Medienschau

"Miteinander geredet aber wird nicht"

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Justizminister droht nach Berlinale mit strafrechtlichen Konsequenzen, Joe Chialo kündigt eine neue Antidiskriminierungsklausel an, Meron Mendel und Saba-Nur Cheema über "das Trauerspiel der Boykottkultur": Das ist unsere Presseschau am Dienstag

Debatte

In der "Zeit" fragt Julia Lorenz, was denn überhaupt an der Berlinale-Gala, auf der eine laute Mehrheit der Ausgezeichneten einen Waffenstillstand in Gaza forderte und sich solidarisch mit Palästina äußerte, ein Skandal war: "Mittlerweile hat sich eine elende Routine eingespielt, nicht nur in Deutschland, aber vor allem hier: Kulturschaffende protestieren lauthals und oft antiisraelisch gegen den Krieg im Gazastreifen, Politikerinnen und Politiker protestieren empört gegen diese Proteste, Kulturschaffende protestieren gegen die Proteste gegen ihre Proteste, indem sie mitunter zum Beispiel in Deutschland einen neuen McCarthyismus oder noch Schlimmeres politisch am Werk wähnen. Beide Seiten fühlen sich offenkundig mindestens moralisch im Recht. Miteinander geredet aber wird nicht. Auch da nicht, wo eine Diskussion möglich wäre, weil sie unter Menschen geführt würde, die ein Interesse an der Position des je anderen hätten und selbst nicht nur absolute Haltungen vertreten. Man redet stattdessen lediglich übereinander, verurteilt den je anderen. Das kann man selbstverständlich immer so weitermachen. Es führt bloß nirgendwo hin." Ähnlich sieht es Hannah Pilarczyk im "Spiegel": "Alle Statements des Abends pauschal als Hetze zu verunglimpfen, ist nicht die Korrektur von Einseitigkeit, sondern ihr exakter Spiegel. Wenn Regisseur Russell mit Kufiya behängt lapidar von einem Völkermord Israels an den Palästinensern spricht, dann verdient das scharfen Widerspruch. Aus dem Publikum und auch von der Moderation. Aber wenn der israelische Regisseur Abraham darlegt, dass für ihn und seinen palästinensischen Regiekollegen Adra unterschiedliche Rechte gelten, obwohl sie nur wenige Autominuten voneinander entfernt leben, und er deshalb den Begriff 'Apartheid' treffend findet (in diesem SPIEGEL-Interview hat er das ausführlicher erklärt ), dann sollte man die Stimme eines Beteiligten nicht sofort abtun."

Bundesjustizminister Marco Buschmann droht derweil mit strafrechtlichen Konsequenzen. Das Strafrecht sei gut aufgestellt, um antisemitische Äußerungen zu ahnden, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Verwendung der Parole "Free Palestine - From the River to the Sea" könne etwa als Billigung der im Rahmen der Angriffe der Hamas im Oktober 2023 in Israel begangenen Tötungsdelikte verstanden werden. Buschmann bezog sich dabei auf einen Instagram-Beitrag, der zuvor auf einem Konto einer Berlinale-Reihe veröffentlicht worden war. Der Instagram-Kanal wurde laut Angaben der Berlinale gehackt, die Posts seien sofort gelöscht worden. Das Filmfestival habe Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Auf einem Foto des Posts war der Slogan "Free Palestine - From the River to the Sea" ("Freies Palästina - vom Fluss bis zum Meer") zu sehen. "Eine Belohnung und Billigung von Straftaten ist strafbar", betonte der Minister. Wer Propagandamittel verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verbreite oder Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen wie der Hamas verwende, mache sich ebenfalls strafbar. "Die Berlinale hat an diesem Wochenende schweren Schaden genommen, weil dort Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist", sagte Buschmann. 

Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) kündigte unterdessen eine neue Antidiskriminierungsklausel an. "Es ist wichtig, eine juristische Regelung zu finden, die sicherstellt, dass Hass nicht aus Steuergeldern finanziert wird. Daran arbeiten derzeit vier Senatsverwaltungen unter dem Regierenden Bürgermeister gemeinsam", sagte er der Zeitung "Die Welt".

Meron Mendel und Saba-Nur Cheema schreiben in der "FAZ" über "das Trauerspiel der Boykottkultur": "Aktuell beneiden wir Museumsdirektoren, Intendanten und Universitätsleitungen nicht. Sie sind massivem Druck einerseits von der Politik und andererseits von Aktivisten ausgesetzt. Deshalb sollten sie Boykottforderungen ablehnen, egal aus welcher Richtung sie kommen. Wenn sie einknicken, hat dies nicht nur Konsequenzen für die jeweilige Institution, sondern für unsere Demokratie, die sich dadurch auszeichnet, dass Kontroversität nicht nur zugelassen, sondern ausdrücklich erwünscht ist."

Museen

"Wie woke müssen Museen heute sein?", fragt Simone Hamm in ihrem einstündigen WDR3-Kulturfeature. "Dürfen Bilder provozieren, ja verletzten? Was müssen die Betrachter aushalten können, was nicht? Wieviel Erklärung braucht ein Kunstwerk?" Befragt hat sie unter anderem Stefan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn, und Joachim Jäger, stellv. Direktor Neue Nationalgalerie in Berlin.

Porträt

Rachel Corbett schreibt im "New York"-Magazin ein Porträt des US-Malers Christopher Wool, der gerade in New York eine Ausstellung ohne institutionelle Hilfe und ohne Galerie auf die Beine stellt: "Mit 68 Jahren hat Wool die Nase voll von Museen, von den White Cubes. 'Ich habe wahrscheinlich mehr Museumsausstellungen gemacht als die meisten Künstler meines Alters. Es hat seinen Reiz verloren.' Was ihn jedoch erregt, ist ein Stück abblätternder Putz, das er in der Nähe einer Bodendiele entdeckt. Er kniet nieder, um die freiliegenden Drähte und Rohre darunter zu bewundern: 'Sehen Sie all diese Geschichte?'"