Schlagerstar Ricky Shayne

"Er hat mir mehr gegeben als der Abenteuerspielplatz"

Abbildung: Stephan Geene/© Lena Fingerle
Abbildung: Stephan Geene/© Lena Fingerle
Tarek und Imran Shayne in "Shayne"

Ricky Shaynes größter Hit war 1971 "Mamy Blue", eine Schnulze um vergebliche Rückkehr und Einsamkeit ("Und ich begreif', was ich verlor, das Haus ist kein Zuhause mehr"). Heute ist der französische Schlagersänger beinahe vergessen. Der Künstler, Kurator, Theoretiker und Filmemacher Stephan Geene, Jahrgang 1961, spürt in seinem dritten Film nach "After Effect" (2006) und "umsonst" (2014) seinem Kindheitsidol aus der Hitparade nach. Sein Film "Shayne", der jetzt auf Berlinale Premiere feiert, kreist um Versprechen, große Gefühle und was von ihnen bleibt.

Stephan Geene, in Ihrem eigenwilligen Filmporträt des Schlagerstars Ricky Shayne sprechen Sie selbst über ihre Hitparaden-Kindheit und darüber, dass sie "wie durchbohrt" von Shaynes Song "Mamy Blue" waren. Gab es in der Nähe keinen Abenteuerspielplatz? War ihr Kindheit ansonsten so langweilig?
Ganz im Gegenteil. Aber Ricky Shayne hat mir etwas gegeben, was der Abenteuerspielplatz nicht zu bieten hatte. Was es war, ist schwer zu sagen, deshalb ist dieser Film entstanden. Shayne war für mich als Kind einmal ein Identifikationsgebot - ein Einblick ins Erwachsenenleben. Das Männliche und Weibliche vermischte sich bei Shayne so eigenartig. Und speziell "Mamy Blue" erzählte von Verlassenheit, da konnte ich mitfühlen. Ganz ernsthaft mitfühlen, denn den Warencharakter des Schlagers hat man als Kind natürlich nicht durchschaut.

Als Zehnjähriger machen Sie ein Fanbuch, in dem zum Beispiel der komplette Text von "Mamy Blue" abgeschrieben ist. 2017 hatte ihr Theaterprojekt "mutwillig, Shayne" beim Donaufestival in Krems Premiere, jetzt wird der Film "Shayne" auf der Berlinale uraufgeführt ...
Ja, aber der Film war vor dem Theaterprojekt geplant. Erst stellte ich Nachforschungen an, was aus meinem Idol eigentlich geworden ist. Die Schlagerkarriere war ja schon 1972 abrupt beendet. Ich hatte Ricky Shayne ziemlich bald am Apparat und besuchte ihn in Düsseldorf. Ich schlug ihm vor, seine Biografie aufzuarbeiten - in Kairo geboren, in Beirut aufgewachsen, sehr früher Starruhm in Rom - aber das wollte Ricky nicht. Dann kam die Idee auf, einen Film zu machen. Das war aber zunächst zu teuer. Von Anfang an sollte eine ironisch gebrochene Ricky-Shayne-Gala Teil des Films sein. Aus der Gala wurde das Theaterstück, die einzige Sache, die zu dem Zeitpunkt finanzierbar war. Das ist später auch ein Element des Films geworden.

Im Film spielt Kerstin Cmelka die Architektin der Gala, die in einem Ruinen-Set spielt. Sie sagt: "Ich bau Dir ein Schloss. Aber darin kannst Du nicht wohnen. Du Arschloch". Wie ist das zu verstehen und wer ist gemeint?
Das waren die ersten Sätze, um die herum ich das Theaterstück gebaut habe. Darin steckt eine Sehnsucht, die in Schlagern immer wieder angetippt wird, ein Wunsch nach Geborgenheit und die Bereitschaft, Geborgenheit zu schenken. Und die Unmöglichkeit davon, auch Aggressivität als komplementärer Impuls. Shayne ist da nicht angesprochen. Aber in gewisser Weise spricht er aus diesem Satz, denn er wurde ja auch als Liebhaber inszeniert - und diese Rolle hat er durchaus auch im echten Leben verkörpert.

Im Film kommen die beiden Söhne von Ricky Shayne vor. Wann haben Sie die kennengelernt?
Erst nachdem ich Ricky getroffen habe. Tarek und Imran Shayne haben ein ziemlich kompliziertes Verhältnis zu ihrem Vater. Sie sind wahnsinnig nett und sehen ihm sehr ähnlich, da kam bald die Idee auf, dass sie Ricky in Reenactment-Szenen verkörpern könnten. Den Söhnen ist auch zu verdanken, dass der Vater nicht ausgestiegen ist aus dem Projekt, obwohl er mehrmals auf dem Sprung war.

Die Herkunft, Kairo und Beirut, auch was nach dem Ende der Karriere passierte: Warum kommt das im Film kaum vor?
Aus vielen Gründen. Einmal erzählt er nichts. Was ich weiß, habe ich über Recherchen herausbekommen. Wenn man mit ihm über Einzelheiten spricht, dann sagt er auch was dazu. Eine wichtige Rolle spielte Claudia Basrawi, eine Autorin und Regisseurin, die in Beirut geboren ist und ein Buch über die Stadt geschrieben hat. Sie wurde dann mehr und mehr in Theaterstück und Filmprojekt eingebunden. Dank Basrawi fing Ricky an, über seine Vergangenheit zu reden. Es kam heraus, dass Ricky arabische Verbindungen hatte, weil er die Namen der saudischen Herrscherfamilie so aussprechen konnte, dass man dachte, der gehört dazu - und die Familien waren tatsächlich befreundet. Ich wusste, dass der Vater im Waffen- und im Ölgeschäft war, die Mutter Französin und eigentlich Künstlerin war, dass sie später mit einem anderen Mann eine Kino in Kairo hatte. Dass Rickys private Geschichte dann letztlich eine geringe Rolle spielte, hat aber auch mit dem Arbeitsprozess am Film zu tun. Man hätte sehr sehr viele Türen aufmachen können, da würde einem der Kopf schwirren. Letztlich erzählen wir diese Dinge nur in Bruchstücken, in einer Art filmischer Improvisation.

Wie haben Sie den Film am Ende doch finanzieren können? Hat die Berlinale geholfen?
Nein, es gibt ja keine Filmförderung durch die Berlinale. Das Kollektiv b_books - ein Buchladen und Verlag, den ich 1996 mitgegründet habe - hat den Film schließlich ermöglicht. Außerdem wollten die Beteiligten ihn unbedingt, und viele Freunde haben unentgeltlich mitgearbeitet.

Kommt Ricky Shayne zur Premiere?
Ja klar. Er ist sehr aufgeregt.