Malerin Olga Costa in Leipzig

Früchte eines unerschrockenen Künstlerinnenlebens

Die Malerin Olga Costa gehört zu den bedeutendsten Künstlerinnen Mexikos, ist in ihrem Geburtsland Deutschland aber eher unbekannt. Nun zeigt das MdbK in Leipzig ihre sinnlichen und subversiven Bilder in der ersten Retrospektive in Europa 

58 verschiedene Obstsorten vereint Olga Costa auf ihrer großformatigen Leinwand "Frutas mexicanas" (Mexikanische Früchte). Das Gemälde entstand 1951 im öffentlichen Auftrag als Teil einer Internationalisierungsstrategie des Staates, der ein modernes Mexiko präsentieren wollte. Mit der präzisen Darstellung zahlreicher frischer Lebensmittel zelebrierte Costa den Wohlstand des Landes, das sich drei Jahrzehnte nach Bürgerkrieg und Revolution neu gefunden hatte. Als prominente Leihgabe steht es derzeit im Zentrum der Ausstellung "Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne" im Leipziger Museum der bildenden Künste (MdbK).

Für Museumsdirektor Stefan Weppelmann ist das Bild Mikrokosmos einer neuen Utopie: Farbigkeit und Formen stehen für den Reichtum des Angebotes als Resultat wirtschaftlich-sozialer Umbrüche. Die Protagonistin ist eine indigene Frau, die mit Selbstverständlichkeit ihren Platz als Berufstätige in einer gerechten Gesellschaft einnimmt. Das Werk, bekannter unter dem Titel "La vendedora de frutas" (Die Obstverkäuferin), zählt zu den populärsten Gemälden des Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt. Schon in den 1950er-Jahren ging es auf Europatournee und wird eine Ikone der mexikanischen Moderne. 1955 ist Costas Verkäuferin in der Ausstellung "Mexikanische Malerei und Grafik" zu sehen, die in zahlreichen Staaten des Ostblocks Station macht, darunter auch in Ost-Berlin.

Dass das Museum der bildenden Künste Leipzig mit Olga Costa einer der bedeutendsten künstlerischen Persönlichkeiten Mexikos nun die erste umfassende Retrospektive in Europa widmet, begründet sich auch mit Costas faszinierendem Lebensweg: 1913 wird sie als Olga Kostakowsky in Leipzig geboren. Die jüdische Familie stammt ursprünglich aus dem ukrainischen Odessa, das damals noch unter der Herrschaft des russischen Zaren stand. Der Vater suchte als Musiker sein Glück in Leipzig, kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges zieht die Familie nach Berlin.

"Mir erscheint alles fremdartig"

Ihre Kindheit in Deutschland beschreibt sie als düster. Wohl aus wirtschaftlichen Gründen entscheidet sich die Familie während der Krisen der Weimarer Republik für ein Leben in Lateinamerika: Vom französischen Hafen Saint-Nazaire macht sie sich auf nach Veracrusz, wo sie im September 1925 ankommen. Sie gelten als staatenlos, verlieren am Zoll all ihren Besitz. "Mir erschien alles fremdartig", erinnert sich Olga Costa: "Die Häuser mit den grüngestrichenen hölzerneren Fenstern, das Aussehen der Leute, die Luftschüsse bei Einbruch der Dunkelheit, der Himmel, der zeitweise von Geiern verdunkelt war, die Insekten, das Brot." Es ist diese biografische Dimension, die tief berührt, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Verbindungen in die Gegenwart.

Die Integration der Familie Costa gelingt: Der Vater kann als Musiker Fuß fassen und wird 1931 eingebürgert, Olgas jüngere Schwester erfährt Anerkennung als Dichterin und Schriftstellerin. Die Leipziger Ausstellung zeichnet Costas wachsendes Selbstverständnis als Mexikanerin nach, das Hand in Hand mit ihrer Entwicklung als Malerin geht. "Offenbar war die Beobachtung des Lebens, das Finden von Bildern ein intensives Anliegen, eine adäquate Möglichkeit, sich dem noch fremden Land einzuschreiben", so die These von Museumsdirektor Weppelmann.

Nur vier Monate studierte Olga Costa Kunst, lernt dabei ihren späteren Mann, den Maler und Aktivist José Chávez Morado kennen und erarbeitet sich ihr Handwerk als Autodidaktin. Eine Begegnung mit Diego Rivera, dem Mann von Frida Kahlo, war ein Schlüsselerlebnis: Er war der erste Mann, der sie einlud, Tequila zu trinken. 1935 latinisiert sie ihren Nachnamen und nennt sich nun "Costa", also Küste. Sie erhofft sich dadurch bessere Chancen auf dem Kunstmarkt, zugleich ist es ein demonstratives Bekenntnis zu Mexiko. Selbstbewusst blickt Olga Costa den Besuchenden zu Beginn des Rundgangs von einem Selbstportrait entgegen: Grüne Bluse, großer Ohrring, blaue Augen, den Pinsel in der Hand. Es entstand im Jahr 1947, als sie die mexikanische Staatsbürgerschaft annahm.

Kritische Stimmen

Ihr Œuvre umfasst vor allem Malerei, aber auch Zeichnungen und druckgrafische Werke sowie Tapisserien und eine in Mosaik ausgeführte Wandgestaltung. "Ich suche die Realität, die Wahrheit, die Einfachheit", so Costa. "Ich lehne jeden Anschein von Theatralik ab und versuche, das Leben wiederzugeben." Aufgrund ihrer flüchtigen akademischen Ausbildung, ihres Stils und ihrer Technik, ihrer Vorliebe für Landschaften, Stillleben und alltägliche Bildmotive hätten Kritiker ihr Werk immer wieder als naiv bezeichnet, schreibt Brenda J. Caro Cocotle, leitende Kuratorin des Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt im umfassenden Ausstellungskatalog. Ein Werk wie "Die Obstverkäuferin" sei aber auch als Behauptung der gesellschaftlichen Rolle der Frau wie der weiblichen Erotik zu verstehen und in diesem Sinne durchaus subversiv.

Die Ausstellung im MdbK wurde mit einem wissenschaftlichen Beirat, dem Expertinnen und Experten aus Mexiko angehören, konzipiert. Sie zeichnet das Schaffen von Olga Costa über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren nach und verortet es im zeitgenössischen mexikanischen Kontext: Frida Kahlo, Diego Rivera und Gerardo Murillo sind ebenso vertreten wie Costas akademischer Lehrer Carlos Mérida und ihr Ehemann José Chávez Morado. Eine Neujahrskarte aus dem Jahr 1947 zeigt die beiden als gleichberechtigtes Künstlerpaar, einander zugewandt, sich an den Füßen berührend und doch jeweils auf das Geschehen auf der eigenen Leinwand konzentriert.

Weitere Ausstellungskapitel kreisen um Fragen nach der mexikanischen Identität, geschlechterspezifischen Rollen- und Körperbilder und Netzwerke mexikanischer Künstlerinnen. 1941 Costa gründet mit anderen Kreativen die Galería Espiral und übernimmt ihre Leitung. 1945 eröffnet ihre erste Einzelausstellung. Ihr Lehrer Carlos Mérida bezeichnet sie als "weißen Engel" der mexikanischen Malerei: "Mit Sicherheit die einzige Frau, die einen unstrittigen Platz in der Gruppe unserer jüngeren Künstler erlangt hat." Costa arbeitet auch als Kostüm- und Bühnenbilderin, ihre Auseinandersetzung mit der fantastischen Malerei ist ebenso ein Schwerpunkt der Ausstellung wie die Landschaftsauffassung und ihr poetisches Naturverständnis.

Panorama der mexikanischen Kunst

Mit ihrem Mann reist Costa noch mehrfach nach Europa. In Deutschland war sie wohl nicht noch einmal. 1966 kaufen beide einen ehemaligen Wasserturm und bauen das Anwesen mit Garten zu einem Künstlerrefugium um. Während der 1960er- und 1970er-Jahre konzentriert sie sich auf botanische Themen und Landschaftsmalerei. In ihren Stillleben inszeniert Costa auch Objekte indigener Kultur, die sie mit ihrem Mann zusammengetragen hatte.

Im Untergeschoss des Museums formen die rund 80 Leihgaben ein Panorama der mexikanischen Kunst zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Zuge der Vorbereitungen traf man im eigenen Haus auf weitere Verbindungen nach Mitteldeutschland: Im Bestand findet sich ein bislang wenig beachtetes Konvolut von Grafiken des einflussreichen Taller de Gráfica Popular (Werkstatt der Volksgrafiker, TGP). Das aktivistische Künstlerkollektiv aus Mexiko-Stadt machte über das leichter zu verbreitende Medium der Druckgrafik auf soziale und politische Probleme ihres Landes aufmerksam.

Während des Zweiten Weltkriegs spielte es eine einflussreiche Rolle im Kampf gegen den Faschismus. Zu den Mitgliedern gehörte auch Olga Costas Ehemann. Hannes Meyer, Direktor des Dessauer Bauhauses, leitete die Vereinigung mit Unterbrechung von 1942 bis 1949. Von 1943 bis 1946 übernahm der deutsche Kommunist Georg Stibi die Leitung. Er war 1941 mit seiner Frau Henny nach Mexiko emigriert, wurde nach seiner Rückkehr in Deutschland Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung" und stellvertretender Außenminister der DDR. Nach seinem Tod erwarb das Museum einen Teil ihrer Sammlung aus dem Staatlichen Kunsthandel der DDR.

Eine Persönlichkeit, die niemals aufgab

Im Jahr 1990 wurde Olga Costa für ihr künstlerisches Lebenswerk mit dem mexikanischen Nationalpreis ausgezeichnet. Die Jury würdigte sowohl ihre künstlerischen Verdienste als auch ihr kulturelles Engagement und unterstrich die Entschlossenheit des Staates, "auch solche Personen für sich zu reklamieren, die, obwohl in anderen Ländern geboren, bedeutende Leistungen für die Nation erbracht haben." Im selben Jahr entschied Costa mit ihrem Mann, ihr Wohn- und Atelierhaus zu einem Museum umzubauen, das seit 1993 für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

Das Werk Costas nach Leipzig zu holen, war Direktor Stefan Weppelmann in der an Krisen nicht armen Zeit ein symbolisches Anliegen, ein Zeichen der Hoffnung: Für ihn ist Olga Costa eine Persönlichkeit, die niemals verzagte oder aufgab, die mit ihren poetischen, oft anrührenden Bildwelten von großer Unmittelbarkeit, Originalität und Ernsthaftigkeit Glück in eine Welt trug, die mit Faschismus und globalen Konflikten konfrontiert war. "Costas Universum besitzt demgegenüber etwas oft Mediatatives, manchmal surreal Traumhaftes, ihre Bilder voller Menschlichkeit und tiefer Achtung vor der Natur kommen aus einem Gegenreich zum Hier und Jetzt und geben als solche Kraft."

Hoffnung macht auch, dass dies die erste umfassende Ausstellung mit Werken einer verstorbenen Künstlerin im Museum der bildenden Künste ist. Im November 2023 wird eine Retrospektive zu Evelyn Richter folgen, die mit einem beeindruckenden Porträtfoto des mexikanischen Malers David Alfaro Siqueiros auch in dieser Ausstellung vertreten ist.