Designwoche und Möbelmesse in Mailand

Jeder Besucher erlebt einen anderen Salone del Mobile

QR-Codes am Eingang, Drachen im Kloster, Urnen in Hundeknochenform: Die Mailänder Designwoche und Möbelmesse sind so widersprüchlich wie faszinierend. Gestaltung wird hier zu Politik, zu Provokation – oder darf einfach schön sein

Wenn es ein Wort für diese Ausgabe des Salone del Mobile geben soll, dann ist es "QR-Code". Denn den gibt es bei den meisten Ausstellungen, um sich darüber mit Name und E-Mail-Adresse zu registrieren und so Eintritt zu erhalten. Das ist aber schon alles, was sich allgemein über die größte und wichtigste Möbelmesse der Welt und ihre wirklich unzähligen Ausstellungen im Rahmen des Fuorisalone in Mailand sagen lässt, denn jeder Besucher erlebt einen anderen Salone. Je nachdem, was man schafft, je nachdem, wo man sich anstellt.

Wie immer lang sind die Schlangen vor den großen Luxushäusern, die zur Designweek zeigen. Gucci hat Ippolito Pestellini Laparelli und sein Studio 2050+ beauftragt, die diesjährige Ausstellung zu kuratieren. Die Teilnehmenden sollten sich mit Bambus beschäftigen, und so wurden zum Beispiel Kite Club aus den Niederlanden eingeladen. Maurice Scheltens, Liesbeth Abbenes und Bertjan Pot beschäftigen sich mit dem Drachenfliegen als sozialem Ritual und ließen Drachen durch das alte Kloster fliegen.

Auch dabei: Dima Srouji, die in London lebende palästinensische Architektin, zeigt korbähnliche Objekte, für die sie Materialien zum Beispiel in Palästina sammelte, Objekte, an denen sie kulturelles Erbe verhandeln möchte und damit eine für eine Modemarke doch recht politische Arbeit unterbringen konnte.

Keine große Lust auf Sterben

Gar nicht politisch, aber handwerklich interessant sind die Teekannen, die Künstler wie Dan McCarthy und Rosemarie Trockel für Loewe gestaltet haben. Ersterer hat lustige Figuren auf seine Kanne gesetzt, während Trockels Version Eimergröße hat. Auch Architekt David Chipperfield hat mitgemacht und eine eher konservative Version in Nachtblau erdacht. 


Chipperfield ist ebenfalls bei der Ausstellung der italienischen Marke Alessi vertreten. Der britische Architekt hat wie Philippe Starck und Daniel Libeskind hier Urnen gestaltet. Starck hat seiner Urne die Form eines Hundeknochen gegeben. Der Franzose hat das Projekt "The Last Pot" auch initiiert, es macht leider auch keine große Lust auf Sterben.

Um den Tod geht es auch bei Dropcity in der Nähe des Bahnhofs. Der Ort für Architektur und Design zeigt in diesem Jahr die beste Ausstellung. "Prison Times - Spatial Dynamics of Penal Environments" ist ein Forschungsprojekt, das sich mit Bedingungen des Strafvollzugs auseinandersetzt. Neben Videoarbeiten, die sich etwa mit racial profiling oder dem Einsatz harter Medikamente im Strafvollzug oder der Architektur von Gefängnissen beschäftigen, werden hier Gefängnismöbel gezeigt: tablettartiges Geschirr, Besteck, das nicht spitz ist, Waschbecken kombiniert mit Toiletten, Bänke mit Ankettungsmöglichkeit, Betten mit Fixierungsvorrichtungen. 

Eindrücklich wird hier die Grausamkeit des industriellen Gefängniskomplexes sichtbar, die Rolle von Design erfahrbar. Und natürlich fragt man sich, was Bestrafung bedeutet und wie wirksam sie eigentlich ist.

Auf der Messe geht es weniger komplex zu

Weniger komplex geht es naturgemäß auf der Messe zu. Wobei man auch hier neben Sofas, unter denen sich Laufbänder verstecken lassen, oder Duftkerzen aus Thailand durchaus politisch werden kann. Zum Beispiel bei der Präsentation der Studierenden des Studiengangs Produktdesign der Berliner Universität der Künste. Semesterübergreifend hat man sich zusammengetan, um nach ein paar Jahren Pause wieder auf dem Salone-Satellite zu zeigen – selbstorganisiert und zum großen Teil selbstfinanziert muss man dazu sagen. 36 Entwürfe sind angereist, auffällig viele Glasarbeiten. Reflektieren sollen sie die Position von Design und seine Beziehung zu Produktion und Konsum. Vereint seien sie auch in ihren Visionen für eine neue Welt. So, so! Dabei sind zum Beispiel Gläser von Toni Müller, die durch schmale Öffnungen und Kugeln darin das Hinunterstürzen von alkoholartigen Getränken erschweren. Ein zusammenklappbarer Hocker von Anton Oberländer, der an Hausflurwänden aufgehängt, Nachbarschaftsaustausch fördern soll, oder ein queerfreundliches Klo mit ansprechenden Rundungen und aprikosenhafter Farbe von Gregor Jahner. 

Beim Besuch am Stand auf der Messe war den Studierenden auch wichtig zu erwähnen, dass durch die geplanten Bildungskürzungen in Berlin zukünftig nicht nur die Präsentation deutschen Nachwuchsdesigns auf der wichtigsten Designmesse der Welt unmöglich sein wird. Sie sehen auch die Lehre in Gefahr, wenn an Professuren und Werkstätten gespart werden muss.

Hoffnungsvoller stimmt da das neue Projekt von Konstantin Grcic, der mit 25 KG (Initialen? Gewichtsangabe?) eine neue Plattform für "radical design" gegründet hat, bei der Entwürfe veröffentlicht werden sollen, die "sonst außerhalb des Ateliers keine Chance hätten". In Mailand zu sehen waren zwei Sitzgelegenheiten aus gebogenen Rohren, die sehr unprätentiös rumstanden, was man nun wirklich nicht von allen Möbeln beim Salone sagen kann.