Eine Arena voller Exzesse

Pauline Curnier Jardins "Fat to Ashes" in Berlin installiert

Die Künstlerin Pauline Curnier Jardin blickt mit brutaler Genauigkeit auf Rituale. Dafür hat sie 2019 den Preis der Nationalgalerie gewonnen. Nun verwandelt sie den Hamburger Bahnhof in einen Ort des Spektakels

Die in Berlin und Rom lebende französische Künstlerin Pauline Curnier Jardin hat die große Halle des Hamburger Bahnhofs in Berlin in einer Arena für Rituale und Exzesse verwandelt. Mit der Ausstellung "Fat to Ashes" (nach Ende der coronabedingten Schließung bis 19. September) präsentiert die Gewinnerin des Preises der Nationalgalerie 2019 erneut eine Videoinstallation, die in brutaler Genauigkeit auf gesellschaftliche Situationen blickt.

Die riesige Konstruktion Curnier Jardins erinnert an ein Colosseum ebenso wie an einen Zirkus, dessen Seiten teils hinter einer Torte versteckt zu sein scheinen. In dieser Arena zeigt die Französin auf raumgreifender Leinwand vor von Heuresten umgebenen Zuschauertribünen eine Szenencollage aus der jährlichen Prozedur für Agatha von Catania.

Die als Heilige Verehrte wurde gefoltert und verstümmelt, weil sie sich einer Heirat verwehrte. Dazu schneidet Curnier Jardin Aufnahmen von der traditionellen Schlachtung eines Schweins im ländlichen Italien. Dritter Spielort ist der Karneval in Köln mit ausgelassenen Straßenszenen - nur einen Tag nach den rechtsextremen Mordanschlägen von Hanau.

"So sind wir"

In der hart geschnittenen Szenenfolge vermengen sich Rituale, Gewalt, Exzesse, Blut, Spektakel und Kontemplation, Gesang und Schreien, Tanz und Trance, Gewalt gegen Frauen und Demonstrationen vermeintlicher Männlichkeit. "So sind wir", sagt Curnier Jardin. Die mitunter schockierende Wirkung ihrer Bilder nimmt sie in Kauf. Für sie verkörpert die Arena die unterschiedlichen Vorstellungen europäischer Zivilisation.

Riesige gesegnete Kerzen aus Catania stellen eine Verbindung her zur zweiten Arbeit der Ausstellung. Für die Installation "Feel Good" hat Curnier Jardin Sexarbeiterinnen in Rom während des Corona-Lockdowns zu einem Workshop eingeladen, aus dem eine Kooperative entstand. Sie bat die Teilnehmerinnen, ihre Erfahrungen in kleinen Zeichnungen umzusetzen, die nun im Hamburger Bahnhof zu sehen sind. Für die Zeit ihrer Arbeit an den Zeichnungen wurden sie bezahlt wie von Freiern. Einnahmen, die inzwischen mit den Arbeiten erzielt werden, teilt sich die "Feel Good Cooperative".