Picasso-Kult im Hip-Hop

Master P

Jay-Z preist "Picasso Baby", auch Kanye West vergleicht sich mit dem spanischen Künstler. Die Begeisterung von Rappern für den Kubisten ist nicht neu. Was steckt dahinter?

Kann es sein, dass der gute, alte Pablo Picasso mehr für den Hip-Hop getan hat als Grandmaster Flash, Sugarhill Gang und Run DMC zusammen? Bigger als The Notorious B.I.G., cooler als LL Cool J? Mehr Soul als De La Soul, mehr Attitude als N.W.A? Der Eindruck drängt sich auf. Auch Jay-Z spricht dauernd von Pablo P. Er hätte gerne ein Bild von Picasso, sagt der Rapper in einem Werbespot zu seinem Album "Magna Carta Holy Grail" von 2013. Darauf findet sich auch das Stück "Picasso Baby", für dessen Video der New Yorker sechs Stunden lang in der Pace Gallery in New York performte. Die Leidenschaft muss groß sein. "Picasso, Baby" beginnt mit den Zeilen "I just want a Picasso, in my casa" und endet mit "I'm the modern day Pablo Picasso, baby!" – was natürlich die Frage aufwirft, warum er sich dann nicht einfach selbst einen Picasso malt.

An der mangelnden Kunstausbildung kann es nicht liegen, denn schon vorher rappte der Hip-Hop-Star im Duett mit Kanye West: "I’m riding dirty, tryna get filthy, Pablo Picasso, Rothkos, Rilkes / Graduated to the MoMA, and I did all of this without a diploma." Kanye West ist übrigens auch Picasso. Unter anderem. "I am Picasso. I'm Walt Disney, I'm Steve Jobs"m sagte Jay-Zs Kollegemal in einem Interview.

Und nicht nur Kanye West ist Picasso. Der Rapper Nacho Picasso ist Picasso und auch Poe Picasso ist Picasso. Der kanadische Rapper Besque vergleicht sich in seinem Track "Pablo Picasso" mit dem Meister. Fat Joe behauptet in DJ Khaleds Stück "Brown Paper Bag": "I'm Picasso”, und spezifiziert: "in a Versace suit". In den ollen Schlafmänteln und Ringelpullis und Baskenmützen, die der echte Picasso trug, kann man sich auf Hip-Hop-Partys nämlich nicht sehen lassen. Deshalb reimt Young Jeezy auch in "Rap Game": "Looking better than Picasso / ya'll should frame me."

Pablo mag zwar kleidungstechnisch keinen swag gehabt haben, aber insgesamt muss man festhalten: He was da shit! Als frühe Picasso-Verehrer outeten sich A Tribe Called Quest 1996 in dem Stück "Motivators" mit der Zeile: "Now you get the picture like Picasso". Ein paar Jahre später rappte Ad Rock von den Beastie Boys "I use the microphone like Picasso used clay" – und stellte damit eher die bildhauerischen Qualitäten des Künstlers heraus. Fab 5 Freddy sagte in einem Interview mit Monopol, dass sein großes künstlerisches Vorbild in den 80er-Jahren wer war? Picasso! Früher war der Spanier noch Idol, heute ist er näher gerückt: Man fühlt sich identisch mit dem Avantgardisten.

Aber warum ausgerechnet Pablo Ruiz Picasso? Jeff Koons und Damien Hirst würden natürlich ganz gut zur Bling-Bling-Mentalität vieler Rapper passen – aber die leben noch, weshalb man nicht einfach der neue Koons oder Hirst sein kann. Andy Warhol ist Pop und Selfmade-Man und wurde sogar niedergeschossen – eine klassische Hip-Hop-Erzählung. Aber seine Kunst ist letztlich zu unauthentisch und er selbst dann wohl auch zu schwul für eine Kultur, in der Schwulsein längst nicht zur Normalität gehört. Warhols Zögling Jean-Michel Basquiat wäre der perfekte Kandidat: Aufgewachsen mit Hip-Hop, Aufsteiger, Afro-Amerikaner, und er kostet auf der Art Basel Millionen. Jay-Z bezieht sich in "Picasso Baby" auch auf ihn. Aber auf wen bezog sich Basquiat? "Die Fratzen in seinen Bilder starren zurück auf Picasso – ein ironischer, selbstbewusster Blick", sagte Galerist Tony Shafrazi einmal gegenüber Monopol.

Dalí? Surreal, also nicht real genug. Michangelo? Zu weit weg. Nein, es muss schon Picasso sein. Jeder kennt ihn, bigger than Jesus. Ein echtes Label. Er war selbstbewusster Macho, promiskuitiv, von einer überfließenden Produktivität und Innovationskraft – Werte, die häufig in Rapsongs gefeiert werden. Verkannt von den Zeitgenossen, aber nach ihm war alles anders. Als die Produzenten Timbaland und The Neptunes um die Jahrtausendwende mit ihren ungewöhnlichen, minimalistischen Beats Erfolge feierten, nannten Kritiker die Musik dann auch "kubistisch".

Anruf bei Museumskurator Sven Beckstette, der als Kritiker für die "FAZ" Hip-Hop-Alben bespricht. Klassische Moderne und Hip-Hop: Wer könnte besser Auskunft geben über das Phänomen MC Pablo? "Das Jay-Z-Album ist eine falsch verstandene Lady-Gaga-Rezeption", sagt der 39-Jährige. Die Sängerin habe als erster echter Mainstream-Star wieder deutliche Bezüge zur bildenden Kunst und Mode in ihre Arbeit geholt. Jay-Z aber, der auf seinem neuen Album auch ein Loblied auf Designer Tom Ford geschrieben hat, bediene sich der Kunst nur als Statussymbol.

"Picasso gilt als Inbegriff der Modernen Kunst, ja von Kunst allgemein. Wie der Kritiker John Berger 1965 geschrieben hat, war er schon zu Lebzeiten eine Legende: erfolgreich, innovativ, unkompromittierbart, eigenständig. Sein Schaffen wurde zum Maßstab der Kunst seines Jahrhunderts, seine Arbeiten - auch wenn stilistisch vielfältig - sind immer als Picassos erkennbar. Nur deshalb wird er hier hochgehalten. Denn Jay-Zs Verlangen nach einem Werk von Picasso ist für einen so wandelbaren wie produktiven Künstler, wie es Picasso war, sehr unspezifisch: Wenn der Rapper einen Picasso haben will, sollte er deshalb besser genauer wissen, aus welcher Phase das Werk sein soll. Denn Picasso ist mitunter nicht gleich Picasso."

Vielleicht reize den Rappern auch das Europäische an Picasso als Ausweis von Kultiviertheit. So wie in den 90er-Jahren ein Cognac einer europäischen Marke in vielen Hip-Hop-Video hochgehalten wurde, sei es jetzt eben Picasso.