Film über Architekt Karl Schwanzer

Gebäude dichten

Seine BMW-Firmenzentrale in München erstaunt immer noch, doch der Name Karl Schwanzer ist heute nicht mehr unbedingt geläufig. Ein neuer Film erinnert jetzt an den einstigen Star-Architekten, der sich mit 57 Jahren das Leben nahm

Ohne Karl Schwanzers Erben Martin und Caroline wären gleich zwei Hommagen wohl nicht entstanden. Erst bestellten sie nach einer Schenkung des Nachlasses ans Wien Museum eine Graphic Novel mit dem Titel "Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft". Dann produzierten sie den Film "Er flog voraus – Karl Schwanzer" und wagten dabei eine erfreulich hybride Form.

Für den dokumentarischen Teil hat Regisseur Max Gruber neben Mitarbeiterinnen und zeitgenössischen Kommentatoren ehemaligen Studenten des Architekten aufgespürt, etwa Wolf D. Prix (Coop Himmel(b)au), heute selbst ein global tätiger Planer und Bauer, oder die Kollektive Zünd up, Salz der Erde oder Missing Link. Sie alle erzählen vomm Einfluss des österreichischen Nachkriegsarchitekten, Professors und Büroleiters aus kleinen Verhältnissen, dem als perfektionistischer Workaholic auch ungewöhnliche Ideen willkommen waren und der sein Team zu innovativen Höchstleistungen anpeitschte. Da fallen dann schon Charakterisierungen wie "Samurai der Architektur" oder "einer, der immer ein Crescendo brauchte".

Karl Schwanzer wollte auffallen und wählte deshalb mal filigrane, mal kurvenreiche, auf Zylinder oder futuristische Formen setzende Gebäudetypen. Ein Anti-Brutalist, der gegen den Zeitgeist nach Leichtigkeit, Eleganz und sogar Schönheit suchte. Er fand sie 1970 auf der Expo in Osaka, weswegen manch einer seiner Entwürfe mit japanischen Einflüssen nicht geizte.

Manischer Furor beim Entwerfen

Gruber beleuchtet realisierte Gebäude mit Neonlichtern und verweist damit auch auf Schwanzers Vorliebe fürs Dichten, eine Tätigkeit, die für ihn gleichwertig mit dem Entwerfen von Gebäuden war. Natürlich gibt es auch von langen Kamerafahrten begleitete Einblicke in seine Projekte, etwa die österreichische Botschaft in Brasilia, oder das heute Belvedere 21 genannte Wiener Kunstmuseum. Das Opus Magnum, das ikonische BMW-Hochhaus in München, bekommt eine Sonderstellung, inklusive der Hintergrundgeschichte.

Dass Schwanzer ein ganzes Stockwerk des BMW-Komplexes vorab auf eigene Kosten in den Bavaria-Filmstudios in Geiselgasteig als Modell nachbauen ließ und mit schauspielernden Laien füllte, um die BMW-Manager für seinen Entwurf zu gewinnen, zeugt von dem manischen Furor, mit dem er seiner Profession nachging. Dazu gehörte auch, dass er den Bau selbst von oben nach unten errichtete. An Stahlseilen hängende Geschosse wurden am Boden fertiggestellt und danach hochgezogen - nach dem Prinzip von Hängebrücken. "Aber hat ein Haus nur die Funktion, den Menschen drinnen zu dienen – und nicht auch den vielen, die es von außen erleben und anzusehen haben? Das Haus als Erscheinung, wie es die Umwelt bestimmt, gehört uns allen", so Schwanzers Credo

Pflegte er einen nicht zu bändigenden Architektenbegriff, der allzu waghalsig zwischen Heroismus und egomanischer Überforderung schwankte? Musste dem Leben im Flugzeug und mit Aufträgen außerhalb von Europa nicht ein Tribut folgen, während Schwanzer parallel ein 100-köpfiges Team in Wien leitete? Verlor er deshalb, letztlich ausgebrannt trotz der unzähligen Erfolge, den Kampf gegen biedere und unbewegliche Bauherren? Über die Gründe für seinen Suizid mit nur 57 Jahren kann man nur spekulieren, das Film-Porträt beteiligt sich nicht an Mutmaßungen.

Nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen? Fehlanzeige

"Dass niemand an die Denkmäler von morgen denkt!", sagte Schwanzer einmal. "Das aber ist unser Auftrag, den wir von der Geschichte bekommen haben – dass wir Architekten Spuren hinterlassen." Burgschauspieler Nicholas Ofczarek tut dies mit bewunderswerter Zurückhaltung. Er übernimmt den Part des Porträtierten. Gruber lässt ihn aus Schwanzers Buch "Architektur aus Leidenschaft" vorlesen und mit Hornbrille und Nadelstreifenanzug durch den österreichischen Expo-58-Pavillon in Brüssel, die Erweiterung der Kapuzinergruft oder das Wiener Kunsthistorische Museum als Versinnbildlichung der Gedankenwelt des Architekten flanieren. 

Dazu gesellen sich historisches TV-Material und bislang unveröffentlichte Super-8-Filme aus dem privaten Archiv, schwungvoll und kurzweilig arrangiert und mit überaus passend "euphorisierender" Musik unterlegt. Mitunter wird auch deutlich, dass Schwanzer Denkmalschutz für überbewertet hielt, da dieser dem Fortschritt im Wege stehe. Aus dem gleichen Geist rührte auch seine Bereitschaft zur Materialverschwendung. Nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen? Fehlanzeige. Ein Mann seiner Zeit und doch auch ein Getriebener seiner „materialisierten Poesie“, der den Geniekult soweit verinnerlicht hatte, dass eine Verschnaufpause in seinem Fall den ultimativen Ausstieg bedeutete: Er flog voraus.