Kulturform Kunstvereine

In Kunst vereint

Die Idee und Praxis Kunstverein – hier vorgelebt von der Künstlerin Veruschka Bohn im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden – gehört neuerdings zum Immateriellen Kulturerbe
Foto: Janine Drewes

Die Idee und Praxis Kunstverein – hier vorgelebt von der Künstlerin Veruschka Bohn im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden – gehört jetzt zum Immateriellen Kulturerbe

Hier beginnen Weltkarrieren, hier wird diskutiert, demonstriert und deliriert: Deutsche Kunstvereine sind ein Mythos der internationalen Avantgarde – und neuerdings Immaterielles Unesco-Kulturerbe. Eine Liebeserklärung

Die Herren nahmen die Hüte ab, und keiner trug das Hemd über der Hose. So war das damals. Man stand im Kreis und stand mit dem Rücken zu den verschwiegenen Tuschen von Julius Bissier. Und der Redner wunderte sich ein wenig, dass keiner eine Frage hatte. Und einer sagte, schon Heidegger habe geschrieben, das Sich-nicht-Melden der Welt sei nichts anderes als die Bedingung der Möglichkeit des Nichtheraustretens des Zuhandenen aus seiner Unauffälligkeit. Es war ein schöner Abend. Dann sind wir Mitglied im Kunstverein geworden.

Man versteht das heute nicht mehr so gut. Der Zeitgenosse fremdelt ein wenig, wenn er auf dem Türschild nicht "Institute for Contemporary Art" liest. Er braucht seine Location, er braucht sein Gallery Weekend, er sammelt alle Kräfte für die Museumsnacht. Nähme man ihn freundlich an die Hand, komm, lass uns in den Kunstverein gehen, es fiele ihm doch gleich etwas Lustigeres ein. "Verein" ist Schrecken. Erinnert an Brauchtum, Bauchtum, Tagesordnung. Wie soll man sie sich vorstellen, die unterhaltende Sache Kunst in den Händen von Leuten mit Mitgliedsausweis in Kreditkartengröße?

Lustig oder nicht: Über 100.000 in Deutschland haben einen solchen Ausweis. Das ist nicht wenig. Und da sie ihn nicht ererbt haben, war es ihre freie Entscheidung, einem der rund 300 Kunstvereine beizutreten. Alle haben sie die Anmeldung unterschrieben, alle die Satzung bekommen, pünktlich zahlen sie ihre Jahresgebühr, und viele erwerben freudig und regelmäßig die Jahresgaben, oft sehr gute Editionen zu günstigen Preisen. Und da die deutschen Kunstvereine von nirgendwoher Mitgliederschwund melden, muss von diesen Spielorten der Kunst noch immer eine solide Attraktion ausgehen.

Eine deutsche Erfolgsgeschichte

In Zeiten, in denen die Kunstwelt mit Inbrunst auf den Markt starrt und Sammlermuseen den Geschmack der gesellschaftlichen Eliten spiegeln, klingt es fast ein wenig romantisch, wenn man daran erinnert, dass es einmal die Kunstvereine waren, die die Wege der Kunst nicht nur nachgezeichnet, sondern mehr noch mit Witz und Ausdauer vorgespurt haben.

Dass wie alles, was das Wort "Verein" im Namen führt, auch die Kunstbrüderschaft auf urdeutsches Freizeitverhalten schließen lässt, ist dazu kein Widerspruch. Wohl gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ähnliche Gründungen in anderen europäischen Ländern. Aber wahr ist doch, dass es kein Nachbar mit der Dichte der deutschen Kunstvereine aufnehmen kann. Vor allem brach hier das Engagement nie wirklich ab. Nicht wenige der großen Institute blicken auf stolze 150 Jahre Vereinsgeschichte zurück.

Ähnlich wie bei der Entwicklung der Stadttheaterkultur übernahm in der restaurativen Epoche nach den napoleonischen Kriegen das städtische Bürgertum auch in Sachen Kunst die Verantwortung. Wobei man auf das hehre Rankenwerk, das die alten Satzungen schmückt, nicht allzu viel geben sollte. Kunstvereine waren nie nur Feierstätten des Guten, Wahren, Schönen. Sozialen Erfolg hatten sie vor allem als Handelshäuser, die die begehrte zeitgenössische Kunst erwarben und an ihre Mitglieder in Form von Kunstaktien weitergaben. Ein Maler wie Carl Spitzweg hat diesen neu entstehenden Markt sehr geschickt zu nutzen gewusst und seine Genrebilder reihum den Kunstvereinen angedient.

Wo hatte Pollock seine erste Einzelschau in Deutschland? 

Andererseits formte sich dann doch so etwas wie eine vaterländisch-idealistische Verpflichtung, die die Kunstvereine daran hindern sollte, in den Heroenjahren der frühen Moderne eine entscheidende Rolle zu spielen. Bei den Durchsetzungskämpfen der Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts verhielten sie sich meist defensiv oder zögerlich. Und ihre große Zeit begann erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie sich unter neuen Vorständen und Direktoren mehrheitlich auf die Seite der Gegenwartskunst schlugen und sie auch jenseits der Landesgrenzen suchten. Plötzlich brach sie überall auf, diese ansteckende Neugier auf internationale Entwicklungen. Ein unschätzbares Gut in der provinziellen Kultur der 50er-Jahre. Es war kein Museum, es war der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf, der 1961 Jackson Pollock zeigte.

Von nun an musste, wer sich informieren wollte, immerzu auf den Beinen sein. Und lange bevor der öffentlich subventionierte Blockbuster-Spielbetrieb den Kunsttourismus bewirtschaftete, galten die Kunstvereine als angesagte Adressen. Wo fand Anfang der 70er-Jahre die allererste Retrospektive Lawrence Weiners statt, wer zeigte als erster in Europa Gerhard Richter, Christian Boltanski und Sigmar Polke außerhalb von Privatgalerien? Der Westfälische Kunstverein in Münster unter Klaus Honnef.

Die erste große Max-Ernst-Ausstellung haben wir im Stuttgarter Kunstverein gesehen. Mit dem grünen VW-Käfer sind wir angereist, es war kalt Ende Januar 1970, das Brezelfenster war dick vereist, und als wir im Kunstgebäude standen, mit dem violetten Katalogbuch unter dem Arm, erzählte ein kleiner, stark schwäbelnder Redner, wie sich der frühe Ernst – schaut doch nur! – auf Raffaels "Disputà" bezogen habe. Da wusste man immerhin, warum man Kunstgeschichte studiert. Bei Werner Spies ist das Idiom mit den Jahren dann weltläufiger geworden. Das violette Katalogbuch haben wir immer noch.

Ein Märchen fast

Wenige Jahre später war es Paul Klee, den Tilman Osterwold in einer unvergessenen Stuttgarter Retrospektive zeigte. Man kann sich solche musealen Veranstaltungen kaum mehr in einem Kunstverein vorstellen. Der Kunstbetrieb liebt die Orts- und Kulissenwechsel, die ruinösen Hallen und spektakulären Neubauten. Am schönsten, wenn es immer wieder anders aussieht. Ein Märchen fast, wenn man erzählt, dass mal Generationen in den Kunstverein gingen wie Generationen vor ihnen in die Kirche.

Vergessen, dass diese Kunstvereine bis in die späten 80er-Jahre hinein die maßgeblichen Bühnen für die öffentliche Aufführung der öffentlichen Sache Kunst waren und sich die Aufmerksamkeit mit den Museen teilten. Im Kunstverein mischten sich Künstler, Kritikerinnen, Kunsthändler unter das interessierte Bürgertum. Im Kunstverein wurden die noch raren Sammlerinnen und Sammler sozialisiert. Es ging kleiner zu, bescheidener, weniger schrill, aber im Stil durchaus vergleichbar mit Messevernissagen heute.

Verändert hat sich das erst mit der Gründung der Kunsthallen. Neue Häuser, öffentlich gefördert, gewünscht, unterhalten, mit dem kulturpolitischen Auftrag, Schlagzeilen und Quote zu produzieren, haben die Kunstvereine zu Spezialitätenanbietern gemacht. Was keineswegs zu ihrem Schaden ist. Dass sie ihre angestammte Exklusivität verloren haben, hat den Kunstvereinen jedenfalls nicht ihren Expertenstatus in Sachen Gegenwartskunst genommen. In der Diaspora sind sie ohnehin noch Monopolisten, und in den Städten haben sie längst gelernt, mit einer White-Cube-überdrüssigen Kunst und mit freien Kuratoren zu leben, die lieber an unbesetzten Orten arbeiten.

Vom Druck des Wettbewerbs freigemacht

Gefährlicher ist die Nähe der neuen Kunsthallen. In Düsseldorf war es, wenn man nicht gerade zu den altstadtnahen Habitués gehörte, schon immer etwas schwierig, die Institutionen sauber voneinander zu scheiden. In dem nicht gerade einladenden Kunstbunker am Grabbeplatz, wo der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen und die Kunsthalle Düsseldorf untergebracht sind und sich die Balkongalerie gutnachbarlich teilen, verflossen mitunter die Hoheitsgebiete. 1971 traf man sich im Haus bei einer der ersten größeren Präsentationen von Gilbert & George. Wunderbar, wie die beiden noch das Duostehen einübten und im feinen Tweed vor ihren Bildern posierten. Karl Ruhrberg, der Kunsthallenchef, stand daneben. Karl-Heinz Hering, der Kunstvereinschef stand auch dabei. Werner Schmalenbach, der Museumschef kam von drüben und ging gleich wieder.

Wo war das noch genau gewesen, im Kunstverein, in der Kunsthalle? Solange Kunstverein und Kunsthalle auf dem gleichen Acker gepflügt hatten, brachte jeder nur die halbe Ernte ein. Die Konturen verblassten immer mehr, auch bei Jiri Svestka und Raimund Stecker. Erst Rita Kersting schuf dem Kunstverein mit ihrem eigensinnigen Programm eine neue Corporate Identity.

Dabei ist es viel weniger die Programmkonkurrenz der Kunsthallen, die den Kunstvereinen zu schaffen macht, als der kulturpolitische Schatten, in den sie neben den publikumswirksamen Häusern geraten sind. Vom Druck des Wettbewerbs haben sich viele Kunstvereine frei gemacht. Mit ihren eigenen Linien und Labels zielen sie heute auf eine andere Klientel. Ihr Publikum ist jünger, informierter, rekrutiert sich vielerorts aus den Produktionszentren wie Akademie und Atelier, ist mehr an alternativen Themen und Präsentationsformen interessiert als an den volkstümlichen Lockmitteln der Eventkultur.

Orte der Erkundung, Erprobung, Erinnerung

Das heißt nicht, dass die bürgerlichen Schichten gänzlich weggebrochen wären. Es gibt überall noch eine treue Truppe, die mit rituellem Enthusiasmus an jenen Gruppenkunstreisen teilnimmt, die in keinem anständigen Vereinsangebot fehlen dürfen. Aber die Umschichtung ist doch deutlich. Auf die Formel gebracht: Wer früher in Stuttgart zu Max Ernst und Paul Klee kam, geht heute ins Kunstmuseum oder in die Staatsgalerie.

In Städten wie Frankfurt, Köln, Düsseldorf, München, Stuttgart, Hannover, Bonn oder Hamburg sind die Kunstvereine zu Orten der Erkundung, Erprobung, Erinnerung geworden, wo sich die Kunst bewusst nicht im Glanz ihrer Quoten spiegelt. Off-Theater hätte man früher gesagt, Projektbühnen, die mehr vom Entstehen der Kunst handeln und weniger von ihrem Bestehen erzählen. Dass sie das nur noch vereinsintern täten, ließe sich schwerlich behaupten. Sie haben sehr wohl ihr Publikum. Aber es sind nicht die Massen, die sich in den neuen, schicken Häusern drängen und auf die die Kulturpolitiker nicht wenig stolz sind. Wenn es um die Verteilung der ohnehin knappen Mittel geht, dann sind die Kunstvereine längst nicht mehr die klassischen, selbstverständlichen Adressaten. Überall sind sie in beträchtliche Beweisnot geraten.

Mit Folgen auch und nicht zuletzt für ihren medialen Status. In den meinungsbildenden Feuilletons werden Kunstvereinsausstellungen immer seltener besprochen. So kann es nicht ausbleiben, dass nicht wenige der jungen Kuratoren und Kuratorinnen den Kunstverein als Sprungbrett für ihre Karriere nutzen. Udo Kittelmann begann am Kölnischen Kunstverein als Außenseiter, ein beredter junger Mann mit Basiserfahrungen im Organisieren von Ausstellungen. Selbst Freunde, die unverbrüchlich an seine Berufung glaubten, hätten damals noch nicht darauf gewettet, dass es ihr Kandidat eines Tages nach Berlin an die Neue Nationalgalerie schaffen würde.

Oder Stephan Berg, heute Direktor am Kunstmuseum Bonn. Er hat in Freiburg angefangen, wo er den Verein neu positionierte, um dann am Kunstverein Hannover ein auffälliges Ausstellungsprofil zu entwickeln. Mit einiger Virtuosität bestand er den Slalom zwischen Art-Scouting und Publikumsveranstaltung. Gerade in Hannover kann man sehen, wie schmal der Grat geworden ist. Neben dem Sprengel Museum und der Kestnergesellschaft buhlt der Kunstverein um die kostbare Ressource Aufmerksamkeit, und der Anteil, der ihm zufällt, ist abhängig vom Geschick, mit dem er Geist, Geschäft und Gesellschaft vernetzt. Ohne beträchtliche Managementqualitäten, ohne Lust und Bereitschaft, kühl rechnende Sponsoren bei Laune und den Verein immerzu im öffentlichen Gespräch zu halten, ist der Klassenerhalt kaum zu schaffen.

Überall lautere und leisere Vereinsphasen

Es ist auffällig, wenn man die Ausstellungslisten aus dem Archiv holt, mit welchem Freistil viele Kunstvereine in den lebendigen 60er-, 70er- und 80er-Jahren mit den Zeitkunstangeboten umgegangen sind. Kaum einer, der sich mit einer Richtung begnügt hätte. Als wollte man den Anschluss an die expandierenden Szenen nicht verpassen, schwankten die Programme zwischen Positionen und Temperamenten. Und wenn das Publikum über allzu wilde Ungegenständlichkeit zu stöhnen begann, kam man mit Bernard Buffet, und alles war wieder gut. So lassen sich überall lautere und leisere Vereinsphasen nachweisen. Es gab Häuser, die lange zur Bundesliga gehörten und dann auch mal abstiegen. Und stets war die Außenwahrnehmung von der Rolle abhängig, die ihre Leitung innerhalb des kunstbetrieblichen Netzwerks spielte.

Im Westfälischen Kunstverein in Münster zum Beispiel wechselten die Leiter und Leiterinnen alle paar Jahre. Und alle paar Jahre herrschte wieder eine andere Stimmung, ein anderer Ton. Klaus Honnef, Thomas Deecke, Marianne Stockebrand, Friedrich Meschede, Heinz Liesbrock, Susanne Gaensheimer, Carina Plath – und doch hat sich eine markante Linie gebildet, eine Tradition demokratischer Gelassenheit, mit der man in sorgfältig monografischen Ausstellungen auf starke Werke aufmerksam macht.

Ähnlich in Hamburg. Von Uwe M. Schneede bis zu Stephan Schmidt-Wulffen eine Kette gelehrter Programme, die mit hanseatischem Trotz dem Entertainment widerstanden. Blättert man in alten Hamburger Katalogen, verfängt man sich sogleich in Fußnoten und Marginalien. Und es verfestigt sich der Verdacht, dass zum hanseatischen Trotz auch der strengere Sound gehören muss, der sich abhebt von der feuilletonistischen Volksmusik im Schrifttum mancher Kunstvereine.

Im Kunstverein spiegeln sich die gesellschaftlichen Veränderungen

Anderswo verlor man über dem Abheben die Basis. In München schob man in den 70er-Jahren eine ziemlich linke Kiste, zeigte "Ostkunst" und veranstaltete mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft poltrige Medientagungen. Mit gutem Abtrünnigkeitsergebnis. Nach dem alten Muster der Modernegeschichte, die ihre Dynamik aus sezessionistischen Prozessen speiste, spalteten sich nacheinander höchst aktive Alternativvereine (Aktionsraum, Modern Art Museum, Kunstraum München) ab. Eine ganze Weile ging man lieber zu Hermann Kern in den Kunstraum, sah dort zum ersten Mal Gerhard Merz und Günther Förg. Vom Kunstverein hörte man erst wieder, als Wolfgang Jean Stock und später Zdenek Felix an das überregionale Ausstellungsniveau anknüpfte.

In Frankfurt sah man bei Ewald Rathke in den 60er-Jahren noch Munch, Modigliani, Arnold Böcklin, Jawlensky. Als ihm 1970 Georg Bussmann nachfolgte, war es mit der klassischen Moderne vorbei. Jetzt hieß die Parole "Kunst und Politik". Und mit Renato Guttuso und George Grosz wehte das Pathos der kritischen Theorie durchs "Steinerne Haus" am Römerberg. Nicht lang, dann kam Peter Weiermair, und dann hing Mapplethorpe an den Wänden. Als er ging, brachte Nicolaus Schafhausen Liam Gillick und Stephen Prina mit. Bei Chus Martínez musste man so viele Namen lernen, dass man die Hälfte schon wieder vergessen hat. Einträchtig vermischen sich in den Geschichten der Kunstvereine Kunstgeschichte und Kuratorengeschichte. Im gleichen Maße, wie die Kunstvereine von den Vorlieben und Perspektiven ihrer Direktoren und Direktorinnen abhängig waren und sind, spiegeln sie als Bürgervereine auch die gesellschaftlichen Veränderungen.

Erinnerungen an eine Soiree im Frankfurter Kunstverein, frühe 70er-Jahre. Joseph Beuys mit Mikrofon, Klaus Staeck in der Nähe. Viel Publikum im Saal. Männer mit zugewachsenen Gesichtern, dass man doch froh ist über den Fortschritt in Mode und Gesittung. Worum es ging an diesem Abend, ist uns entfallen. Es wird etwas Wichtiges, Grundsätzliches, also Politisches gewesen sein. Es war ein Abend, wie er so nur im Kunstverein stattfinden konnte. Kunstvereine waren Orte der künstlerischen Selbstverständigung und der politischen Auseinandersetzung, des Streits auch, der zuweilen eine Heftigkeit annehmen konnte, wie er gänzlich aus der Mode gekommen ist.

Skandal!

Einen Riesenstreit gab es, als 1970 der damalige Direktor Toni Feldenkirchen im Kölnischen Kunstverein einen Überblick über die "Happening und Fluxus"-Bewegung zeigen wollte und dafür den freien Ausstellungsmacher Harald Szeemann engagierte. Vor Ort sollte der Aktionskünstler Wolf Vostell organisieren, der allerdings Joseph Beuys ablehnte und von den Wiener Aktionisten nichts wissen wollte. Es muss ein unglaubliches Geschiebe und Gezerre gewesen sein. Als das Veterinäramt der Stadt Köln Vostell untersagte, eine Kuh in den Kunstvereinsräumen während des Happenings kalben zu lassen, drohte der beleidigte Künstler mit Eröffnungsboykott und brachte gleich eine ganze Gruppe von Künstlerfreunden hinter sich. Szeemann musste eine Nacht lang moderieren. Die Kuh kam anderswo nieder. Der Wiener Otto Muehl durfte den "geilen Wotan" geben, und die Ausstellung wurde eröffnet, ordnungsgemäß, und ordnungsgemäß immer wieder gestört. Die Staatsanwälte sollen ein und aus gegangen sein.

Das war ein Skandal, wie ihn der Kölnische Kunstverein bis dato nicht erlebt hatte und später nie mehr erleben würde. 300 Mitglieder, an ihrer Spitze der Kölner Oberbürgermeister, traten unter Protest aus. 200 neue meldeten sich an. Das ist Kunstverein. Nirgendwo wäre das Verletzungspotenzial der Kunst auf so viel Reizbarkeit gestoßen. In einer Kunsthalle hätte die Ausstellung allenfalls Kritiker und Leserbriefschreiber animiert. Und wenn die Stadt dem Kunsthallenleiter das Mandat entzogen hätte, dann nicht im Streit um Positionen und Meinungen. Man hätte die Kasse gewogen und für zu leicht befunden. Kunstvereine waren immer auch Arenen, in denen die Anwälte und Agenten der Avantgarden und die eingetragenen Bewahrer des guten Geschmacks aufeinandertrafen.

Erfolgsgeschichte vor der Einführung des Marketings

In Köln beruhigten sich die Gemüter rasch, gewöhnten sich an den freundlichen Wulf Herzogenrath, der von 1973 bis 1989 seine besten Jahre dort verbrachte. Und als Daniel Spoerri 1979 sein legendäres "Musée Sentimental de Cologne" aufbaute, standen die Leute ergriffen vor der Vitrine mit Konrad Adenauers Aktentasche. Und Otto Muehl hätte noch mal den "geilen Wotan" geben können, niemand hätte ihm mehr zugesehen. Auch das ist Kunstverein.

Nirgendwo sonst ist bis heute so deutlich zu erfahren, wie zeitgenössische Kunst nicht nur aus Autorität, Ranküne und Setzungsakten entsteht, sondern mehr noch aus der öffentlichen Verhandlung, aus der immer wieder kritischen Befragung von Macht. Sagen wir es so: Kunstverein – eine Erfolgsgeschichte aus der Zeit vor der Einführung des Marketings.

Und wenn auch kein Mensch mehr Heidegger zitieren kann, wir sind immer noch Mitglied im Kunstverein.

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