Malakoff Kowalski über sein neues Video

"Ich setze Musik ein wie Schmerzmittel oder Champagner"

Foto: Julija Goyd
Foto: Julija Goyd
Malakoff Kowalski

Malakoff Kowalskis neues Album "My First Piano" erscheint im April, das Video zur ersten Single "Olmo Rosenthal" zeigt er exklusiv bei Monopol. Drehort: der Berliner Kunstverein Schinkel Pavillon. Regie führte die Künstlerin Nina Pohl

 

Malakoff Kowalski, würden Sie sagen, dass es Musik gibt, in der neben der akustischen auch eine visuelle Welt enthalten ist?
Absolut. Nehmen wir Alexander Skrjabin, den großen russischen Komponisten, ich liebe ihn sehr, er hat den Tönen Farben zugeordnet. Nicht bloß aus theoretischen Erwägungen – die hatte schon Aristoteles auf den Weg gebracht –, er hat die Farben tatsächlich gefühlt. Er war ein Synästhet. Seinen Wahnsinn genau zu erklären, führt hier zu weit. Aber man kann vielleicht sagen, er hat Musik nicht nur gehört, sondern auch in Farben gesehen und in Farben komponiert. Ich selber habe das nur in Ansätzen. Aber man spricht ja zum Beispiel von "leuchtenden" oder "dunklen" Akkorden. Von "blumigen" Melodien. Im Studio beim Abmischen von Aufnahmen ist ständig die Rede von "spitzen" oder "runden" Tönen, von "Tiefe" und "Raum", von "links" und "rechts". Das sind alles sehr visuelle Einordnungen, geradezu geometrisch. Davon unabhängig passen Musik und Farben und Bilder natürlich auch auf ganz anderen Feldern zusammen. Godard ohne Delerues Musik? Oder Miami Vice ohne Jan Hammer? Undenkbar!

Auf Ihr neues Album trifft das für mich zu. Was ist das Geheimnis? Muss man dazu viele Filme gesehen haben, damit der Effekt eintritt? Oder hat das mit Ihrer eigenen Biografie zu tun, weil Sie immer wieder für Film und Theater komponieren?
Ich glaube, es ist bei mir eher andersrum. Ich setze Musik ein wie Schmerzmittel, Schlaftabletten, aufputschenden Grüntee, Traubenzucker oder Champagner. Egal ob ich Musik höre, schreibe oder spiele. Sie verändert die Wahrnehmung, die Empfindung. Sie passt sich an, verzerrt oder verstärkt. Sie ist ein dramaturgischer Hebel. Film und Theater sind ja nichts anderes. Mit einer Geschichte, mit Protagonisten und mit vielen komplizierten, dramaturgischen Mitteln will man ein Gefühl erzeugen, ein Bewusstsein, mitreißen, schockieren, aufwühlen, begeistern. Meine Idee von Musik ist für solche Dinge ganz hilfreich.

"My First Piano" besteht aus von Ihnen selbst eingespielten Klavierstücken. Nach Ihrem relativ bekannten Song "How I Think Of You" von 2015 ist es auch mutig unpoppig, einverstanden?
Es macht natürlich Sinn, wenn ein Stück ständig im Radio läuft, einen Nachfolger zu schaffen, der dann noch öfter von noch mehr Radios und in noch mehr Playlisten gespielt wird. Aber ich bin der ganz festen Meinung, dass es nur einen einzigen Grund geben darf, etwas Neues zu schreiben und zu veröffentlichen: Habe ich etwas Neues zu erzählen? Glaube ich mir das selber? Das trifft auf jeden Künstler zu. Egal ob Superstar oder Art-House. Alle anderen Gründe, Geld, Anerkennung, zyklische Zwänge, Erwartungen, sogar Spaß sind am Ende Knochenbrecher und man korrumpiert sich selbst. Ich hatte nach "How I Think Of You" nicht ein einziges gesungenes Wort zu sagen. Davon war ich auch selbst ganz überrascht. Aber am Klavier hatte ich wieder eine Stimme. So einer Stimme dann zu folgen, ist fast keine Entscheidung mehr. Es denkt ja auch niemand über die Entscheidung nach, ob jetzt gelacht wird oder nicht, wenn ein guter Witz erzählt wird. Das passiert einfach. Es ist ein Impuls – wenn man nicht aus Beton gegossen ist.

Es ist auf eine Art sparsam, und vielleicht ist die akustische Sparksamkeit ja der Raum, in dem die Bilder entstehen?
Wenn das so wäre, würde mich das sehr freuen. Man möchte ja bewirken, dass im Kopf des Hörers etwas, dass man anstößt, weitergeht. Über die Sparsamkeit weiß ich nur, dass viele meiner Stücke komplett auseinander fallen, wenn auch nur ein einziger Ton fehlt. Wenn es kaum Töne gibt, haben die wenigen Töne, die tatsächlich gespielt werden natürlich sehr viel Gewicht. Stille, Rauschen, ausklingende Schwingungen genauso. Keine Safety-Zone, kein Rückzug, alles offen.

Das Foto auf dem Cover zeigt Sie mit ungefähr einem Jahr am Klavier. In dem Video, auf das wir gleich noch zu sprechen kommen, sitzen Sie da tatsächlich wieder an genau diesem Instrument? Wie kam es dazu?
Als die Idee mit dem Klavieralbum sich festigte, merkte ich sehr schnell, dass mir das richtige Instrument hierfür fehlte. Ich brauchte mehr als nur ein gut klingendes Klavier. Ein Instrument zu finden, ist genauso wie einen Menschen zu finden. Da müssen viele Dinge gleichzeitig zusammenkommen und passen. Am Todestag meines Vaters hielt ich ein altes Familienalbum in der Hand und sah dieses Baby-Foto von mir. Das ich natürlich kannte. Aber ich hatte es völlig vergessen. Also fragte ich mich, wo steht dieses Klavier heute? Was wurde daraus? Meine Mutter ist Pianistin. Es war unser erstes Klavier nachdem wir aus Teheran und Boston nach Hamburg gekommen waren. Ich trieb es also auf, nach fast dreißig Jahren, holte es nach Berlin, und noch am gleichen Tag ist das Stück "My First Piano" entstanden – während ich mit meiner Mutter in Los Angeles telefonierte, um ihr von meinem Time-Warp zu erzählen. Als kleiner Junge lag ich ständig unter ihrem Klavierhocker und hörte ihr beim Üben und Spielen zu.

Die erste Single heißt "Olmo Rosenthal", vermutlich eine Hommage. Da wüsste man natürlich gerne mehr.
Olmo ist der bengalische Kater von Nina Pohl, die auch das Video zu dem Stück gedreht hat. Er ist uralt, wunderhübsch und neben meinen zwei kleinen Neffen das süßeste und rührendste Geschöpf, das ich kenne. Nach einem Sonntagstee – ein paar Gäste im Garten, Nüsse, Obst, Pralinen – bekommt Olmo also mit, wie im Fernsehen eine Tierdokumentation über Löwen und Tiger irgendwo in Afrika läuft. Schaut sich das eine Stunde lang an und ist danach wie ausgetauscht. Er hat sich daran erinnert, dass er ein Raubtier ist, und aus dem alten Privatier wurde ein Teenager. Total aufgedreht, blitzschnell, fauchend. Er holte auch sofort zwei Vögel vom Himmel und riss ihnen den Kopf ab. Vielleicht waren es auch Mäuse. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber die armen Tiere waren tot, und er war glücklich und satt. Dazu musste ich mir natürlich Musik ausdenken. "Rosenthal" ist eine Erinnerung an den Rosenthaler Platz in Berlin, wo die Aufnahmen stattfanden.

Das Video zu "Olmo Rosenthal" zeigt Sie am besagten Piano im achteckigen Schinkel-Pavillon, ein Ausstellungshaus für Gegenwartskunst, das Nina Pohl leitet. Was interessierte Sie an dem Raum?

Als klar war, dass "Olmo Rosenthal" die erste Auskopplung wird, erzählte ich Nina davon, dass ich diese alten Videos aus den 60ern liebe, in denen Pianisten wie Glenn Gould, Richter oder Lev Oborin in Fernsehstudios Konzerte spielen. Nur wenige Kameras, keine Lichtwechsel, kaum Bewegung, endlose Einstellungen ohne Schnitte, schwarzweiß, das komplette Gegenteil von allem, was heute gemacht wird. Ich kann mir diese Videos stundenlang anschauen. Das Video ist also ein Zitat. Ich hatte keinen Schimmer, wie und wo man das machen könnte. Ninas Idee, das im Schinkel Pavillon zu drehen, entstand beim Abspielen von Yotube-Videos auf dem gleichen Fernseher, der auch schon Olmos Voodoo-Episode ausgelöst hatte. Jeder liebt diesen Ausstellungsraum, dieses Oktagon und das zu Recht. Ich auch. Dass sie es selber drehen würde, hätte ich nicht gedacht. Der Deal war natürlich sofort ausgemacht. Ein zwei Wochen später liefen die Kameras. Geschnitten hat die Fotokünstlerin Julija Goyd

Und was interessiert Sie an Gegenwartskunst? Bezüge gab es ja schon in früheren Releases, ein Cover stammt von Daniel Richter …
Vieles ist toll, vieles regt mich irrsinnig auf. Ästhetisch, inhaltlich, formal. Aber mein persönlicher Geschmack ist dabei völlig egal. Was wirklich erstaunlich ist: Es herrscht, zumindest von der Idee her, ein unbedingter Wille zum Fortschritt. Das Weiterentwickeln, dieser fast dogmatische Blick nach vorn. Alles immer neu und der Zeit ja auch immer irgendwie voraus, jedenfalls absolut im Jetzt. Das zieht mich sehr an. Mein ganzes Herz steckt in der Zeit der 50er- und 60er-Jahre. Das, was damals in der Klassik und im Jazz passiert ist, kann man kaum in Worte fassen. Dieses unfassbare Niveau von Ausdruck und Hochleistung wird nie wieder erreicht werden können. In der Musik jedenfalls. Das ist aber alles nun schon dreißig, vierzig Jahre her. Da tut mir etwas Gegenwart als Gegenwert immer sehr gut.