ZKM-Direktor Alistair Hudson

"Kunst um der Kunst Willen ist mir nicht genug"

Der britische Kurator Alistair Hudson übernimmt am Samstag die Leitung des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Was hat er mit dem renommierten Ausstellungshaus vor?

Mr. Hudson, Sie lebten bislang in England und haben zuletzt das Whitworth Museum und die Manchester Art Gallery geleitet. Was lockt Sie nach Karlsruhe, welchen internationalen Ruf hat das ZKM?

Ich kenne das ZKM tatsächlich schon seit seiner Gründungsphase 1988, 1989, als ich in London studierte. Es war definitiv ein Momentum. Man spürte, dass mit dem Aufstieg dieser Kunstinstitution, die sich hauptsächlich der Technologie widmete, ganz wichtige Pionierarbeit geleistet wird. Und das zu einem Zeitpunkt, als es weltweit einen exponentiellen Anstieg der digitalen Technologien gab. Heute genießt das ZKM den größten Respekt in der Welt. Für seine Ausstellungen, Publikationen und Forschungsarbeit, für die ganze Art, zu denken und zu operieren.

Was haben Sie in London studiert?

Freie Kunst und Kunstgeschichte. Ich habe mich nie wirklich entscheiden können, ob ich Künstler oder Kunsthistoriker werden wollte. Und im Grunde habe ich einen Weg gefunden, beides zu tun, denn ich habe die Leitung von Institutionen immer als einen kreativen Akt verstanden. Museen waren für mich immer eher Kunstwerke, nicht nur Gebäude oder Kunstsammlungen.

In Karlsruhe treten Sie die Nachfolge von Peter Weibel an, der das ZKM 24 Jahre leitete. Wie würden Sie sein Erbe beschreiben?

Nun, es ist ziemlich entmutigend, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der im Grunde eine Legende ist. Eine Legende aus dem Grund, weil er eine Arbeitsweise geschaffen hat, bei der das Denken und die Konversation über die Welt und die Rolle der Medien darin Hand in Hand gehen. An vielen der Themen, die er in den letzten 24 Jahren etabliert hat, bin ich auch interessiert. Insofern sehe ich in meiner Postenübernahme auch eher eine Weiterentwicklung zu einem neuen Kapitel und keinen Bruch.

Welche neuen Akzente wollen Sie setzen?

Ich betrachte Kunst als Werkzeug, als ein Instrument, das einen Nutzen hat. Wir müssen das Zusammenspiel zwischen Kunst und Technik, zwischen der Maschinerie der Welt und der Kultur, die wir machen und in der wir leben, verstehen. In Manchester, aber auch zuvor, hat meine Arbeit auf die soziale Anwendung der Kunst fokussiert. Zusammen mit der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera leite ich seit knapp zehn Jahren die Plattform Arte Útil, was übersetzt in etwa "nützliche Kunst" heißt. Wir verstehen Kunst als Tool für gesellschaftlichen Wandel, Nachhaltigkeit und Förderung kreativen, kritischen Denkens.

Also kein L’art pour l’art?

Kunst um der Kunst willen ist mir nicht genug. Ich möchte eine Institution entwickeln, die einen echten sozialen Zweck verfolgt. Dazu müssen wir in einen Dialog treten mit den Menschen, die in der Kultur leben. Es geht darum, zuzuhören, was gebraucht wird, was die Leute tun und woran sie interessiert sind, und die Institution und die Mechanismen der Kunst dazu zu bringen, sich an diesen Prozessen zu beteiligen, anstatt die Leute einfach einzuladen, ins Museum zu kommen und sich etwas anzusehen. Kunst sollte weder bloße Unterhaltung noch ein rein akademisches Vergnügen sein.

Wie werden Sie sich mit der Stadt vernetzen?

Karlsruhe ist eines der wichtigsten digitalen Zentren in Europa, durch das ZKM, die Hochschule, die technologischen Industrien der Region. Aber natürlich müssen wir auch sehen, dass die sogenannten "Neuen Medien" nicht mehr neu sind. 1988 und 1989, da war das ein neuer Horizont. Und es waren nur bestimmte Leute involviert, bestimmte Künstler und Entwickler, die diese Technologien anwandten und versuchten, ihr Potenzial in der Gesellschaft auszuschöpfen. Heute sind gewissermaßen alle Künstler und Künstlerinnen Medienkünstler, ja wir alle schwimmen im Meer der Technologie. Sie ist allgegenwärtig. Daher stellt sich die Frage, was eine Institution wie das ZKM künftig leisten kann.  

Und haben Sie schon eine Antwort darauf?

Eine öffentliche Institution wie diese sollte die Ethik und die Moral dessen, wie wir Technologie in der Gesellschaft nutzen, prägen. Museen und Kunstinstitutionen tragen dazu bei, die Art von Kultur zu schaffen, in der wir leben wollen. Das schließt auch die Frage mit ein, welche Standpunkte wir bei gesellschaftlichen Debatten einnehmen, von der Klimakrise bis hin zu Überlegungen, wie wir eine funktionierende Demokratie gestalten können.

Gerade eine vermeintliche "Hypermoralität" wird der zeitgenössischen Kunst doch aber gerade vorgeworfen. Müsste nicht gerade jetzt wieder ihre Autonomie in den Vordergrund gerückt werden?

Während meiner Tätigkeit bei Grizedale Arts, einem Stipendienprogramm im Lake District, und durch die Arbeit mit Tania Bruguera ist mir klar geworden, dass das romantische Paradigma der Kunstautonomie nicht mehr in der Lage ist, eine Funktion außerhalb der Kontexte westlicher Metropolen zu erfüllen. Der klassische Autonomiegedanke basiert stark auf der deutschen Romantik, auf den ästhetischen Schriften von Kant und Schiller, wobei auch die niemals einen reinen Ästhetizismus beabsichtigten. Seit Anbeginn der Moderne wurde die Kunst aus ganz bestimmten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gründen immer weiter eingeengt. Sie sollte so betrachtet werden, als ob sie von der Welt losgelöst wäre. Heute ist es überfällig, dies rückgängig zu machen. Es gibt ja auch eine andere historische Tradition, die zu britischen Philosophen des frühen 19. Jahrhunderts wie John Ruskin zurückreicht und die soziale Dimension der Kunst betont. Ruskin sagt, wir sollen die Kunst benutzen, um die Welt wahrheitsgetreu zu sehen und dann in ihr ethisch zu handeln. Das trifft es für mich sehr gut. Hinzu kommt, dass in unserer vernetzten Gegenwart längst auch andere Weltregionen ein Mitspracherecht haben, seien es asiatische, afrikanische oder südamerikanische Länder, wo der Autonomiegedanke nie so eine starke Rolle gespielt hat wie in Europa. Die Vorstellung, es gebe ein künstlerisches Zentrum und einen Kanon, ist lange hinfällig. Wir müssen Kunst anders verstehen, in den Blick nehmen, wie sie über Kontinente hinweg funktioniert.

Können Sie schon konkrete Projekte benennen, die Sie am ZKM realisieren möchten?

Meine Taktik ist immer gewesen, nicht zu viel im Voraus zu bestimmen. Ich will kein starres Programm vorsetzen, sondern zunächst einmal zuhören, den Kontext verstehen, mit Leuten sowohl vor Ort als auch international zusammenarbeiten, denn nur so können wir gestalten, was gebraucht wird, und sensibler auf die Welt um uns herum reagieren. Meine Überzeugung einer sozial und ethisch ausgerichteten Kunst wird sich sicherlich im Programm niederschlagen und auch in der Ausrichtung des ZKM. Wenn man überlegt, wie eine solche Institution im digitalen Zeitalter weiterentwickelt werden kann, könnte man sich eher ein vernetztes Modell vorstellen, mit dem ZKM als Knotenpunkt einer internationalen Konversation zwischen verschiedenen kulturellen Orten in verschiedenen Regionen.

Bei aller Internationalität zum Schluss noch eine etwas ketzerische Frage: Wie sieht es eigentlich mit Ihren Deutschkenntnissen aus?

Na ja, ich arbeite dran und besuche fleißig meine Deutschkurse im Goethe-Institut.

Gibt es jenseits der Arbeit etwas, worauf Sie sich in Karlsruhe besonders freuen?

Wieder ein Europäer zu sein.