Olympiastadion-Debatte

Die Löschung von Artefakten macht Geschichte nicht ungeschehen

Amerikanische Soldaten nach dem Fall des Dritten Reichs auf der Skulptur "Rosseführer" (1936) am Berliner Olympiastadion
Sammlung des Imperial War Museums, gemeinfrei

Amerikanische Soldaten nach dem Fall des Dritten Reichs auf der Skulptur "Rosseführer" (1936) am Berliner Olympiastadion

Der frühere Berliner SPD-Chef Peter Strieder hat eine überfällige Debatte um das Olympiagelände entfacht – mit nicht nur guten Ideen, die NS-Ideologie zu brechen

Über den Berliner Olympiapark wird neu diskutiert, und das ist auch richtig so. In seinen Grundzügen ist es immer noch da, das 1936 fertiggestellte "Reichssportfeld", das erste von Hitlers Großbauprojekten. Bei allen Umgestaltungen, die das Gebäudeensemble nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren hat, bleibt die NS-Ideologie am und um das Olympiastadion noch manifest.

Peter Strieder hat nun die Diskussion über die architektonische Erbschaft wiedereröffnet. In einem "Zeit"-Artikel vom 13. Mai fordert der ehemalige Berliner Senator für Stadtentwicklung unter anderem eine Entfernung von Skulpturen der Bildhauer von Hitlers Gnaden – auf dem Areal verbliebene Werke von Arno Breker, Josef Thorak oder Josef Wackerle.

Strieders Appell mit der Überschrift "Weg mit diesen Skulpturen" geht in seinen Forderungen weit über das hinaus, was andere Kritiker des Status quo bisher vorgeschlagen haben. So streitet der Grüne Oliver Schruoffeneger, Bezirksstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf, seit längerem dafür, der NS-Ästhetik einen Kontrapunkt entgegenzusetzen. Zeitgenössische Kunst als Kommentar zu totalitären Gesten: Dieses Konzept erscheint sinnvoller als Strieders Bildersturm-Ansatz. Man macht die Geschichte nicht ungeschehen, indem man ihre Artefakte löscht. Die Gefahr besteht sogar, dass die Entfernung der Werke die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte blockiert.

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Der Umgang mit Kunst der 1930er erfordert ohnehin mehr Fingerspitzengefühl, als Strieder offenbar aufbringt. Die betroffenen Werke sind in einer Zeit entstanden, in der die Richtungskämpfe unter den NS-Kunstideologen noch nicht entschieden waren und sich das, was man heute als "Nazi-Kunst" labelt, noch nicht verfestigt hatte. Und Werke von Georg Kolbe oder Sepp Mages, selbst eine Skulptur wie Arno Brekers "Siegerin" (Hitlers späterer "Hofbildhauer" war damals noch ein international geschätzter Künstler und befreundet mit Brâncuși und Picasso) sind keine Propagandakunst.

Überhaupt stört an Strieders Artikel, dass der Autor keine Ambivalenz zulässt. Dass Angela Merkel 2019 zwei Gemälde von Emil Nolde aus ihrem Amtszimmer entfernt hat, führt Strieder als Beispiel für konsequentes Verhalten an. Aber Nolde als Expressionist und zugleich glühender Nazi ist gerade ein Beispiel für die unklaren Fronten, die sich in der Kunstbetrachtung der NS-Zeit auftun. Und die Entscheidung der Kanzlerin – für einen repräsentativen Raum – lässt sich auch kaum mit Olympia vergleichen. Strieder tut es trotzdem: "Hier jedoch, auf dem Olympiagelände, wird mit Unterstützung des Denkmalschutzes die Propaganda der Nazis fortgesetzt, und keiner der Nutzer des Geländes erhebt sich dagegen." 

Strieder schreibt schon fast verschwörungstheoretisch von einem problematischen "Weltbild des Berliner Denkmalschutzes", das er selber – als Senator bis 2004 für den heutigen Status des Geländes mitverantwortlich – "nicht ausreichend hinterfragt" habe. Er überspannt den Bogen. Natürlich findet man im Olympiapark keine ungebrochene Nazipropaganda vor. Dass das Landesdenkmalamt Berlin die Propaganda befördere, wurde vom Landeskonservator Christoph Rauhut am Mittwoch zu Recht als "Beleidigung der Mitarbeiter im Denkmalschutz" zurückgewiesen.

Unzureichende Aufklärung

Triftig ist allerdings Strieders Kritik an der unzureichenden Aufklärung. 45 Schautafeln und eine – zudem seit Jahren defekte – Multimedia-Station am Eingang des Stadions, das reicht als Kontextualisierung wahrlich nicht aus. Volkwin Marg, dessen Architektenbüro Gerkan, Marg, und Partner 2004 für den Umbau des Olympiastadions verantwortlich ist, fordert in der aktuellen "Zeit", dass die unzureichende historische DHM-Ausstellung in der Langemarckhalle zum "größeren und leistungsfähigeren Dokumentationszentrum" ausgebaut wird.

Geschichtsvergessenheit ist katastrophal, Bildung zentral. Marg schreibt, dass "heute wieder aus altem Nazi-Sumpf üble Blasen aufsteigen". Strieder formuliert es so: "Nationalismus und Rechtsextremismus sind in Europa wieder erstarkt. Der NSU-Terror, die Morde von Halle und Hanau, die Wahlerfolge der AfD lehren uns, dass das Sommermärchen [der WM 2006] vorbei ist." 

Die Beobachtung stimmt, doch indem man Denkmäler und Skulpturen vom Sockel reißt, hält man die Neue Rechte nicht auf. Man liefert den Eiferern nur Argumente.