Medienschau

"Jede Deutung eines Bildes verrät etwas über die dahinterliegende Weltsicht"

Monopol Medienschau

Wie Kunstverständnis und politische Einstellungen zusammenhängen, Künstler Kehinde Wiley wegen sexuellen Übergriffs verklagt, und Architektin Selldorf verteidigt Neugestaltung in Londoner National Gallery: Das ist unsere Presseschau am Dienstag

Debatte

Der Kunsthistoriker und Kurator Thomas D. Trummer analysiert im "Standard", wie eng ästhetisches Empfinden und politische Haltung verknüpft sind. Eine US-Studie von 2019 zeigte: Wer ein abstraktes Bild von Sam Gilliam ("Coffee Thyme", 1980) als Kunst anerkannte, wählte eher demokratisch; Trump-Anhänger hingegen lehnten es häufiger ab. Trummer folgert: "Jede Deutung eines Bildes verrät etwas über die dahinterliegende Weltsicht." Der Philosoph Philipp Hübl unterstütze diese These: Ästhetische Urteile spiegeln moralische Grundhaltungen wider. Menschen mit hoher "Offenheit" bevorzugen neue, komplexe Kunstformen. Konservative mit hoher "Gewissenhaftigkeit" schätzen klare Strukturen und Ordnung – auch in der Kunst. Ein aktueller Fall: Donald Trump kritisierte ein realistisches Porträt von Sarah Boardman als "verzerrt", obwohl es detailgetreu und gegenständlich ist. Trummer schreibt: "Das Problem ist nicht die Kunst, sondern dass sie ihm nicht schmeichelt." Der wahre Auslöser sei nicht die Technik, sondern der neutrale Ausdruck, der nicht seinem Selbstbild entspricht. Trummer erkennt darin eine autoritäre Ästhetik: Kunst soll verherrlichen, nicht reflektieren. "Die Verzerrung, die Trump wahrnimmt, ist nichts anderes als ein Mangel an Beschönigung." 

Apropos konservative Weltsicht: Der Schriftsteller Bernd Eilert kritisiert in einem etwas kruden "FAZ"-Essay, dass sich Museen in "moralisierende Anstalten" verwandelten. Kunstwerke würden nicht mehr zur individuellen Betrachtung freigegeben, sondern in politisch gewünschte Deutungen eingebettet. "Was uns die Bilder sagen wollen, steht heute hinter der Frage zurück, was uns die Bilder sagen sollen", so Eilert. Dazu nimmt sich der Otto-Waalkes-Autor erneut die Otto-Mueller-Retrospektive im Westfälischen Landesmuseum vor, wo Werke des Malers mit Begriffen wie "Sexismus" und "Antiziganismus" diskutiert wurden. Die begleitende Ausstellungskonzeption sei dabei weniger kunsthistorisch als ideologisch geprägt: "Statt die Geschichten der Bilder zu erzählen, werden die Bilder in das jeweils aktuelle Geschichtsbild eingefügt", schreibt Eilert. Auch eine Einordnung Muellers als "zwielichtige Gestalt" durch eine Gastkünstlerin bleibe unbelegt. Museale Vermittlung werde heute oft als Gesinnungsprüfung betrieben, kritisiert Eilert. Selbst scheinbar neutrale Tafeln – etwa in einer Landschaftsausstellung in Hannover – trügen ökologische oder gesellschaftspolitische Botschaften: "Schmetterlinge fehlen auf dem Bild, aber die Bildbeschreibung warnt vor dem Insektensterben." Dabei gehe es nicht um eine neue Öffentlichkeit, sondern um Kuratoren als Meinungsführer. Dies führe zu einer "beißenden Form der Wissensausschüttung" und bevormundender Interpretation. Die traditionelle Museumsaufgabe – Sammlung, Bewahrung, Forschung und Vermittlung – werde zunehmend von einer ideologisch geprägten "Interpretation" ersetzt. Der Kunstgenuss weiche der Pflicht zur Haltung, schließt er – als würde sich Genuss und Kontextualisierung ausschließen.

Museen

Videokunst, Tonband-Collagen und digitale Bilder sind untrennbar mit ihrer Abspieltechnik verbunden – und altern mit ihr. Um zu verhindern, dass diese Werke im Depot verstummen, müssen ihre technischen Grundlagen regelmäßig aktualisiert werden. Doch jede Anpassung bedeutet einen heiklen Balanceakt zwischen Bewahrung und Veränderung. Der Deutschlandfunk beschäftigt sich in einem halbstündigen Feature der Reihe "Wissenschaft im Brennpunkt" mit der Frage, wie sich Medienkunst erhalten lässt

In "The Art Newspaper" beschreibt Martin Bailey, wie das Londoner Imperial War Museum in den Besitz eines offiziellen Hitler-Porträts von Heinrich Knirr kam. Das "Der Führer" betitelte Gemälde zeige Hitler mit "entschlossener Miene" und "sturmverhangenem Himmel". Besonders auffällig sei die "mit Hakenkreuz versehene Armbinde". Ursprünglich hing das Bild im Empfangsraum der deutschen Botschaft in London. Knirr, einst Lehrer Paul Klees, war in den 1930ern ein überzeugter Nazi und Hitlers "Hofmaler". Nach dem Krieg wollte das Imperial War Museum das Porträt zunächst nicht übernehmen, doch die britische Regierung befürchtete, dass es "von einem faschistischen Käufer" erworben würde. So wurde es dem Museum 1946 übergeben. Es blieb lange unter Verschluss und wurde nur selten im Rahmen historischer Ausstellungen gezeigt – als "Beispiel nationalsozialistischer Propaganda". Die zweite Version des Bildes, 1937 in München gezeigt, gilt als verschollen.

Die deutsche Architektin Annabelle Selldorf verteidigt im "Telegraph"-Interview mit Alastair Sooke ihre umstrittene Neugestaltung des Sainsbury Wing in der National Gallery London. Der ursprünglich von Venturi und Scott Brown entworfene Eingangsbereich sei laut Selldorf "von Anfang an fehlerhaft" gewesen. Kritik kam unter anderem von der 93-jährigen Denise Scott Brown, die das neue Design mit "einem Zirkusclown im Tutu" verglich – trotz vorheriger Gespräche mit Selldorf. Mit ihrer dezenten, lichtdurchfluteten Neugestaltung will Selldorf Besuchern die Schwellenangst nehmen. Ein offener Empfang, ein Café ohne Konsumzwang und natürliche Materialien wie portugiesischer Kalkstein schaffen laut Selldorf "eine Atmosphäre der Wärme". Selbst kleine Details – etwa schlankere Tore oder Murano-Glaslampen – seien bewusst gewählt, um das Museum weniger "bedrohlich" wirken zu lassen. Auf die Klimaproteste der Gruppe Just Stop Oil, die Van Goghs "Sonnenblumen" attackierte, reagiert Selldorf empört: "Ich verabscheue jede Form von Gewalt – das ist naiv, dumm und aggressiv." Dass Kunstwerke nun hinter Glas gezeigt werden müssten, sei "tragisch". Ihr Ziel bleibe es, stille Räume zu schaffen, die Menschen einladen, zu verweilen – auch wenn diese Zurückhaltung oft übersehen werde.

Vertreter von Elon Musks "Department of Government Efficiency" (DOGE) trafen am Donnerstag die Leitung der National Gallery of Art in Washington, wie eine interne E-Mail belegt, die "Bloomberg" vorliegt. DOGE, eine inoffizielle Kostenkontrolleinheit der Trump-Regierung, prüft zunehmend unabhängige Kulturinstitutionen. Die Direktorin Kaywin Feldman und Justiziar Luis Baquedano besprachen mit DOGE den rechtlichen Status des Museums. Die National Gallery ist eine öffentlich-private Partnerschaft mit Bundesmitteln für den Betrieb, aber überwiegend privater Finanzierung. Ihr Vorstand umfasst prominente Förderer wie David Rubenstein und John Roberts. Während andere Institutionen wie das US Institute of Peace und das National Endowment for the Humanities bereits Ziel von DOGE-Maßnahmen wurden, blieb das Museum bislang unbehelligt. Feldman betonte die Zusammenarbeit mit allen Regierungen bei der Erfüllung des kulturellen Auftrags.

Der Louvre verzeichnet für das vergangene Jahr einen Besucherrückgang um ein Prozent – aber das ist für ein Museum, das unter notorischer Überfüllung leidet, keine wirklich besorgniserregende Nachricht. Zumal der Pariser Ausstellungstempel laut einer Erhebung von "The Art Newspaper" zu den meistbesuchten Museen 2024 mit rund 8,7 Millionen verkauften Tickets noch immer ganz vorn im internationalen Vergleich rangiert. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgen die Vatikanischen Museen mit 6,83 Millionen Besuchern, das British Museum mit 6,48 Millionen, das Metropolitan mit 5,73 und die Tate Modern mit 4,6 Millionen Besuchern. Mit dem Museum East hat es erstmals ein Ausstellungshaus aus Shanghai in die Top Ten geschafft – ein deutsches Museum findet sich im "Art Newspaper"- Ranking nicht.

Künstler

Der US-amerikanische Künstler Kehinde Wiley, bekannt durch das offizielle Porträt von Barack Obama, sieht sich erstmals mit einer Klage wegen sexuellen Übergriffs konfrontiert. Die Künstlerin Ogechi Chieke habe im Februar 2025 vor dem Supreme Court in New York Klage eingereicht, berichtet "ArtNews". Sie werfe Wiley vor, sie 2007 in einem Restaurant sexuell angegriffen zu haben. Laut Klageschrift soll Wiley Chieke zunächst körperlich bedrängt und ihr schließlich unter Schmerzen in den Intimbereich gegriffen haben. Der Vorfall habe sie dazu veranlasst, New York zu verlassen und ihre künstlerische Karriere aufzugeben. Die Klage wurde einen Tag vor Ablauf einer Gesetzesänderung eingereicht, die Opfern von geschlechtsbezogener Gewalt ermöglichte, auch lang zurückliegende Fälle juristisch aufzuarbeiten. Wiley weist gegenüber "ArtNews" die Vorwürfe zurück und spricht von einer "haltlosen Anschuldigung" sowie einem "dreisten Versuch, Geld zu erpressen". Er beteuert, Chieke nicht zu kennen. Bereits 2024 waren mehrere Vorwürfe von Männern gegen Wiley öffentlich geworden, die ihm Vergewaltigung vorwarfen. Wiley erklärte in diesen Fällen, die Begegnungen seien einvernehmlich gewesen. Infolge der Anschuldigungen haben mehrere Museen geplante Ausstellungen mit Wileys Werken abgesagt, darunter das Minneapolis Institute of Art.

Interview

Der britische Sänger Bryan Ferry richtet keine Geburtstagsfeiern aus - auch nicht zu seinem 80. im Herbst. "Wie immer werde ich mich vor der Welt verstecken, an irgendeinem ruhigen Plätzchen. Dort reflektiere ich und drücke mir selbst die Daumen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Ferry, Gründungsmitglied und Sänger der Band Roxy Music, wird am 26. September 80 Jahre alt. Kürzlich hat er zusammen mit der Künstlerin Amelia Barratt das Album "Loose Talk" veröffentlicht - Ferrys Stimme ist dabei allerdings kaum zu hören: Die Schriftstellerin, Performance-Künstlerin und Malerin Barratt spricht eigene poetische Texte, zu denen Ferry die musikalische Begleitung liefert.