Karim Aïnouz in Berlin

Heller als die Sonne

Der brasilianisch-algerische Filmemacher und Drehbuchautor Karim Aïnouz gibt in der Berliner DAAD Galerie erstmalig Einblicke in sein intimes Schaffen als bildender Künstler

"Haben Sie jemals etwas Helleres als die Sonne gesehen?", fragt Abdel. Man stellt sich vor, dass er kurz innehält, den Blick nachdenklich ins Leere gerichtet, ein Bein unruhig auf und ab wippend. Dann richtet er die Worte wieder an den französischen Psychoanalytiker Dr. Moreau: "Ich schon." Abdel ist acht Jahre alt, als am 13. Februar 1960 in der algerischen Wüste unweit der Kleinstadt Reggane der erste französische Atombombentest durchgeführt wird, viermal so stark wie die Bombe, die die US-Amerikaner 15 Jahre zuvor über Hiroshima abwerfen. 63 Jahre später, mittlerweile 71, sitzt Abdel in Paris dem französischen Psychoanalytiker gegenüber. "Ich bin ein Überlebender, Dr. Moreau", sagt er. "Ein Überlebender dessen, was sie in Reggane getan haben, eines brennenden Lichts, das seitdem nie mehr aus meinem Blick verschwunden ist."

Für einen kurzen, unangenehmen Augenblick tauchen drei Scheinwerfer die DAAD Galerie in Berlin-Kreuzberg in gleißend helles Licht. Über 4.000 Kilometer von der algerischen Wüste entfernt rufen sie den Moment in Erinnerung, als Abdel in kindlicher Neugier kurz die Augen öffnet, um einen Blick auf die Geschehnisse um ihn herum zu erhaschen – und der ihm sein Augenlicht nehmen wird. "Brighter than the Sun" (2023) ist eine Installation des brasilianisch-algerischen Filmemachers und Künstlers Karim Aïnouz, die in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Viviane Letayf entstand. Die Erzählung von Abdel, der seinem Psychoanalytiker Dr. Moreau in einem Monolog von seinen Erfahrungen und den bleibenden Traumata des Atomversuchs erzählt, entstammt ihrer Fantasie.

Intime Einblicke in Aïnouz' fotografisches und visuelles Archiv

Aïnouz bespielt seit letzter Woche die Räumlichkeiten der DAAD Galerie. 1966 in Fortaleza in Brasilien geboren, kam er 2004 nach Stationen in Paris und New York als Fellow des Berliner Künstler:innenprogramms des DAAD nach Berlin. Die Ausstellung, die den Titel "Blast!" trägt, kombiniert erstmalig sein filmisches Schaffen mit seinen weniger bekannten Arbeiten als bildender Künstler.

Im Eingangsbereich wird das Ausmaß seines fotografischen und visuellen Archivs deutlich. Die Installation "Eu Sonhei com Você" (2012-2024) besteht aus mehreren, an zwei gegenüberliegenden Wänden platzierten Diaprojektoren, die bei gedimmtem Licht Fotografien seines über ein Jahrzehnt gewachsenen Bildarchivs an die Wand werfen.

Gepaart wird dieses mit akribisch auf Glastischen angeordneten Memorabilien: Ein Taschenrechner, ein Schlüssel für Zimmer 606 im Hotel Adam, der Korken einer Weinflasche. Aufgeschlagene Notizbücher, ein glitzerndes Halstuch, Kontaktlinsendosen, ein kitschiger Bilderrahmen mit dem Foto zweier kuschelnder Katzen.

Erzählung mit Plot-Twist

Aïnouz zeigt außerdem Ausschnitte und Rohmaterial seiner beiden Filme "Sunny Lane" (2011), der von der Neuköllner Sonnenallee handelt, und "Zentralflughafen THF" (2018), der vor sechs Jahren auf der Berlinale seine Premiere feierte. Er erzählt die Geschichte des syrischen Studenten Ibrahim und des irakischen Physiotherapeuten Qutaiba, die im Flüchtlingscamp des mittlerweile stillgelegten Flughafens Tempelhof im Hangar 6 untergebracht sind.

Obwohl Aïnouz' Geschichte des Algeriers Abdel Fiktion ist, hätte sie genauso passieren können. Viele der Menschen in Reggane leiden heute an Krankheiten, nur wenige haben staatliche Entschädigungen erhalten. Die genauen gesundheitlichen, psychologischen und wirtschaftlichen Folgen für die örtliche Bevölkerung sind bis heute unerforscht.

Gegen Ende der Erzählung beweist sich Aïnouz' auch innerhalb seines künstlerischen Schaffens als talentierter Filmemacher und Drehbuchautor: Es stellt sich heraus, dass ein gewisser Captain Moreau die Explosion in der algerischen Wüste zu verantworten hat – er ist der Vater des französischen Psychoanalytikers, der Abdel 63 Jahre später gegenübersitzt.