Zum Tod von Claes Oldenburg

Der Herr der Dinge

Eine Wahrsagerin prophezeite Claes Oldenburg einst eine Präsenz auf der ganzen Welt und sollte Recht behalten. Nun ist der Pop-Art-Künstler, der Alltagsobjekte magisch werden ließ, gestorben. Eine Würdigung

Vor vielen Jahren ließ sich Claes Oldenburg von einer Wahrsagerin in die Handflächen schauen. "Ich weiß nicht, was du machst, Darling", sagte das Medium namens Doris, "aber es ist sehr weich". Außerdem verkündete die Seherin, es werde dereinst in jeder großen Stadt der Welt "ein Stück von Dir geben". 

Oldenburg selbst hat von dieser Sitzung erzählt, die stattfand, lange bevor er monumentale Doubles von Alltagsdingen in Stadträume stellte. Und falls die Begebenheit erfunden sein sollte, ist sie gut erfunden. Der jetzt im Alter von 93 Jahren verstorbene Künstler war schon immer ein glänzender Geschichtenerzähler. Sein Kernmedium blieb bis zuletzt die Zeichnung.

Zeichnend schuf er sich von Kindesbeinen an Parallelwelten – oder verwandelte tote Dinge in belebte Charaktere. Berühmt wurde er durch riesige Skulpturen, angefangen mit einem gigantischen, auf dem Fahrgestell eines Raupenfahrzeugs errichteten Lippenstift, dessen Realisierung 1969 von der Studierendenschaft der Yale University durchgesetzt wurde. Die Skulptur "Lipstick (Ascending) on Caterpillar Tracks" erinnerte an einen Panzer – und wurde in einer Zeit erbitterter Proteste gegen den Vietnamkrieg als Politikum wahrgenommen (was mehr oder weniger für jede Skulptur im öffentlichen Raum gilt).

Monumente mit Humor

Doris sollte recht behalten. Tatsächlich hat es Oldenburg geschafft, viele Stadträume mit seinen Außenskulpturen zu prägen. Auch in Deutschland. Wer anlässlich der Documenta Fifteen am Fuldaufer entlangschlendert, stößt unweigerlich auf seine zwölf Meter hohe "Spitzhacke" (1982 zur Documenta 7 geschaffen). "Inverted Collar and Tie" im Frankfurter Westend – ein überdimensionaler Hemdkragen mit Krawatte als Parodie der Büromenschen, die das Bankenviertel bevölkern – war 1994 die erste von Oldenburg entworfene Fiberglas-Skulptur. Als spätes Riesenwerk steht "The Paint Torch" an der Kunstakademie in Philadelphia, ein 2011 errichteter Pinsel, an dessen Fuß ein roter Farbklecks glänzt.

Oldenburg wurde 1929 in Stockholm geboren, wuchs aber in New York auf. Sein Vater war Diplomat, seine Mutter Gesangslehrerin, die außerdem malte, abstrakte Bilder. Für die Abstraktion konnte sich Oldenburg nie erwärmen. Er brauchte Gegenstände – um sie im kreativen Prozess umzuformen. Schon als Kind erfand er das Land "Neubern", das er in allen (architektonischen) Details zeichnete. "Wir hatten sogar eine Marine und eine Luftwaffe. Ich habe viel Zeit mit Zeichnen verbracht", erzählte Oldenburg später.

Seine ersten Lebensjahre verbrachte er in Chicago, am dortigen Art Institute studierte er auch zeitweilig, aber erst an der Ox-Bow School in Saugatuck, Michigan, fand er die Freiheit, die er brauchte. Dort realisierte er erste Performances, die auch für seine späteren Skulpturen prägend wurden: In den frühen 1960ern entstanden die ersten "Soft Sculptures" aus Vinyl, Werke, die teils aufblasbar waren und sich verschiedenen Ausstellungssituationen anpassen konnten.

Absurde Geschichten mit Dingen erzählen

Die "eingeweichten" Gegenstände – Fahrzeuge, Waschbecken und andere Industrieprodukte – wurden von Oldenburgs erster Ehefrau, der Künstlerin Patty Mucha, genäht, die bereits für die Kostüme und Requisiten seiner Happenings verantwortlich gewesen war. 1970 ließ sich das Paar scheiden. Einige Jahre später heiratete Oldenburg die niederländische Bildhauerin und Kunsthistorikerin Coosje van Bruggen (1942-2009), mit der er dann drei Jahrzehnte lang eng zusammenarbeiten sollte. Oldenburg und van Bruggen schufen gemeinsam die Großprojekte, mit denen man Oldenburg heute verbindet. Eine ideale Partnerschaft, die nicht von ungefähr an Christo und Jeanne-Claude denken lässt.

Eine verbogene Riesenschraube, durch die man hindurchgehen kann, für Rotterdam, gewaltige Federbälle auf einem Rasenstück in Kansas City, eine Eistüte, deren gefrorener Inhalt (hoffentlich) ewig an einem Gebäudedach im Kölner Neumarktviertel klebt. Diese Projekte des Künstlerpaars sind typisch für Oldenburgs Ästhetik, die nicht einfach darin besteht, Dinge zu kopieren und in den Kunstraum zu verpflanzen – wie bei Duchamp und dann bei Warhol – sondern die Gegenstände auch zu verändern, zu verformen und mit ihnen absurde Geschichten anzureißen. Oldenburgs Kunst, die die Pop-Art geprägt hat, reicht weit über diese Kunstrichtung hinaus. Sie ist weniger cool, tendiert kaum zur Abstraktion, ist oft überaus komisch, ein in der Kunstwelt selten anzutreffendes Merkmal. 

Sein Witz und Erfindungsdrang schienen unerschöpflich zu sein. Bis zuletzt soll er jeden Tag gezeichnet haben. Diverse Projekte von ihm harren noch ihrer Verwirklichung – darunter ein kolossaler Teddybär für den New Yorker Central Park. Dort, im Stadtteil SoHo, ist Claes Oldenburg am Montag gestorben. Wirklich? Denn wie das mit den ganz Großen seiner Zunft so ist: Seine nicht nur in den Abmessungen kolossalen Werke haben ihn unsterblich gemacht.