Zum Tod von Designerin Mary Quant

Sie schickte Schockwellen durch die Modewelt

Die britische Modedesignerin Mary Quant hat den Minirock zwar nicht erfunden, aber zur Uniform der Swinging Sixties gemacht. Nun ist die Ausstatterin einer ganzen Jugendkultur mit 93 Jahren gestorben

Im Diesel-Webshop steht ein so kurzer Lederrock zum Verkauf, dass er warnend mit "Gürtel/Rock" beschrieben wird. Das mit einem Klettverschluss ausgestattete Wickelteil aus der Herbst-Winter-2022 Kollektion des italienischen Modehauses gilt als der noch extremere Nachfolger des berühmten Miumiu-Röckchens, das sich im letzten Jahr durch seine atemberaubende Kürze zum Modeliebling mauserte. Was die beiden winzigen Kleidungsstücke nicht wissen: Ihr Stammbaum führt viele Jahrzehnte zurück: In die frühen 1960er-Jahre, als eine Frau sich entschloss, die Rocksäume bis zur Mitte der Oberschenkel herauf wandern zu lassen.

Sie ist vielleicht nicht die Erfinderin des Minis, doch war sie es, die den kleinen Rock groß gemacht hat: Mary Quant, eine der wichtigsten britischen Modedesignerinnen, ist nun mit 93 Jahren in ihrem Zuhause in Surrey gestorben, wie ihre Familie mitteilte. Und während wohl jeder Modedesigner gerne in seinem Nachruf als Pionier und Revolutionär beschrieben werden würde, trifft es bei Quant tatsächlich zu. Ihre Mode etablierte sich zur Uniform der Swinging Sixties und befreit Frauenbeine bis heute.

1955 eröffnete Mary Quant ihr erstes Modegeschäft Bazaar in der Kings Road in London. Bald wurde es zum Dreh-und Angelpunkt der Londoner Jugendkultur, junge Menschen scharten sich vor den Türen und im zugehörigen Restaurant im Kellergeschoss. Diese Kundinnen waren es, die langsam begannen, ihre Röcke zu kürzen, was Quant beobachtete und alsbald in ihren Designs übernahm.

Mit gigantischen Schritten in die "Mini Madness"

Der Mentalität des "Youthquake" entsprechend entwickelte sie ab 1962 immer weiter schrumpfende, verspielte Röcke. Zuerst endeten sie noch kurz über dem Knie, 1966 dann in der Mitte des Oberschenkels. Skandal! Mit der sogenannten "Mini-Madness" veränderte Quant die Silhouette in der Frauenmode grundlegend. Die Generation der Baby-Boomer feierte das Kleidungsstück besonders, da es sich komplett von dem Stil ihrer Eltern unterschied. Es übersetzte das herrschende Freiheitsgefühl in Stoff, der es möglich machte, sich in gigantischen Schritten durch die Welt zu bewegen.

Der Mini, den Quant nach ihrem Lieblingsauto Mini-Cooper benannt hatte, manifestierte sich zu einem globalen Look und sorgte dafür, dass Frauen sich selbstbewusst fühlten: Sie konnten uneingeschränkt rennen, sich bewegen, leben und vor allem auch arbeiten. Denn gerade die working women waren es, für die Quant ihre wegweisenden Kleider schuf.

"Jeder kann die Dinge tragen, die er will. Die Saumlänge, die er will", beschrieb es Mary Quant selbst. Für sie lag die Aufgabe von Kleidung darin, bemerkt zu werden, sexy auszusehen und sich gut zu fühlen, wie sie es einst in einem Interview erklärte.

Mode für die, die Technik lieben

All diese Eigenschaften vereinten auch weitere Klassiker, für die Quant als Modedesignerin steht: Hotpants, Jerseykleider, enge Rib-Sweater, Loungewear, knallige Strumpfhosen – eine Konsequenz des Minirock-Booms – und kindlich-sportliche Einteiler. Neben der typischen, auffällig bunten Farbpalette war es vor allem die ungewöhnliche Materialauswahl, mit der sie die Technologie liebende "Spaceage"-Modewelt der 1960er-Jahre begeisterte. Als erste Designerin nutzte sie wasserabweisendes PVC und brachte zusammen mit Alligator Rainwear ihre einflussreiche "Wet Collection" auf den Markt. Jute ließ sich in ihren Kollektionen finden, und Jersey verarbeitete sie als erste Designerin für Kleidung auch außerhalb von Sportswear.

"Quant gab uns Mode mit Flexibilität. Ihre Kleidung sollte es Frauen ermöglichen, aufzustehen und zu gehen, wohin sie wollten", erklärte es Einzelhandels-Expertin Jane Shepherdson. Frauen sollten Spaß haben, agil und zu allem in der Lage sein. Quant entwarf flache Party-Schuhe, die mühelos ungemütliche Highheels ersetzten, übernahm Elemente der weit und entspannt geschnittenen Männermode für ihr Damensortiment, zelebrierte den Bubi-Kragen und besetzte Kleider und Röcke mit Taschen, die eine Handtasche oft überflüssig machten.

Auch im Bereich Marketing setzte Mary Quant neue Standards, verkaufte "Shopping" als eine Freizeitaktivität, die sich wunderbar mit einem anschließenden Restaurantbesuch verbinden ließ. Ihr Modelabel ließ sie zu einer Super-Marke mutieren, verkaufte neben Kleidung auch Accessoires, Make-up (unter anderem die erste wasserfeste Mascara) und die Barbie-ähnliche "Daisy-Doll", deren Namen aus Quants Logo, einer abstrahierten Gänseblümchenblüte, erwuchs.

Moderevolution in den Straßen Londons

Mary Quant dachte über die Grenzen der Modewelt heraus. Sie engagierte als eine der ersten Designer Schwarze Models für ihre Kampagnen-Shootings und entwarf das günstiger zu erwerbende "Ginger Group"-Sortiment: eine weltweit in Warenhäusern angebotene Tochterlinie ihrer Marke, die auch von den weniger wohlhabenden Fashion-Liebhabern getragen werden konnte. "Der Sinn der Mode ist es, modische Kleidung für alle zugänglich zu machen", wird die Designerin zitiert. Diese Demokratisierung der Mode, wie man sie kannte, wurde als radikal gesehen. Und genau das war es, was Quant beabsichtigte: Schockwellen durch die Modewelt schicken.

1966 verlieh Königin Elisabeth II. Mary Quant den Order of the British Empire, 2015 dann wurde sie zur Dame Commander, DBE, ernannt. Eine Retrospektive des Victoria und Albert Museums in London würdigte die legendäre Arbeit der einflussreichsten Designerin der 1960er-Jahre in den Jahren 2019 und 2020. In einem dafür zusammengetragenen Archiv aus über 200 Kleidungsstücken kristallisierte sich heraus, wie Quant eine Moderevolution in den Straßen Londons begonnen hatte und Frauen noch heute von ihrer Pionierarbeit profitieren. Das Schlüsselelement laut Mary Quant selbst "Die modische Frau trägt Kleider. Die Kleider tragen nicht sie."