Nüchtern kommt der Titel daher: "80 Porträts: 73 Männer, 7 Frauen". 80 Porträts also, mit unkenntlich gemachten Gesichtern, genauso viele Hochkant-Fotografien in Schwarz-Weiß, mehrere Dutzend Personen aus dem rechtsradikalen Milieu. Jonas Höschl, der sich selbst nicht als politischen Künstler bezeichnet, dessen Konzeptarbeiten sich aber oft um ebensolche Themen drehen, hat die Bilder aus antifaschistischen Recherche-Netzwerken zusammengetragen. Aufgenommen wurden sie auf rechten Demos, Parteitagen und Kundgebungen.
Sie sollen in ihrer Ursprungsfunktion der Kartografierung der rechten Szene dienen, als Mittel der Aufklärung innerhalb linker Kreise. Die Dokumentation erfüllt dabei auch eine Schutzfunktion für Aktivistinnen. "Damit man weiß: Wenn so jemand vor deiner Tür steht, hat er vermutlich keine freundschaftlichen Absichten", erklärt Höschl. Zugleich dienen die Bilder aber auch dem Zweck, Rechte gezielt zu outen, etwa in ihrer Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz.
Jonas Höschl ist selbst in verschiedenen politischen Gruppen und Initiativen aktivistisch sozialisiert worden. Er erzählt, dass ihm daher das Vorgehen, Bilder von Rechten zu sammeln, bekannt war. "Durch diese Prägung kommt heute vermutlich mein besonderes Interesse an ideologiekritischem Denken", sagt er. Das zeigt sich in seiner Arbeit auf verschiedene Art, etwa mit seinem Kunstbuch "Politik von Medienbildern", erschienen im Hatje Cantz Verlag, oder einer künstlerischen Werkreihe, in der er sich mit der RAF auseinandersetzt.
Foto und Gegenfoto
Für seinen neuen Band "80 Porträts" hat Höschl ausschließlich Bilder gewählt, auf denen sich die Abgebildeten bewusst darüber waren, dass sie fotografiert wurden. Meist werden die Dokumentations-Bilder aus großer Entfernung und möglichst unauffällig geknipst, Höschl wählte absichtlich die anderen. Auf manchen Fotos halten die Protagonisten sogar selbst Kameras in der Hand – zum Zurückfotografieren. "Rechte sammeln ebenfalls Bilder, nur eben von linken Aktivisten", erklärt Höschl. "So entsteht ein Loop des gegenseitigen Beobachtens und Fotografierens."
73 Männer, nur 7 Frauen. "Das binäre, konstruierte Geschlechterdenken ist in der rechten Szene stark verankert. Politisch sind dort oft Männergruppen unter sich. Das zeigte sich auch deutlich in meiner Bildrecherche – auch wenn die Rolle der Frau in der Neuen Rechten gerade immer wichtiger wird", sagt Höschl.
Exakt 80 Fotos hat er ausgewählt und bearbeitet – ursprünglich für eine Installation mit Diaprojektor im Jahr 2023. Der Apparat umfasste eben diese Anzahl von Bildfächern. "Mich erinnern Diaprojektoren eigentlich an Kindheit und Urlaubsschnappschüsse", sagt Höschl. Die aggressive visuelle Sprache rechter Symbolik steht dazu im krassen Kontrast. In dem neuen Künstlerbuch sind die gesammelten Bilder nun auf hochwertigem Fotopapier gedruckt – allerdings auf die matte Rückseite. Zusammengeklebt und getackert liegen sie in einer knallroten Mappe; eine Anmutung von Polizeiakte, von Indizien. Es geht um das Sammeln von Beweisen für rechtes Gedankengut mitten unter uns, unverhüllt, mit Nazi-Prints auf der Brust.
Den Bildern ihren Nutzen rauben
Höschl selbst zeigt aber die Gesichter der Porträtierten nicht. Sie sind überlagert von einem hellen blur, rund, leuchtend, die Bilder schwarz-weiß bearbeitet. So fällt der Blick eher auf Gesten und Haltung, Kleidung und Tätowierungen der Abgebildeten. Sie vermummen sich mit Tüchern, tragen schwarze Handschuhe und ins Gesicht gezogene Kappen. Viele sind eher unauffällig gekleidet: in schwarze Hoodies, Sport- oder Lederjacken.
Da fallen diejenigen, die ganz unverhohlen Nazi-Symbole zur Schau tragen, gleich noch mehr auf. Von Reichsadlern über Kriegshelm-Prints bis zu rechte Parolen ist die Spannweite groß. Ein Mann etwa trägt ein Shirt, auf dem "Antifa let's Dance" steht, darunter eine Figur am Galgen. Auf einem Pullover prangt der Schriftzug "Deutscher" in Großbuchstaben, auf einem anderen "Black Legion", der Name eines Labels aus Cottbus mit eindeutigen Bezügen sowohl zur Neonazi-Szene als auch zum historischen Nationalismus.
"Ich beraube die Bilder des Nutzens, den sie eigentlich haben: jemanden zu identifizieren", führt Höschl aus. "Durch die Anonymisierung werden die Bilder wieder deutungsoffener. Der Blick weitet sich auf die Umgebung, Aufnahmekontext und -bedingung aus. Dabei stellt sich für mich außerdem die Frage: Was braucht es überhaupt, um von einem fotografischen Porträt zu sprechen? Wo beginnt und endet dieses Genre?"
Autorität der Kamera
Mit der Arbeit wolle er zum genauen Hinsehen anregen, zum Nachdenken bewegen, Fragen aufwerfen. Es geht auch um die Reflexion der Fotografie selbst: Welche Rolle spielt sie in der Dokumentation? Welche Autorität besitzt die Kamera? "Ich zweifle den Begriff der Dokumentarfotografie grundsätzlich an", sagt Höschl. "Durch die Selektionsprozesse, die wir vornehmen müssen: Was fotografiere ich? Welches meiner 1000 Bilder zeige ich am Ende, müssen wir an dem Anspruch der absoluten Neutralität scheitern", sagt er.
Auch seine Arbeit ist Ergebnis einer Auswahl. Aus zehntausenden Fotos hat er, wie er es beschreibt, intuitiv ausgewählt. Wichtig war ihm neben dem direkten Blick in die Kamera auch eine Bandbreite an Haltungen, Szenen, Symbolen: Männer in weißen Hemden mit Blumensträußen, bedrohliche Gesten, urbane wie ländliche Hintergründe. "Es ging mir nie um die Einzelpersonen, sondern um die Kontexte, in denen sie sich bewegen", sagt Höschl.