Medienschau

"Das ist ein wirklich herablassender, imperialistischer Schwachsinn"

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Ein Verriss der Londoner Judy-Chicago-Schau, Kunsthaus Zürich mit finanziellen Problemen und eine Bilanz der New Yorker Frühjahrsauktionen: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Debatte

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht die Kunstfreiheit in Deutschland von antidemokratischen Kräften bedroht. "Wir haben auch in unserem Land Antidemokraten, Rechtsstaatverächter, die diesen Artikel 5 des Grundgesetzes dahingehend interpretieren, dass sie entscheiden, was aus ihrer Sicht Kunst ist", sagte die Grünen-Politikerin dem 3sat- Kulturmagazin "Kulturzeit" mit Blick auf den 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Im Artikel 5 ist unter anderem die Kunstfreiheit festgeschrieben. Wer Theatern vorschreiben wolle, welche Stücke sie aufzuführen haben, wer Musikern vorschreiben wolle, welche Komponisten noch legitim seien, wer einem Museum vorschreiben wolle, diese Bild abzuhängen, jenes aufzuhängen, der verübe einen frontalen Angriff auf das Grundgesetz und die Kunstfreiheit, so Roth. "Aber das ist genau das Ansinnen der Antidemokraten, die es in unserem Land gibt, und ich beobachte mit großer Sorge und kriege das von vielen Einrichtungen, von Theatern, vom Kindertheater, vom Museum gespiegelt, dass auf sie Druck ausgeübt wird." Das Interview wird im Rahmen eines "Kulturzeit extra" am Donnerstag anlässlich des 75. Geburtstags des Grundgesetzes ausgestrahlt.

Um die Freiheit der Kunst fürchtet auch Hanno Rauterberg nach den MeToo-Vorwürfe gegen Kehinde Wiley (siehe Medienschau von gestern): "Wird es also passieren?", kommentiert der Kritiker in der "Zeit" einen bislang von niemanden geforderten Boykott herbei. "Muss sich die National Portrait Gallery in Washington, die bislang Obamas Porträt ausstellt, einen neuen Porträtisten suchen? Schon bald dürfte es solche Forderungen geben. Wieder wird es darum gehen, ob die Kunst für etwas büßen muss, für das sie nichts kann. Und ob mit den Gemälden jetzt auch Obama zum Cancel-Fall wird."

Museen

Das Kunsthaus Zürich hat finanzielle Probleme. "Das zeigen die Zahlen des Jahresberichts 2023", berichtet Philipp Meier in der "NZZ". "Die Zürcher Kunstgesellschaft, die als Trägerverein des Museums figuriert, ist mit rund 4,5 Millionen Franken in den roten Zahlen. Die Verschuldung ist in den letzten zwölf Monaten um mehr als 1,5 Millionen Franken angestiegen. Die Einnahmen durch Eintrittstickets sind rückläufig. Sie reduzierten sich gegenüber dem Jahr 2022 von 5,2 auf 4,6 Millionen Franken. Auch die Erträge im Museumsshop sind gesunken, nämlich von 2,38 auf 2,1 Millionen Franken. Ebenso die Einnahmen durch die Kunstvermittlung, die von 660 000 auf 525 000 Franken zurückgegangen sind."

Kunstmarkt

Julia Halperin and Zachary Small fassen in der "New York Times" in fünf Kapiteln die New Yorker Frühjahrsauktionen zusammen: "Die größten Schwächen des Kunstmarktes sind Unsicherheit und Zweifel - Emotionen, die sich auf die Branche noch stärker auswirken, weil sie sich um eine relativ kleine Anzahl von sehr wohlhabenden Käufern und Verkäufern dreht." Und Unsicherheit und Zweifel gab es in der vergangenen Woche genug, vom Rückzug eines Brice-Marden-Werks bis zum Zusammenbruch der Christie's-Website (die erst gestern wieder ganz funktionierte).

Ausstellung

Jonathan Jones ist im "Guardian" total enttäuscht von der Ausstellung von Judy Chicago in den Serpentine Galleries in London: "Ihr kosmologisches Geschrei ist ermüdend, und ihre glückseligen Frauenfiguren sind über alle Maßen idealisiert", meint der Kritiker. Schrecklich findet er auch eine jüngere Arbeit: "Im Jahr 2020 arbeitete das Modehaus Dior mit ihr zusammen, um ihren Entwurf aus dem Jahr 1977 für eine kolossale Skulptur der Muttergöttin in den Gärten des Rodin-Museums in Paris im Rahmen seiner Frühjahr/Sommer-Haute-Couture-Schau zu verwirklichen. Die Originalzeichnungen sind zu sehen, während ein Werbevideo uns in das Innere dieses hohlen Kunstwerks mit dem großen goldenen Dior-Schild an der Tür führt. Das Innere wurde mit Stoffen dekoriert, die von Frauen in Indien gewebt wurden. In dem Video wird erzählt, dass Frauen in Indien nicht an Handwerksbetrieben teilnehmen dürfen, die von Männern geführt werden, aber dank der Großzügigkeit von Dior nun die Möglichkeit dazu erhalten. Eine amerikanische Künstlerin und ein französisches Modehaus tun sich also zusammen, um die hilflosen Frauen in Indien zu unterstützen. Das ist ein wirklich herablassender, imperialistischer Schwachsinn. Aber in der Kunst- und Modewelt gibt es einen immensen Appetit auf das Absurde."

Egal, ob im Haus der Kunst, der Fondation Beyerle oder im Centre Pompidou: Immer wenn Georg Baselitz irgendwo auf der Welt eine Ausstellung eröffnet, ist Cornelius Tittel zur Stelle und schreibt einen Artikel in der "Welt" oder seinem "Blau"-Kunstmagazin. So auch jetzt, zur Baselitz-Ausstellung bei White Cube in London und in der Galerie Thaddaeus Ropac in Salzburg, mit einem Cringe-Teaser wie von Goethe: "Die Kräfte schwinden, der Genius macht es wett". Natürlich ist Tittel begeistert: "So schwer die Londoner Schau ausklingt, so schwerelos schwingt sich die Salzburger wieder auf. Wenn dies seine beiden letzten Galerie-Ausstellungen blieben – es wäre ein Abschied im Triumph. Push and pull, Hand und Auge, der Kopf und das Physische, das Ganze und das Detail – noch einmal kommen sie zusammen."

Das besondere Kunstwerk

Nikolaus Bernau wünscht sich im "Tagesspiegel" Lars Rambergs Kunst-am-Bau-Skulptur "ZWEIFEL" zurück. Der Schriftzug prangte 2005 auf dem Rohbau des entkernten Palasts der Republik. Regelrecht grandios könnte 'ZWEIFEL' dagegen über dem Schlüterhof oder über der Passage zwischen Lustgarten und Schlossplatz wirken, dort, wo Stellas Spätestmodernismus und der Barock-Nachbau direkt aufeinandertreffen. Dort wären die Riesenbuchstaben Teil der Gesamtkompositionen, ohne zu dominieren, leuchteten auf alle Ebenen der Architekturen und in die Sammlungen des Humboldt-Forums hinein. So könnten sie beim Publikum genau das unterstützen, was an diesem Ort der Geschichtsdebatte zentral ist: den Zweifel an jeder auf den ersten Blick eindeutigen Geschichtserzählung."

Lars Rambergs "Zweifel"-Installation auf dem Berliner Palast der Republik vor dessen Abriss 2005
Foto: CC BY-SA 4.0

Lars Rambergs "Zweifel"-Installation auf dem Berliner Palast der Republik vor dessen Abriss 2005