Laura Poitras stellt im Whitney Museum aus

"Meine ganze Arbeit ist persönlich"

Grenzenlose Überwachung, Folter auf Guantánamo, ferngesteuerter Krieg mit Kampfdrohnen: Im Krieg gegen Terror überschritten die USA viele Grenzen. Für Laura Poitras, die all das in ihrer neuen Ausstellung aufarbeitet, hat die Geschichte auch eine ganz persönliche Seite

Acht Minuten veränderten ihr Leben. Die acht Minuten, die Laura Poitras auf dem Dach eines Wohnhauses in Bagdad filmte, und deretwegen die US-Regierung sie zu überwachen begann. An Flughäfen wurde sie festgehalten, wenn sie die Grenze überquerte. Die FBI-Ermittlungen hat Poitras in ihrer ersten Solo-Ausstellung "Astro Noise" im New Yorker Whitney Museum verarbeitet. "Künstler arbeiten in einem politischen Kontext und nicht in einem Vakuum", sagt sie. Die Ausstellung ist Sozialkritik und Lebensausschnitt zugleich.

Frau Poitras, zehn Jahre wussten Sie nicht, dass Sie von der US-Regierung überwacht wurden. Wie sind Sie dann an die Akten gekommen?
Ich habe auf Herausgabe der Akten geklagt, als ich auf der Beobachterliste stand und die Regierung nichts veröffentlichte. Ich hatte sehr gehofft, dass wir etwas bekommen, das wir möglicherweise in die Ausstellung einarbeiten können. Im Oktober haben wir dann die ersten Stapel FBI-Dokumente erhalten.

Wie haben Sie reagiert?
Als Künstlerin war ich zuerst aufgeregt. Ich sagte, das ist fantastisches Material. Ich wusste nicht, wie stark ich überwacht worden war, ich wusste nicht, dass es Jury-Ermittlungen gab.

Und Sie als Mensch?
Auf persönlicher Ebene war es eine Art Abschluss, als ob sich etwas hinter der Bühne abspielte und man sehen konnte, wie es sich dann zeigt. Selbst wenn es sehr düster ist. Es ist beunruhigend festzustellen, dass Deine persönlichen Akten zu Beweismitteln der Regierung wurden. Aber dann macht alles Sinn, wie die Festnahmen am Flughafen. Es freut mich, das in die Ausstellung aufnehmen zu können.

Wie sehr ist "Astro Noise" Ihre persönliche Geschichte und wie sehr eine Fortsetzung einer vergangenen Kritik an der Regierung?
Künstler arbeiten immer aus persönlicher Erfahrung, das ist normal. Meine ganze Arbeit ist persönlich. Das hier geht über den Staat und das Post-9/11-Amerika und die Themen, die ich seit langem verfolge, hinaus. Aber es ist abstrakter.

Viele Menschen in Deutschland kennen Sie durch Enthüllungen rund um die NSA, als Journalistin und Dokumentarfilmerin. Inwieweit haben Sie sich zur Künstlerin gewandelt?
Filmen ist Kunst, da ist keinerlei Wandel. Und ich habe mich stets als visuelle Journalistin gesehen. Ich habe einen Film über den Irakkrieg gemacht, einen Film über Guantánamo. Sie alle nutzen Bilder, um über Realitäten in der echten Welt zu sprechen.

Aber Sie nutzen in "Astro Noise" auch neue Genres.
Kreative Menschen versuchen immer, neue Wege zu gehen. Nehmen Sie Steven Soderbergh, der macht Spielfilme, Serien, er schreibt, das ist normal. Künstler kreuzen ständig Genres.

Lassen sich die Zuschauer und Museumsbesucher nach all den Enthüllungen der vergangenen Jahre überhaupt noch schocken?
Das müssen Sie die Leute fragen. Die Menschen sollten immer noch schockiert sein, dass Guantanamo noch in Betrieb ist. Ich bin immer noch schockiert. Ich bin schockiert, dass es keine wirkliche Abrechnung mit dem Folterprogramm nach 9/11 gegeben hat, das finde ich schockierend. Aber ich spreche nicht für die Öffentlichkeit.

ZUR PERSON: Die Dokumentarfilmerin und Künstlerin Laura Poitras (52) wurde durch die NSA-Enthüllungen weltweit bekannt. Sie hielt Kontakt zum Whistleblower Edward Snowden, den sie zum Gegenstand ihres mit einem Oscar ausgezeichneten Films "Citizenfour" machte. Die in Boston geborene Amerikanerin zog nach Berlin, als sie auf Reisen an der US-Grenze von Behörden schikaniert wurde. Ab Freitag ist im New Yorker Whitney Museum ihre Ausstellung "Astro Noise" rund um das Thema Überwachung, die US-Kriege im Irak und Afghanistan und den Kampf gegen Terrorismus zu sehen.