Künstler Raúl Illarramendi

Das Wunder von Caracas

Für seine Ausstellung in der Kölner Galerie Karsten Greve löste der Maler Raúl Illarramendi einen Kirchenkrimi

Raúl Illarramendi zollt der Schönheit des Zufalls Respekt. Der aus Venezuela stammende Künstler wurde bekannt durch hochfeine Buntstiftgemälde nach Straßenkritzeleien, fleckigen Gargentoren oder obskuren Schmierereien auf LKW-Planen. In seinem Geburtsort Caracas fand er nun seine bislang spektakulärste Vorlage: 1967 stürzte dort bei einem Erdbeben ein Kirchenkreuz in den Asphalt – und verewigte sich in einem Abdruck. Sofort von Gläubigen als Kultobjekt verehrt, wurde es von der Kirche ebenso schnell bei Seite geschafft und an einem geheimen Ort versteckt.

Raúl Illarramendi, seit 19 Jahren haben Sie Ihre Heimat Caracas nicht mehr betreten. Wie sind sie jetzt auf diese mysteriöse Geschichte gekommen?

Meine Mutter, die damals mit meinem Bruder schwanger war, hat oft davon erzählt. Das Kreuz war bei seinem Aufprall zerbrochen, hatte sich aber im Boden genau abgezeichnet. Die Kirche wollte keinen Wallfahrtsort, und nach wenigen Tagen wurde entschieden, es zu beseitigen. Ein bekannter Maler, der auch Konservator war, Alirio Oramas, sicherte den Abdruck, und die Kirche brachte ihn an einen geheimen Ort. Dort wurde er vergessen und 2005 an den Ort gebracht, wo es jetzt ist.

Was fürchtete denn die Kirche?

In Südamerika neigen die Menschen dazu neigen dazu, religiöse Objekte zu fetischisieren. Manchmal forciert das die Kirche, manchmal unterdrückt sie es aber auch.

Und was hat Sie daran interessiert, nachdem sie ein Foto gesehen hatten? Eine abstrakte Schönheit?

Mich reizen Spuren, ich schaue immer auf den Boden. Das Foto hatte etwas Mystisches. Ich dachte, das hat viel mit meinem Werk zu tun. Und dann haben mich diese Geschichten fasziniert. Ein Blogger glaubt zum Beispiel, ein Meteor habe das Kreuz heruntergestoßen und dann bei seinem Aufprall im Meer durch eine Flutwelle das Erdbeben ausgelöst. Oramas sah dagegen die spirituelle Qualität und wollte es erhalten. Darin sehe ich eine Parallele zu meiner Arbeit, ästhetische Strukturen zu erhalten.

Und wie haben Sie es dann aufgespürt?

Ich dachte schon, es wäre nur eine urbane Legende. Dann habe ich aber ein Verzeichnis von Kapellen gefunden und die richtige Nummer gewählt. Da meldete sich eine Sekretärin und ich fragte: Haben Sie das Kreuz? Und sie sagte: Ja, das ist hier. Ich konnte es nicht fassen. Ich habe dann meinen Bruder hingeschickt, um einen Abdruck zu machen. Der ist Glaskünstler, repariert Kirchenfenster, ist gläubig und hat kann gut mit Menschen umgehen.

Das hat man erlaubt?

Die Nonne, die sich um das Kreuz kümmert, ist sehr nett und hatte nichts dagegen. Ich glaube, die wenigen Menschen, die das Kreuz dort zu schätzen wissen, hoffen, dass es durch meine Arbeit mehr Menschen in der Welt erreicht.

Nun ist der Abdruck in Ihrem Atelier bei Paris, aber wie setzen Sie das künstlerisch um?

Die Nonnen hatten das Objekt angemalt, den Untergrund schwarz und dann den Abdruck aufgehellt. Ich verwende Farben, die bei den regierungskritischen Demonstrationen in Venezuela auftauchten. Die Demonstranten sprühten Bilder auf den Boden, die dann bei den Polizeieinsätzen weggewaschen wurden. Das sehe ich wie abstrakte Kompositionen.

Gibt es denn eine Verbindung zwischen den Demonstrationen und der Kirche?

Der Protest gegen die Regierung geht durch die ganze Gesellschaft und betrifft auch Tele der Kirche. Der Wunsch, Nicolás Maduro zu stürzen, lässt viele Menschen nach einem Wunder rufen.