Wiedereröffnung des Mumok in Wien

Intellektuelle Schärfe und sinnliche Kraft

Politik statt Pop Art: Mit einer so intelligenten wie engagierten Ausstellung zum Thema Rassismus und Dekolonialisierung eröffnet das Mumok in Wien sein renoviertes Haus

Das Mumok in Wien überrascht bei seiner Wiederöffnung nach fünfmonatiger Umbaupause mit einer engagierten Ausstellung: "Avant-Garde and Liberation". War das Haus bisher eher bekannt für Schauen im Spannungsfeld von Konzeptkunst und Pop Art, so setzt es jetzt ein Zeichen für dekoloniale Kunst, die, so Kurator Christian Kravagna, "auf aktuelle politische Bedrohungen von Freiheit und Leben reagiert und sich dabei auf Konzepte, Projekte und Errungenschaften der dekolonialen Moderne beruft". 

Diese andere, nicht eurozentristische Avantgarde thematisiert dann Problemfelder wie Rassismus, Neofaschismus und Globalisierung. Dabei bewegen sich die Arbeiten der 24 Künstlerinnen und Künstler im Kontext der postkolonialen Theorie. Und nehmen das emanzipatorische Potenzial dieser Denkschule in den Fokus, die derzeit in der öffentlichen Debatte oft vorschnell als antisemitisch abgekanzelt wird.

Begrüßt wird der Besucher von dem programmatischen Bild "Clin d´oeil à Cheikh Anta Diop – Un continent à la recherche de son histoire" (2017) des senegalesischen Künstlers Omar Ba. Das Werk zeigt drei Personen in westafrikanischer Kleidung vor einer Weltkarte, auf denen Gebäude wie der Eiffelturm und Big Ben zu sehen sind. 

Geschichtsumschreibung als Akt der Befreiung

Diesen Zeugnissen imperialer Macht sind auf Podesten ruhende Kunstwerke aus dem alten Ägypten gegenübergestellt. Im Titel spielt Omar Ba auf Cheikh Anta Diop an, einen wegweisenden Intellektuellen des Afrozentrismus. Diop hat in seinen Schriften immer wieder die Bedeutung des "Schwarzen" Ägypten für die griechischen Antike, die vermeintliche Wiege der westlichen Kultur, betont. Das Umschreiben der vom Eurozentrismus dominierten Historie steht hier, wie in vielen Arbeiten von "Avant-Garde and Liberation", für einen Akt der Befreiung. 

Die Darstellung des Schwarzen menschlichen Körpers und die Referenz auf historische Figuren der Dekolonialisierung stehen ebenfalls immer wieder im Zentrum der Bilder und Filme, Installationen und Skulpturen. So etwa in der Fotoserie "Les Bijoux" (2002 - 2006) der schottisch-ghanaischen Künstlerin Maud Sulter. Der Titel zitiert ein Gedicht von Charles Baudelaire, in dem der französische Dichter seine aus Haiti stammende Geliebte Jeanne Duval als lediglich mit Juwelen bekleidete Schöne beschreibt, um sie dann als "maurische Sklavin" zu verehren. 

Sulter sucht in ihrer Arbeit nach einer nicht mehr rassistisch konnotierten Identität für Duval, die nicht nur Modell für Edouard Monet und Nadar gewesen ist, sondern auch eine eigene Karriere als Sängerin und Tänzerin hatte. Also inszeniert sich die Künstlerin in ihren fotografischen Selbstporträts als stolzes Individuum, das mit souveränen Gesten selbstbestimmte Rollenbilder vorstellt. Der dabei von ihr getragene Schmuck erzählt lapidar und präzise zugleich von der Tragik versklavter Minenarbeiter und dem Welthandel mit Edelsteinen. 

Gelungene Balance

Die literarische Arbeit des US-amerikanischen Schriftstellers James Baldwin wird gleich in mehreren Arbeiten im Museum thematisiert und aktualisiert. So in Serge Attukwei Clotteys nach Baldwin benanntem Porträt, das den Schwarzen und homosexuellen Autor inmitten collagierter Medienbilder von women of color zeigt. Das Materialbild auf Kork ist aus Ölfarbe, Papier und Klebeband gefertigt. Genauer: Aus einer Sorte Klebeband, die einem nigerianischen Asylbewerber auf seinem Abschiebeflug aus Österreich 1999 von der Polizei auf dem Mund geklebt wurde, sodass der Mann erstickte. 

Protest gegen Rassismus formuliert auch Zoe Leonard in ihrer Skulptur "Tipping Point" von 2016. Diese Arbeit besteht aus 53 aufeinandergestapelten Exemplaren der Erstausgabe von Baldwins "The Fire Next Time" von 1963. Die Anzahl der Bände entspricht eben dem Zeitraum, der seit dem Erscheinen des Buches vergangen war, als Leonard ihre Skulptur 2016 konzipierte. Die Künstlerin mahnt so mit ihrer aufrecht stehenden Arbeit an, dass die von Baldwin beschriebene rassistische Gewalt auch in den USA des 21. Jahrhunderts immer noch virulent ist. 

Die Ausstellung überzeugt nicht nur durch ihre engagierten Fragestellungen und die kluge Zusammenstellung, sondern auch durch die gelungene Balance von intellektueller Schärfe und sinnlicher Kraft. Zu empfehlen ist auch die Lektüre des klugen und informativen Katalogs.