Buch über Kunstkriminalität

Keine harmlosen Gentlemen-Verbrechen

Der Einbruch ins Grüne Gewölbe, ein verschwundener Vermeer und zerstörte Meisterwerke – im "Atlas der Kunstverbrechen" geht Laura Evans den dunklen Seiten der Kunstwelt auf den Grund. Das ist unterhaltsam und lehrreich zugleich

Früher füllten Juwelendiebstähle die Schlagzeilen der Klatschpresse, manche Fälle wurden sogar aufwendig verfilmt. Heutzutage sind Juwelen weniger gefragt. Kaum jemand traut sich noch, damit herumzustolzieren – zu groß ist die Gefahr, Opfer tätlicher Angriffe zu werden. Einen Juwelendiebstahl allerdings gab es in jüngerer Zeit, der die Öffentlichkeit auf Jahre hinaus bewegte: der Einbruch in das Dresdner Grüne Gewölbe. Der größere Teil der Beute, wenn auch nicht alles, ist seither wieder aufgetaucht – zum Glück. Als Fazit bleibt, dass die Sicherheitsmaßnahmen in Dresden allzu leicht zu umgehen waren.

Das ist auch die unausgesprochene Quintessenz des Buches, das auf eher unterhaltsame Weise mit dem Komplex der Vergehen an Kunst bekannt macht: Als Übersetzung aus dem Englischen ist nun der "Atlas der Kunstverbrechen" erschienen, der – so der Untertitel – "Diebstahl, Fälschung, Vandalismus" an markanten Beispielen vorführt. Dem kriminellen Umgang mit Kunst haftet ja immer etwas Frivol-Verführerisches an, es hat etwas von Gentleman-Verbrechen, könnte man sagen. Dabei trifft das Gegenteil zu: Gemälde, die aus ihren Rahmen geschnitten werden, die schlimmstenfalls nie wieder auftauchen, Beschädigungen, die sich allenfalls reparieren, aber nicht spurlos machen lassen – all das trifft den Nerv der Gesellschaft, ihrer gemeinschaftlichen Schätze, ihres historischen Erbes, oft genug ihrer Identität.

Die Versuche etwa, Erpresser mit Lösegeldzahlungen zu beschwichtigen, haben denn auch etwas seltsam Unpassendes. Was sind schon ein paar Millionen Dollar oder Euro, noch dazu aus (zum Glück) abgeschlossener Versicherung, wenn dagegen ein unersetzliches Kunstwerk steht!

So sind unter den Fällen, die die Autorin Laura Evans mit Blick auf eine angelsächsische Leserschaft zusammengetragen hat, auch solche, in denen kein Angebot zur scheußlichen Rückgabe geführt hat, solche, bei denen die entwendeten Bilder vermisst bleiben und womöglich längst vernichtet sind. Der Raubzug im Isabella Stewart Gardner Museum in Boston, einer Privatsammlung, war besonders spektakulär: 1990 verschwanden ein Vermeer und gleich drei Rembrandts – darunter sein einziges See-Stück – sowie fünf Werke von Edgar Degas. Trotz riesigen Fahndungsaufwands verlor sich die Spur des Raubzugs, und nie ging auch nur eine Lösegeldforderung ein.

Fehlen der Differenzierung nach Täterkategorien

Darf man vermuten, dass sich ein kunstsinniger Mafia-Boss an den Kostbarkeiten erfreuen wollte? Solche Spekulationen schießen ja immer ins Kraut. Bislang allerdings ist der in Zeitungsartikeln immer wieder vermutete, notorische Kunstliebhaber, der ein "Klau-Bild" in seinem Wohnzimmer hütet, nicht gesichtet worden. Stets sind es ordinäre, wenn auch oft fachkundige Täter, die am materiellen Gegenwert interessiert sind.

Das hätte sicher auch für die Diebe gegolten, die 1991 nicht weniger als zwanzig Van Goghs aus dem gleichnamigen Museum in Amsterdam entwendeten. Es ging ausnahmsweise gut: Um 4:48 Uhr morgens wurde die Polizei alarmiert, und eine halbe Stunde später das Fluchtauto mit der Beute entdeckt – eine Reifenpanne war dem Diebes-Trio in die Quere gekommen. Ein neuerlicher Diebstahl im Van Gogh Museum im Jahr 2002 hingegen blieb 14 Jahre lang unaufgeklärt, bis die diesmal geklauten Bilder in Süditalien entdeckt wurden – im Haus eines Mafia-Bosses.

Während sich Diebstahl naheliegenderweise auf "gesicherte" Werte, sprich Alte Meister, konzentriert, sieht es mit Vandalismus anders aus. Barnett Newmans "Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau III" wurde 1986 mit dem Messer verunstaltet und anschließend so unsachgemäß restauriert, dass es für lange Zeit nicht mehr in die Ausstellungssäle des Amsterdamer Stedelijk Museums zurückkehrte. Unverständlich, dass das Buch nicht den Berliner Fall mit dem ebenso betitelten Newman-Gemälde aufführt, das vier Jahre zuvor in der Neuen Nationalgalerie verunstaltet wurde. Hier allerdings gelang die jahrelange Restaurierung, bei der die große monochrome Farbfläche eine enorme Herausforderung darstellte.

Die Aggressionen gegen Leonardos Mona Lisa könnten allein ein Buch füllen – jüngst etwa die Kürbissuppenattacke von Lebensmittel-Aktivistinnen im Januar 2024. Die als Vorbilder dienenden Aktionen der Klimaaktivisten unter anderem in London und Madrid hätten besser eine eigene Darstellung verdient, statt hier am größeren Mona-Lisa-Komplex angehängt zu werden. Ohnehin fehlt beim Thema Vandalismus die Differenzierung nach Täterkategorien: Politisch oder psychotisch?

Nicht alle Täter wollen sich bereichern

Bleiben noch die Fälscher. Aus deutscher Sicht darf da ein gewisser Wolfgang Beltracchi nicht fehlen, der seinen Erfolg nicht zuletzt haarsträubenden Fehlern von begutachtenden Museumsleuten und Kunsthistorikern verdankte – und seither offenbar bestens vom Verkauf eigener Bilder lebt. Berühmt war seit Jahrzehnten der Fall des Holländers Han van Meegeren, der sich – ausgerechnet! – Vermeer vornahm und gleich mehrere Bilder des so gesuchten Malers erfand und bestens verkaufte. Was, sieht man Abbildungen dieser "Bastarde", nur Kopfschütteln bereitet. Da bieten die heutigen Möglichkeiten des Bildervergleichs am Computer eben doch besseren Schutz als die begeisterte oder begeistert sein wollende Betrachtung im Halbdunkel früherer Museumsräume.

Aus dem Bereich der Fälschungen heutiger Kunst hält sich das Buch weitgehend heraus. Aus Gründen juristischer Vorsicht seien an dieser Stelle keine Vermutungen angestellt. Authentizitätsstreitigkeiten etwa im Falle von Warhol – Siebdruckbilder von seiner Hand oder nur aus seiner Factory? – mögen als Hinweis genügen.

Nicht alle Täter übrigens wollen sich bereichern. Den bisweilen behaupteten Menschenfreund, der mit einem Kunstdiebstahl Gutes für Arme erzwingen will, hat es zwar nie – oder jedenfalls nicht im behaupteten Maße – gegeben. Wohl aber Diebstahl aus materieller Not: Eine junge Frau schnitt 1907 Stücke aus einem Gemälde im Louvre, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen: "Es ist eine Schande zu sehen", wird die 27-jährige Täterin Valentine Contrel im Buch zitiert, "dass so viel Geld in tote Dinge wie jene der Louvre-Sammlung investiert wird, während so viele arme Teufel wie ich verhungern, weil sie keine Arbeit finden."

Zumindest dieses Motiv dürfte in den heutigen Zeiten des Sozialstaates entfallen. Was bleibt und worauf dieses ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Buch aufmerksam macht, ist die besondere Rolle der Kunst. Sie ist mehr als nur teuer. Sie ist, in einem höheren Sinne, unersetzlich.