedichten der sogenannten "Top Beatniks" Jack Kerouac, Allen Ginsberg und Gregory Corso einen Beitrag veröffentlicht, der mit Yvette Vickers als "Beat Playmate" heterosexuelle Männerfantasien schürt. Yvette sei – "wenn auch vielleicht attraktiver als die meisten" – repräsentativ für die Mädchen, die die Beat-Cafés bevölkern, so das Kultmagazin.)

In den Jahren 1959 bis 1962 erscheinen in den Medien zahlreiche Artikel zu Jay DeFeo, die sie wahlweise mit "The Rose" oder "The Jewel" zeigen. Nicht ganz unschuldig daran ist Walter Hopps, der die Künstlerin ab 1957 in seiner Ferus Gallery in Los Angeles vertritt und sich bemüht, sie während des jahrelangen Entstehungsprozesses in populären Zeitschriften zu positionieren. 1960 arrangiert er ein Shooting mit dem Magnum-Fotografen Burt Glinn, der die Künstlerin bei der Arbeit an ihrem Werk begleitet. Die Aufnahmen werden in mehreren Magazinen abgedruckt – darunter in einem Artikel John F. Kennedys für das "Look"-Magazin, der Jay DeFeo und "The Rose" als Höhepunkt der modernen Kunst der Vereinigten Staaten lobt.

Trotz kurzer Angaben zur künstlerischen Ausbildung und Ausstellungshistorie wird in den Veröffentlichungen die Intention der Magazine deutlich, auf den Beatnik-Boom aufzuspringen und Jay DeFeo als stereotypisches "Chick" darzustellen. Einige machen sich gar nicht erst die Mühe, sie als seriöse, akademisch ausgebildete Künstlerin zu porträtieren – der Autor Kenneth Tynan beispielsweise schwelgt im "Holiday Magazine" in den Beschreibungen eines "gemeinschaftlichen und seltsam selbstbezogenen" Lebensstils der "unverheirateten Monogamie" (und ignoriert dabei großzügig Jay DeFeos Ehe mit dem Künstler Wally Hedrick). Der Artikel führt dazu, dass die Künstlerin zu einer sexualisierten Attraktion für neugierige Touristen wird, die gegen Ende des Jahrzehnts bei Beatnik-Bustouren durch San Francisco reisen, immer auf der Suche nach den von den Medien angepriesenen Figuren in Baskenmützen, Sandalen und schwarzen Rollkragenpullovern.

Auf der anderen Seite der Kamera

Mitte der 1960er ebbt der Boom um die Szene ab. Viele der Künstlerinnen und Künstler sind zu diesem Zeitpunkt schon größtenteils von der Bildfläche verschwunden. Auch Jay DeFeo und "The Rose" kehren der Stadt 1965 den Rücken. Allerdings verschlägt es sie an unterschiedliche Orte: Das Gemälde wandert ins Pasadena Art Museum und Jay DeFeo zieht in ein kleines Haus in Marin County, unweit von San Francisco. Hier stellt sie für fast vier Jahre ihre künstlerische Tätigkeit ein. Mit der Trennung von ihrem Werk scheint ihr jegliche kreative Energie abhanden gekommen zu sein.

1970 kämpft sie darum, künstlerisch wieder Fuß zu fassen. Nun ist es die Kamera, die ihr eine neue Ausdrucksform bietet – eine, die sich von der Malerei abhebt, aber gleichzeitig auch zu ihr zurückführt. Und die sich vor dem Hintergrund der Presserezeption ihrer frühen Jahre auch als Akt der Selbstermächtigung lesen lässt. Die Jahre 1970 bis 1975 werden zu den produktivsten Jahren ihres fotografischen Schaffens. Dabei werden alltägliche Objekte zu ihren Bildmotiven: ihr Staubsauger, einzelne Schuhe, ein Rattantisch im Schaufenster eines Secondhandladens, ihre Schwimmbrille. Eine Fotografie ihrer Zahnbrücke verwendet sie als Modell für das zwischen 1970 und 1972 geschaffene Gemälde "Crescent Bridge I", das sie später als ihr erstes bedeutendes Werk seit "The Rose" bezeichnet.

Von dem Geld, das ihr ein Stipendium einbringt, kauft sie sich 1973 eine Hasselblad-Kamera und baut in ihrem Haus eine Dunkelkammer. Den ersten Umgang damit lässt sie sich von den Studentinnen und Studenten des San Francisco Art Institute beibringen, an dem sie Malerei unterrichtet.

Rätselhaft und experimentell

Und sie steht den jungen Künstlerinnen und Künstlern in ihrer Neugier in nichts nach: Jay DeFeos Fotografien dieser Jahre sind rätselhaft und experimentell, irgendwo im Spannungsfeld zwischen Abstraktion, Darstellung, Ausdruck und Symbolik, das auch in ihrem malerischen und zeichnerischen Werk zum Ausdruck kommt. Sie reichen von "Porträts" ihrer Lieblingsobjekte über von Dada inspirierte Fotocollagen und quasi-skulpturale Arbeiten, die durch schneiden, zerreißen und übereinanderlegen von fotografischen Abzügen entstehen.

150 dieser Arbeiten vereint nun die von Leah Levy herausgegebene Publikation "Jay DeFeo: Photographic Works" – viele von ihnen wurden noch nie veröffentlicht. Kein Wunder: Die Kuratorinnen der Jay DeFeo Foundation stießen nur durch Zufall auf sie. Leah Levy beschreibt den Moment, in dem sie auf die Fotokartons Jay DeFeos stößt, als "magischen und unauslöschlichen Moment der Offenbarung". "Wir dachten, sie enthielten das Archivmaterial der Künstlerin", schreibt sie in ihrem Vorwort. "Eher "Papiere" als "Kunst". Aber wir stießen auf eine Fundgrube außergewöhnlicher Fotografien. Dieses Buch versucht dieses Gefühl des Erstaunen und der Verwunderung zu übermitteln."