Wir haben uns schon ein bisschen daran gewöhnt: Bilder von hochgekrempelten Ärmeln und blassen Oberarmen, in denen eine Spritze steckt – in vielen Ländern wird so schnell es geht gegen Covid-19 geimpft. Am Sonntag tauchte in unserer Timeline dann aber ein überraschendes Foto auf: Jerry Saltz und Roberta Smith als sichtlich erleichterte Impflinge. Also doch: Kunstkritik ist systemrelevant!
Kunstkritiker und Kunstkritikerinnen, so hoffen wir jedenfalls, werden gleich nach dem Lehrpersonal geimpft, so wichtig wie sie sind. Schließlich gibt es kaum noch welche. Jerry Saltz vom "New York Magazine" und Roberta Smith von der "New York Times", seit über 30 Jahren ein Paar, gehören zu den wichtigsten Stimmen des Kunstbetriebs – was wären wir ohne sie? Schön, dass die staatliche US-Impfstrategie das ähnlich sieht ...
... aber Moment!
Saltz, der die Impf-Schnappschüsse von sich und seiner Frau auf Instagram teilte, schrieb dazu, dass die beiden sich einfach in ein Impfzentrum geschlichen haben: "Wir schoben unsere vierten Chakren zusammen, um unsichtbar zu werden (so wie Heroinabhängige auf der Straße unsichtbar sind) und gingen hinein ... Wir haben dann einfach gesagt, dass wir keine Termine haben und sie haben uns reingelassen - weil kaputte Systeme nur funktionieren, wenn man kaputt spielt."
Großkritikerinnen und Großkritiker kommen eben überall rein, ob zur superwichtigen Preview oder in coronabedingt geschlossene Museen. Doch tatsächlich läuft die Durchimpfung in den USA nicht perfekt. Der Bürgermeister von New York, Bill de Blasio, schrieb vergangene Woche auf Twitter, New York gingen in den nächsten Tagen die Impfstoffe aus, während es in anderen Teilen des Landes ungebrauchte Impfdosen gebe. Auch der designierte Präsident Joe Biden sagte: "Es gibt zig Millionen Impfstoff-Dosen, die unbenutzt in Gefrierschränken lagern, während Menschen, die den Impfstoff wollen und brauchen, ihn nicht bekommen können."
Jerry Saltz, offenbar doch ein wenig beschämt über das erschlichene Privileg, gab dann auch noch Tipps, wie man es den beiden gleichtun kann: "Üben Sie sich darin, unsichtbar zu werden; gehen Sie zielstrebig und selbstbewusst; nehmen Sie niemals Augenkontakt mit dem 'Wachmann' auf. Gehen Sie ein wenig schneller als sonst."
Tipps, die man gerne mitnimmt in die anstehende Zeit voller herausragender Kunst und rauschender Feste, wenn man sich endlich wieder irgendwo einschleichen kann.