Mäzenin Ursula Blickle

"Kunst muss wieder von Herzen kommen"

Ursula Blickle kommt vom Theater und interessiert sich seit Jahrzehnten für Kunst mit einer performativen Komponente. Den Begriff der Sammlerin mag sie nicht, sie sieht sich eher als Unterstützerin, besonders für junge Künstler. Seit sie den Ausstellungsraum der Ursula Blickle Stiftung in Kraichtal bei Karlsruhe geschlossen hat, widmet sich die Vielgereiste experimentelleren Plattformen. Im Netz macht sie in ihrem Video Archiv Medienkunstwerke zugänglich, in Wien betreibt sie einen Projektraum in der Spiegelgasse, und auch die Räume in Kraichtal stehen nicht leer. Hier untersucht das Ursula Blickle Lab die Verbindung zwischen Ton, Text und Bild. Wir haben mit der umtriebigen Mäzenin gesprochen.

Frau Blickle, wie integriert man Kraichtal und São Paulo in ein Leben?
Eigentlich ganz einfach: indem ich mich auf jedes für sich einlasse und auf alle Fälle aus den jeweiligen Angeboten und Möglichkeiten schöpfe, den schönen wie auch den hässlichen Seiten. Da gibt es Gott sei Dank einen enormen Fundus. Bei mir kommt als dritter Ort noch Wien dazu. Ich bin ja Wienerin, und auch dort lebe ich genau in diesem Sinne.

Sie haben Ihren Ausstellungsraum inzwischen geschlossen und in Kraichtal das Ursula Blickle Lab gegründet. Was wollen Sie dort erforschen?
Na ja, erforschen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck! Aber es ergeben sich ja manchmal Symbiosen, die etwas Nützliches hervorbringen. Nach 25 Jahren für die zeitgenössische Kunst – und das waren absolut spannende Jahre – gönne ich mir gerade einen Zwischenraum. Ich wollte weg von klassischen Ausstellungskonzepten und damit auch von den langen Laufzeiten. Da traf es sich gut, dass ich dem Schriftsteller Stephan Krass, der an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe Literatur lehrt, und dem Künstler Sebastian Winkler begegnet bin. Ausgangspunkt unserer Gespräche war, nach Schnittstellen von Kunst und Literatur zu suchen. So haben wir 2017 das Ursula Blickle Lab gegründet und den Fokus auf die Grenzbereiche klassischer künstlerischer Disziplinen gerichtet.

Wie sieht dieser Bereich aus?
Dort sollen punktuell Projekte realisiert werden, die der Frage nachgehen, wie ein poetischer Text in die Fläche, in den Raum kommt. Inzwischen hat sich diese Idee auf andere künstlerische Bereiche ausgeweitet. Nach nunmehr sechs erfolgreichen Veranstaltungen – zum Beispiel haben wir die Autorin Nora Gomringer mit Musikern zusammen auf die Bühne gebracht – haben wir festgestellt, dass sich die Räumlichkeiten meiner Stiftung ganz hervorragend für die Zusammenführung verschiedener Kunst­sparten eignen.

Finden Sie klassische Ausstellungshäuser überholt?
Nein, auf keinen Fall! Obwohl, da gibt es natürlich sehr große Unterschiede ... Ich habe nur für mich beschlossen, aus dem großen Kunstbetrieb auszuscheiden und mit experimentellen Formaten wie dem Lab im Kraichtal und dem Blickle Raum Spiegelgasse in Wien weiterzumachen. Da kann ich auch meinem Wunsch nachgehen, insbesondere jungen Künstlerinnen und Künstlern ein Forum zu bieten.

Ist Baden ein fruchtbarer Boden für Kunst?
Es gibt sehr viele Angebote, die sind in den letzten Jahren nur so aus dem Boden geschossen. Also muss der Boden wohl fruchtbar sein. Die Frage ist nur, ob mehr für den kommerziellen Aspekt oder für tatsächlich auch gute Kunst. Ich denke, dass sich das erst im Laufe der Zeit zeigen wird. Ich beobachte es mit Interesse.

Ist die Kunstwelt zu sehr auf die Metropolen fixiert?
Ich habe den Eindruck, dass es eher umgekehrt ist. Sie finden doch heute in fast jedem Dorf bereits Kunstausstellungen, private Sammlungen oder Museen.

Im Blickle Video Archiv sind über 2000 Videoarbeiten online frei zugänglich.​ Hat das Internet die Kunst demokratischer gemacht?
Mein Archiv ist definitiv unter einem demokratischen ­Aspekt gegründet worden, weil die Arbeiten niemandem gehören. Sie zirkulieren nicht, sind keinem monetären Kreislauf unterworfen. Sie sind von den Künstlerinnen und Künstlern bereitgestellt, damit sie für ein Fachpublikum sowie eine interessierte Öffentlichkeit zugänglich sind. Was oft dabei vergessen wird, ist, dass es dabei natürlich eines verantwortungsvollen Umgangs bedarf, dass der technische Aufwand sehr kostenintensiv ist und es außerdem eine unaufhörliche Vermittlungsarbeit braucht. In diesem Fall ist der Zugang zur Videokunst einfacher geworden, dafür stellt sich natürlich die Qualitätsfrage und das cui bono.

Können Sie sich noch an das erste Kunstwerk erinnern, das Sie nachhaltig beeindruckt hat?
O ja, das kann ich! Das war in den 80er-Jahren, als mein Freund, der Berner Künstler Herbert Distel, mich mit auf die Kunstmesse in Basel nahm. Ich war damals Schauspielerin und noch nie auf einer Kunstmesse gewesen. Dort sah ich eine der ersten Performances von Joseph Beuys. Es hat mich tief beeindruckt, und ich bin sicher, das würde es heute auch noch tun.

Warum hat es Ihnen die Medienkunst so angetan?
 Nein, also angetan hat es mir die Medienkunst nicht oder eher: nicht mehr. Als ich das Video Archiv 2006 gemeinsam mit der Kunsthalle Wien unter der Direktion von Gerald Matt und der Universität für angewandte Kunst Wien unter Rektor Gerald Bast gegründet habe, hatte es den Anschein von etwas Besonderem, das sich entwickeln könnte. Sie müssen bedenken: YouTube ist gerade mal ein Jahr davor gestartet. Wir waren also wirklich früh dran.

Was hat sich seitdem verändert?
Nun fühlt sich jeder Künstler fast schon verpflichtet, mit Video zu arbeiten. Mir ist es aber wichtig, dass das Video Archiv, das von Claudia Slanar kuratiert wird und seit 2012 Teil des Wiener Belvedere ist, ein eigenständiges Profil hat und auch den Künstlerinnen und Künstlern zugutekommt. Mein Engagement in diesem Bereich hat aber auch mit den Ausstellungsräumen meiner Stiftung in Kraichtal zu tun: Viele Menschen kamen vorbei, so auch der Autor und Filmregisseur Edgar Reitz. Wir haben uns einmal sehr lange unterhalten, und letztendlich meinte er dann: "Wenn es die Filme nicht gäbe, dann wären die Seelen der Menschen ein schrecklicher Scherbenhaufen." So dachte ich mir, man muss diese Kunstform viel mehr pflegen und fördern.

Ihr Herzensprojekt für 2019?
Ich hoffe, dass die Kunst sich von dieser Belastung aus dem politischen wie kommerziellen Bereich, diesen ewigen Ansprüchen und Anforderungen, einer dieser Seiten, oder am besten allen, zu "dienen", befreien kann. Ich hoffe, dass sie wieder mehr von Herzen kommt … und dazu wird uns für 2019 sicher etwas einfallen. So freue ich mich etwa, dass wir im Frühsommer unsere vor zwei Jahren gestartete Reihe "art. poetry. space" fortsetzen können.