Diskussion um Walid Raads BDS-Verbindung

Boykott ist ansteckend

Die Stadt Aachen möchte dem Künstler Walid Raad ihren Kunstpreis nicht verleihen – wegen dessen Verbindungen zur israelkritischen Boykottbewegung BDS. Ein Kommentar

Der Künstler Walid Raad hat sich mit seinem nachdenklichen und poetischen Werk über das Erbe des Krieges in seiner Heimat Libanon international einen großen Namen gemacht. Im Westen ist Raad, der mittlerweile in New York lehrt, einer der prominentesten Vermittler der Kunst der arabischen Welt: Seine Archive der Atlas Group, einer imaginären Stiftung, die sich mit den Erinnerungen an den libanesischen Bürgerkrieg beschäftigt, erregten 2002 auf der Dokumenta 11 viel Aufsehen, es folgten große Einzelausstellungen in Berlin und anderswo, er ist Gründungsmitglied der Akademie der Künste der Welt in Köln. Ein mehr als würdiger Kandidat also für den Kunstpreis der Stadt Aachen, der traditionell gemeinsam mit dem Kunstfreundeverein des Ludwig Forums und der Aachener Wirtschaft vergeben wird, sollte man meinen.

Jetzt allerdings hat sich die Stadt Aachen aus der Preisverleihung zurückgezogen: wegen Raads Verbindungen zur BDS-Bewegung, die den Staat Israel mit den Mitteln von "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" von seiner repressiven Politik gegenüber den Palästinensern abbringen will. "Wir müssen nach entsprechenden Recherchen davon ausgehen, dass der designierte Preisträger Anhänger der BDS-Bewegung ist und mehrfach an Maßnahmen zum kulturellen Boykott Israels beteiligt war", sagte Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) laut Dpa. Darauf angesprochen, habe sich Raad auch nicht ausreichend von der Bewegung distanziert.

BDS vom Bundestag als antisemitisch eingestuft

Die Ablehnung des BDS wird in Deutschland gerade zur offiziellen Linie: Im Mai hatte der Deutsche Bundestag in einer Resolution den BDS als antisemitisch eingestuft, das Land NRW hat bereits beschlossen, der Bewegung keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen.

Nun sind die BDS-Aktivisten in Deutschland wirklich keine sehr angenehmen Zeitgenossen. Welche toxische Wirkung ihre Kampagnen auch auf hiesige Kulturveranstaltungen entfalten können, konnte man 2018 beim Pop-Kultur-Festival in Berlin sehen: Der BDS rief zu dessen Boykott auf, weil dort eine israelische Sängerin mit einem kleinen Reisekostenzuschuss von der israelischen Botschaft unterstützt wurde – am Ende sagten alle Bands aus dem arabischen Raum ab. Völkerverständigung geht anders. Aber ist es wirklich eine gute Idee, auf den Boykott mit immer mehr Boykott zu reagieren und alle, die jemals mit dem BDS in Verbindung gebracht wurden, von vorneherein auszuschließen?

Ja, der BDS wird unter anderem auch von der Hamas unterstützt, die das Existenzrecht des Staates Israel nicht anerkennt. Und ja, Teile des BDS vertreten Ansichten, die als antisemitisch eingestuft wurden. Doch der Beschluss des Bundestages, den BDS deswegen grundsätzlich mit Antisemitismus gleichzusetzen, wurde sogar von zahlreichen namhaften israelischen und jüdischen Intellektuellen kritisiert.

Aachen hatte kaum eine andere Wahl

Der Bundestag habe sich hier von der ultrarechten israelischen Regierung instrumentalisieren lassen, die alles versuche, um jegliche Kritik am Vorgehen Israels gegen die Palästinenser als antisemitisch dastehen zu lassen, hieß es in einem von dem Historiker Amos Goldmann initiierten und von rund 240 Wissenschaftlern und Kulturschaffenden unterzeichneten Schreiben an die Bundesregierung. Die Ziele des BDS – Ende der Besatzung der palästinensischen Gebiete, Gleichstellung palästinensischer Bürger Israels und Recht auf Rückkehr von Flüchtlingen – seien völkerrechtlich verbrieft, auch wenn letzteres "diskussionswürdig" sei.

Die offizielle Linie der Parteien in Deutschland macht es für Kommunen oder staatliche Institutionen jetzt fast unmöglich, noch mit BDS-Anhängern zusammenzuarbeiten – die Stadt Aachen hatte kaum eine andere Wahl, als Walid Raad wieder auszuladen. Falsch ist es trotzdem. Denn faktisch müssten dann in Zukunft so gut wie alle Künstler und Künstlerinnen aus der arabischen Welt aus dem hiesigen Diskurs ausgeschlossen werden, denn man darf davon ausgehen, dass die überwältigende Mehrheit von ihnen sich niemals öffentlich von dem BDS als einer pro-palästinensischen Initiative distanzieren würde.

Biennalen und Museen als Orte der Begegnung erhalten

Und auch viele, viele andere Künstler aus den USA, aus Großbritannien und aus vielen anderen Ländern würde man verlieren. Will man vor einer internationalen Biennale überprüfen, ob die eingeladenen Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt eventuell mit politischen Initiativen in Kontakt stehen, deren Ziele man nicht teilt? Kann man das? Oder sollte man sich nicht lieber darauf konzentrieren, ob die gezeigten Werke das ausdrücken, was man sich von der Kunst wünscht?

Boykott ist ein hochansteckender Virus. Anders als der Musikbetrieb ist die Kunstszene in Deutschland bislang von BDS-Boykottaufrufen verschont geblieben. Biennalen und Museen sind Orte, an denen sich Künstler und Künstlerinnen begegnen können, die sonst von kulturellen und politischen Mauern getrennt werden – so wie Israelis und Palästinenser.

Je härter die Konfliktlinien, desto wichtiger ist der alternative Raum der Kultur, der Gespräche noch möglich macht. Wir sollten alles tun, um diesen Raum zu erhalten.