Schon der Titel ist Ausdruck selbstbewussten Understatements: "Magma", so heißt eine neue, jährlich erscheinende Kunstpublikation und verspricht einen Blick auf den brodelnd heißen Stoff unter der Oberfläche. Der Band möchte sich von schnelllebiger Clickbait-Kultur abheben und stattdessen: zeitlos sein und Genres überwinden; historische Perlen heben und zeitgenössischen Kreativen völlige Freiheit zur Präsentation neuer Arbeiten bieten.
Bewusst knüpft die französisch- und englischsprachige Publikation an die Tradition bekannter Kunstzeitschriften an, darunter Georges Batailles "Documents" (1929), das surrealistische "Minotaure" (1933) oder Andy Warhols "Interview" (1969). "Diese Zeitschriften boten einen direkten Zugang zum künstlerischen Schaffen. Sie waren der Ort für die Avantgarde, sowohl künstlerisch als auch Literatur. Ich begann sie zu sammeln, als ich noch sehr jung war", sagt Paul Olivennes, Gründer und Chefredakteur von "Magma". "Ich wollte dieses Format, das heute verschwunden ist, wiederbeleben, in seiner ganzen ästhetischen, grafischen und intellektuellen Raffinesse. Künstler und Schriftsteller wieder in den Mittelpunkt stellen und einen Dialog zwischen ihnen herstellen, indem ich Verbindungen zwischen ihren zwischen ihren Werken."
Die Erstausgabe mit einem handschriftlich verfassten Vorwort des Schweizer Kurators Hans-Ulrich vereint Arbeiten von 18 Künstlerinnen und Künstlern, darunter Architektinnen, Filmemacher, Bildhauer, Schriftsteller und Fotografinnen. Die meisten der 80 Arbeiten, die von Olivennes kuratiert wurden, werden erstmalig veröffentlicht. Viele der Kunstwerke führen uns in die Vergangenheit, treten miteinander in den Dialog oder stehen in direktem Zusammenhang, wie etwa die Prosa der französischen Filmemacherin und Installationskünstlerin Agnès Varda aus dem Jahr 1976, die sich auf Fotografien von Claude Nori bezieht. In Schwarz-Weiß lichtete der Fotograf eine zufällig gefundene, beinförmige Brille ab; mal auf einer langen gedeckten Tafel liegend, mal über einem angespannten Bizeps baumelnd, mal im Mund einer Frau, die mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegt.
Wenn Goethe auf Sophie Calle trifft
Der älteste künstlerische Beitrag des von dem Modehaus Bottega Veneta unterstützten Projekts ist wohl Johann Wolfgang von Goethes Text “Villa Palagonia” von 1787, der von Bildern eben jener sizilianischen Barockvilla begleitet wird, die der Fotograf François Halards hunderte Jahre später geschossen hat. Einen künstlerischen Blick auf Kairo bieten der ägyptische Schriftsteller Alaa Al Aswany und die Architektin India Mahdavi.
Die Künstlerin Sophie Calle setzt ihre berühmte Serie ihrer surrealen Foto- und Textserie "Parce que" fort; Boris Bergman erinnert an einen Spaziergang mit der 1979 im Ceausescu-Rumänien geborenen Künstlerin Andra Ursuţa. Zu den weiteren Stücken zählen Bilder des italienischen Fotografen Luigi Ghirri, die Malerei des brasilianischen Künstlers Lucas Arrudas und die Gedichte von des französischen Lyrikers und Philosophen Edouard Glissant.
Großformatige Bilder, schnörkellose Schrift, schlichtes Design, Coffeetable-Book-Ästhetik: "Magma" will dazu einladen, sich Zeit zu nehmen und in Ruhe durch die Seiten zu blättern. Dass das Projekt von Bottega Veneta unterstützt wird, ist insofern nur passend, als das Modehaus seinerseits auf zeitlos-edles Design setzt und Kreativdirektor Matthieu Blazy eine große Leidenschaft für Kunst und Design hegt. Die jüngsten Kollektionen des Hauses wurden begleitet von Büchern und Zines; eines davon ehrt etwa Kate Moss, ein anderes dokumentiert die Zusammenarbeit Blazys mit dem italienischen Designer Gaetano Pesce. Als gebundenes Buch soll Magma in Zukunft einmal jährlich erscheinen. Gedacht als Sammlerstück macht sich das rund 200-seitige Werk mit der auf 2000 Ausgaben limitieren Auflage rar. Und kratzt an der Oberfläche.