Maler Pieter Schoolwerth

"Das Streben nach Authentizität gehört der Vergangenheit an"

Der Künstler Pieter Schoolwerth will das Medium der Malerei lebendig halten und kombiniert es mit digitalen Bildern. Hier spricht er über die Macht von Schönheitsfiltern, KI und zeitgenössische Identitätskrisen
 

Pieter Schoolwerth, der physische Großteil eines Gemäldes von Ihnen ist ziemlich schnell gemacht, aber der zeitlich intensivere Teil, der dann zur tatsächlichen Fertigstellung führt, ist weitaus mühsamer. Das lässt sich auf den Kontext zeitgenössischer Körpermodifikationen übertragen — damit meine ich nicht nur invasive Operationen, sondern auch minimalinvasive Eingriffe, wie Botox oder Filler. Und dann gibt es die digitalen Filter, die das Bild des Körpers verändern, ohne ihn physisch zu berühren. Kann man diese Veränderungen des Körpers als eine Art des Finetunings verstehen? Genau so wie Sie auch Ihre Arbeiten finetunen.

Ich habe viel über Schönheitsfilter im Rahmen von Körpermodifikation nachgedacht. Filter sind insofern minimalinvasiv, da der eigentliche Körper nicht berührt wird. Vor Jahrzehnten stand die Veränderung des eigenen Körpers für eine Art visueller Solidarität mit einer bestimmten Klasse—Tattoos und Piercings waren beispielsweise eine Form des DIY-Protests gegen das Aussehen der Mainstream-Kultur. Traditionellere Schönheitsoperationen ermöglichen die Fantasie der vertikalen Mobilität. Man kann dadurch Teil einer Luxuskultur werden, da man praktisch zu einer konventionellen Attraktivität konvertiert. In meinem Projekt "Rigged" beschäftige ich mich mit der Spaltung, die unserem verflochtenen privaten und virtuellen Leben innewohnt. Unsere Körper befinden sich in einem quasi fiktiven Raum, der zwischen dem Filter und dem tatsächlichen Fleisch liegt. So was führt sicherlich auch häufig zu Angst und Verwirrung in Bezug auf die eigene Identität.

Wie?

Wenn ein Filter mich also traditionell schöner macht, könnte sich das auch darauf auswirken, wie mein Zielpublikum mich wahrnimmt. Man erscheint vielleicht charmanter, koketter oder offener für Geschäfte. Aber das ist man ja eigentlich gar nicht, oder? Dadurch entstehen neue Formen der Verzerrung des eigenen Selbstbewusstseins, da man sich so sehr daran gewöhnt, sich selbst mit einem Filter zu sehen, dass man vergisst, dass der eigene Avatar in Wirklichkeit ein Augment ist. Bei Identitätskrisen und der damit verbundenen Politik ging es früher eher darum, den Unterschied zwischen dem Selbst und der Welt zu verhandeln, aber jetzt geht es darum, sich mit der Kluft zwischen dem AR-Filter, dem Körper auf dem Bildschirm und dem echten Körper zu arrangieren.

Äußerst sich diese Identitätskrise auch in anderen Bereichen?

Diese Verschiebung von Identitätskonstruktionen gibt es auch in der Gaming- und Workout-Kultur. Der Wunsch danach, etwas zu erreichen, wird durch ein pawlowsches Belohnungssystem der körperlichen Selbstverbesserung angeheizt. Wenn man beispielsweise ein Open-World-Spiel auf Twitch spielt, wird einem das Gefühl vermittelt, dass man die Kontrolle hat. Visuelle Errungenschaften oder Modifikationen könnten bedeuten, dass man eine Stufe in einem "Fähigkeitenbaum" aufsteigt, wobei man einen Punkt erhält, um seinen Körper zu verbessern. Im Spiel hat man dann Titanbeine oder irgendwelche Augenimplantate, um durch Wände hindurchsehen zu können, was ähnlich ist wie Botox oder Poimplantate in der Realität. Man spielt ein "Ich werde besser", indem man seinen Körper verändert und auf die Reaktionen anonymer Kommentatoren reagiert.

Die Workout-Kultur auf eine so performative Weise auf die Spitze zu treiben, ist eindeutig etwas, das man nicht nur für sich selbst tut. Es ist fast so, als würde man zu einer Spielfigur, während man eine Aktivität im echten Leben ausübt.

Ja. Es ist, als ob der Wunsch, Sport zu treiben, aus der spielerischen Herausforderung entsteht, die Kluft zwischen dem Körper und seinem Fantasie-Look mit einem Filter zu überbrücken. Wenn man sein Workout online streamt und dabei einen Filter trägt, wird niemand jemals deinen tatsächlichen Körper sehen. Fiktion wird zur Wahrheit. Ich denke, dass wir in einer erweiterten Realität leben: Man eignet sich Wissen über die Leistungen anderer online an, um seine persönlichen Interaktionen mit ihnen zu beeinflussen. Deswegen ist es unmöglich, die eine oder andere Präsenz als "authentischer" zu bezeichnen. Das Streben nach Authentizität, das einst ein Motiv für die Identitätskonstruktion war, insbesondere für Millennials und die Generation X, gehört heute der Vergangenheit an.

Welche Bedeutung hat das Streaming dabei?

Streaming heutzutage ist eine Droge. Aber anstatt gegen andere Menschen zu spielen — wie es auch in einer vordigitalen Zeit oder in einem nicht-virtuellen Raum der Fall gewesen wäre — spielt man jetzt allein gegen sich selbst, aber unter Beobachtung. Die Kommentarfäden und die Anzahl der Follower erwecken den Eindruck von Engagement. Vielleicht ist es das, was letztlich das Bedürfnis nach Selbstverbesserung antreibt. Kürzlich traf ich auf einer Party einen Mann, der mir innerhalb weniger Minuten erzählte, dass seine 60.000 Follower allesamt gefälschte Bots seien, die ihm ein Freund zum Geburtstag geschenkt hatte. Dann meinte er, "Glauben Sie mir, ich bin gar nicht so ein Typ lol", was ich für eine ziemlich verblüffende zeitgenössische Aussage hielt.

Repräsentieren die Figuren in Ihren Arbeiten durch ihr Aussehens bestimmte Lebensstile oder Identitäten?

Alle Figuren der "Rigged"-Gemälde sind digitale Assets, die ich online über Websites wie Turbosquid und Sketchfab kaufe. Die Websiten funktionieren ähnlich wie Itunes oder Bandcamp für Musiker. Es handelt sich um eine faszinierende, völlig unregulierte Wirtschaft, in der man jedes beliebige Objekt verkaufen und den Preis festlegen kann. Ohne, dass man eine Ahnung von der Qualität oder der Nutzbarkeit des gekauften Objekts hat. Ich beginne damit, die Modelle in einer CGI-Animationssoftware zusammenzusetzen und baue dann dieses flache Bild zu einem tatsächlichen 3D-Reliefmodell aus Schaumstoff aus. Dieser Prototyp der Komposition dient dazu, den Eindruck eines simulierten Raums zu erzeugen, da alle Lichter, Farben und Schatten mit der Software erzeugt werden. Ich betrachte diese virtuelle Reliefskulptur als kompositorische Vorlage, die Infrastruktur des Gemäldes. Dann drucke ich die Datei auf Leinwand aus. Im letzten Schritt trage ich eine Farbschicht auf das gedruckte Bild auf. Die malerischen Markierungen in meinen Arbeiten sind eine Filterschicht zur Verbesserung der Visualität. So als ob man bei einem Bild auf dem Handy Kontrast und Sättigung hinzufügt.

Wie kamen Sie zu dieser Praxis?

Warum ich mich für CGI, also computergenerierte Bilder, interessiere, ist, weil ich oft denke, dass die Malerei, wenn sie nicht weiterhin die Welt reflektiert, ihre Fähigkeit verliert, kritisch zu sein. Sie würde dann darauf zusteuern, einfach nur eine weitere veraltete handwerkliche, analoge Fetischindustrie zu werden, die auf Nostalgie basiert. Das ist eine Form von Eskapismus, die durch die Sehnsucht nach "einfacheren Zeiten" entsteht. Man lebt die Fantasie des direkten Kontakts mit der Welt durch Handwerk aus. Und das ist auch die Formel, die die Luxusindustrie heute verwendet.

Sie verwenden auch 3D-Modelle von prominenten Persönlichkeiten wie Elon Musk oder Jeff Bezos. Wie wichtig ist die Celebrity-Kultur für Ihre Arbeiten? Solche Persönlichkeiten stehen ja an der Spitze nicht nur der Entwicklungen in der Schönheitsindustrie, sondern auch der Technologie. 

Für mich sind sie nicht besonders wichtig, und ich glaube auch nicht, dass Prominente für die Welt so wichtig sind, wie sie es einmal waren. Die sozialen Medien haben die ehemals subkulturellen Welten der Musik, der Mode und des Filmemachens als primäre Inspirationsquelle abgelöst. Was mich bei Mode interessiert ist, dass sie versucht Kleidung für den physischen Körper herzustellen. Aber welche Bedeutung hat das noch, wenn der tatsächliche Körper heute weitgehend irrelevant und verborgen ist

Ich denke, das ist genau der Grund, warum es so viele nicht-tragbare Kleidungsstücke gibt, die im Trend sind, wie Ultra-Mini-Röcke oder Gürtel-Röcke. Sicherlich kann man argumentieren, dass das Kleidungsstück in diesem Fall eher ein Art von Kunstwerk ist als etwas, das dazu bestimmt ist, benutzt zu werden. Aber das wäre dann wohl Haute Couture und nicht Ready To Wear.

Heutzutage lernt man Menschen in der Regel online kennen. Man sieht sich ihr Profil an und macht sich ein Bild von ihnen und ihren Interessen, ohne dass man ihren Körper oder ihre Kleidung jemals persönlich zu Gesicht bekommt. Ich bin sicher, dass es immer noch Modemarken gibt, bei denen es um die Herstellung von Kleidungsstücken geht, aber es scheint, dass Marken viel weniger unterscheidbar sind als früher. Das wird durch die Tatsache unterstützt, dass Logos so viel bekannter sind als die Kleidung. Zum ersten Mal fiel mir das vor etwa zehn Jahren auf. Ich habe die Ballkinder bei den US Open beobachtet. Alle trugen Ralph-Lauren-Polo-Shirts mit einem riesigen Polo-Logo, das etwa 25 mal so groß war wie üblich. Ich nahm an, dass dies eine Design-Entscheidung war, um die Kinder zu bewegten Werbeträgern für die Marke zu machen. Das Markenlogo überkompensiert die Tatsache, dass die Kleidung nicht so wichtig ist.

Denken Sie, dass die Gamifizierung des alltäglichen Lebens und von Äußerlichkeiten die Welt widerspiegelt, in der wir leben, die ja auch ziemlich absurd ist?

Ich denke, dass “das Groteske” ein Gefühl der Absurdität und Apokalypse vermitteln kann. Und zufälligerweise sehen auch fast alle Bilder, die mit Hilfe von KI erstellt wurden, so absurd aus. Diese Homogenität der Bilder repräsentiert in gewisser Weise das Aussehen der "dunklen Seite des Webs" — ein für immer verborgener Schattenraum voller verstümmelter Masken, hinter denen man sich verstecken kann. So viele KI-Bilder sehen aus wie aufblasbare Halloweenkostüme, die einen daran erinnern, dass man keine Ahnung hat, wer sich im Inneren oder auf der anderen Seite des Gesprächs befindet, mit dem man chattet. Man kennt weder das Aussehen noch das Geschlecht, es ist einfach nur ein knorriger, komischer Blob mit zehn Augen und verzerrten, entstellten Armen und Beinen. Vielleicht ist das wirklich die Mode von heute?