Künstler und Bühnenfigur

Die zwei Seiten des Jonathan Meese

 Kassel (dpa) - Auf der Bühne schreit er herum, spricht von Furz und Scheiße und zeigt auch mal den Hitlergruß, doch abseits davon erscheint er eher zurückhaltend. Der Künstler Jonathan Meese hat zum Auftakt des «Hitlergruß-Prozesses» gegen ihn eine Seite gezeigt, die wohl nur wenige kennen. Vor dem Amtsgericht in Kassel wirkte er besonnen, zurückhaltend, freundlich. «Ich will hier keine Performance machen. Ich kann auch ganz normal reden», sagte der Künstler, ganz in schwarz gekleidet, gleich zu Beginn der Verhandlung.

   In der Tat: Seine Ausführungen beginnen zwar mit einem vorbereiteten Text zum Teil aneinandergereihter Wörter - «weniger ein Manifest als eine Erläuterung», wie er sagt, in dem er über die Trennung von Bühne und Realität sinniert. Aber danach spricht er in ganzen Sätzen. Und weiß seine Vorstellungen auf der Bühne zu reflektieren. «Ich fordere, dass die Kunst an die Macht kommt, aber das ist so absurd.» Da muss selbst die Richterin schmunzeln. Er betont: «Jeder weiß, wer mich einlädt, bekommt etwas geliefert.» Privat sei er ein anderer Mensch. «Ich würde doch nicht in einem Restaurant einen Hitlergruß zeigen, ich bin doch nicht bescheuert.»

   Dennoch: Bei seinen Ausführungen droht er mehrfach in die Bühnenfigur abzudriften. Seine Anwälte greifen ein, wenn er über die «Diktatur der Kunst» spricht und in seinen «Bühnen-Ton» verfällt. Auch die Redakteurin des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel», Marianne Wellershoff, die die Veranstaltung damals mit geleitet hat und vor Gericht als Zeugin geladen ist, zeichnet ein gespaltenes Bild von Meese. Sie hatte erst vor kurzem ein weiteres Interview mit Meese veröffentlicht. «Im zweiten Interview war er der Freundliche, er war der Künstler, nicht die Bühnenfigur.» Vor seinem Auftritt damals habe er sogar Lampenfieber gehabt.

   Als im Gerichtssaal ein 90-minütiges Video von der Veranstaltung vom Juni 2012 gezeigt wird, bei der Meese die «Diktatur der Kunst» fordert und den Arm zu der Geste hebt, gibt es bei einigen Aussagen des Künstlers aus dem Film Lacher aus dem Gerichtspublikum, und auch die Richterin kann sich ein Lächeln über manche Aussage Meeses nicht verkneifen. Meese selbst blickt gebannt auf die Leinwand, und lacht oft leise in sich hinein ob seines Auftritts. «Es handelt sich um eine Performance», betont der 43-Jährige.

   Ob das allerdings für einen Freispruch reicht, bleibt abzuwarten. In dem Prozess ist genau das die Frage, nämlich ob die Veranstaltung ein Interview oder eine Performance war, ob also das Zeigen des Hitlergrußes durch die Kunstfreiheit gedeckt ist oder aber bestraft werden muss. Die Verhandlung verlor sich am Donnerstag in juristischen Feinheiten, sie wurde nach dem zweiten Befangenheitsantrag auf dem 29. Juli verschoben.

   Meese wird das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Auch in Mannheim wird gegen Meese ermittelt, weil er bei einer Theateraufführung im Juni mehrmals den Hitlergruß gezeigt und eine Alien-Puppe mit einem Hakenkreuz beschmiert hatte.