Möbelmesse in Mailand

Die schönste Woche des Jahres

Auf der Mailänder Designwoche gab es diesmal nicht den einen Entwurf, die eine Ausstellung, auf die sich alle einigen konnten. Stattdessen waren auf der Möbelmesse Salone del Mobile und den zahlreichen Parallelveranstaltungen viele Highlights zu sehen. Ein Thema dominierte aber doch: Nachhaltigkeit

Maurizio Stocchetto sitzt am Mittwochmittag in seiner Bar Basso und isst zufrieden ein Cornetto. Die Stimmung sei spitze auf dem diesjährigen Salone del Mobile, sagt er, öfter hätten seine Gäste gesagt, dass es ein bisschen so sei wie früher, also vor der Pandemie. Die Party vor der Bar Basso am Abend zuvor ging jedenfalls wieder bis spät in die Nacht, die Straße vor der Bar war so voll, das kaum ein Auto durchkam, und die leeren Becher die umstehenden Autodächern füllten.

Auch das Mailänder Stadtviertel Brera mit seinen vielen Galerien und Showrooms war in der vergangenen Woche so gut besucht, dass die Menschen kaum noch ihre Einkaufstaschen entlangtragen konnten. Vor Bottega Veneta wartete die Schlange um zwei vom italienischen Designer Gaetano Pesce gestaltete Handtaschen zu sehen (Preis der einen: 30.000 Euro), aber eigentlich warten sie vor allem darauf, eine signaturegrüne Papiertasche der Modemarke zu bekommen, mit Pesce-Poster darin.


Vor Hermes bilden sich beim Cocktailempfang links und rechts vom Eingang Schlangen, aber nur wer sich durch die Mitte drängelt – und mit den richtigen Leuten da ist –, kommt hinein, um vom Catering der Instagram-Kochkünstlerin Laila Gohar zu probieren, für das unter anderem kleine Tomaten oder Mozzarellakugeln auf eine Säule gespießt wurden.


Auch die Messe war schon am ersten Tag so voll, dass sich überall Menschentrauben bildeten, und Giorgia Meloni lieber nicht den Hauptgang zwischen den Hallen nahm, um ihre genervte Mundhaltung darzubieten, weil scheinbar nicht mal die Schönheit des italienischen Designs sie zufrieden stellen kann.

Also die Mailänder Designwoche, die schönste Woche des Jahres, findet wieder im April statt. Auch China und USA sind zurück. Über 30.000 Besucherinnen und Besucher allein auf der Messe. Aber um das gleich zu sagen, es gab diesmal nicht den einen Entwurf, die eine Ausstellung, auf die sich alle einigen konnten. Vielleicht am ehesten noch die Arbeit vom US-Künstler Dozie Kanu für einen Parfüm-Hersteller. In seinem Rattan-Pavillion, spärlich gefüllt mit Archiv-Stücken oder für Mailand angefertigten Arbeiten aus Trommeln und allerhand anderer gefundener Objekte, geht es um Erfahrungen afrikanischer Diaspora und Erinnerung. Vielen hat das gefallen.

Dozie Kanu und Byredo-Gründer Ben Gorham
Courtesy of Byredo

Dozie Kanu und Byredo-Gründer Ben Gorham

Ansonsten hatte fast jeder, mit dem man sprach, eigene Highlights. Die Euroluce, also die Lampenausstellung auf der Messe, die nur alle zwei Jahre stattfindet und noch herausfindet, was mit LED alles anzufangen ist. Ein für den Steinhändler Solid Nature gefertigter, üppiger, blockiger Tisch der niederländischen Designerin Sabine Marcelis. Eine Lampe des jungen deutschen Labels JBNG, ein Sideboard von DS.FA, ebenfalls aus Deutschland, ebenfalls jung, beide auf der Sektion "Salone Satellite" zu sehen, dem Teil der Messe, auf dem Nachwuchsdesigner zeigen. Auch ein Leder aus alten Avocadokernen wurde dort vorgestellt. Den diesjährigen Award des "Satellite" hat aber Honoka gewonnen, eine Gruppe japanischer Produktdesigner, die unter anderem mit 3D-Druck experimentieren und aus recycletem Tatami-Lampen oder Stühle herstellen.

Das Designkollektiv Honoka freut sich über den Satellite-Award
Foto: Salone del Mobile

Das Designkollektiv Honoka freut sich über den Satellite-Award

Auf der in diesem Jahr eher etwas dünnen Alcova-Ausstellung, die dann doch eher mit den Warehouse-Vibes der Location (alte Schlachterei) und Naturwein begeistert, als mit einer stringenten Kuration, gab es Highlights. Etwa der sehr schlank designte One-to-One-Stuhl aus recyceltem Plastik, der als revolutionär verkauft wird, weil er mit weniger Material, weniger Energie hergestellt wurde und weil er ökologisch verpackt wird – flach und in recycelbarem und recyceltem Zellstoff. Und dann kann er auch noch selbst und einfach mit einem Stecksystem zusammengebaut werden.

Auch gut: Die Ergebnisse der jahrelangen Forschung des Luma-Ateliers aus Arles, die mit einem interdisziplinären Team zu regionalen Handwerkstechniken und lokalen Materialien arbeiten und nun die Ergebnisse vorgestellt haben. Regionale Farbstudien, welche Farbe haben Städte und warum? Einsatz von Salz in Türgriffen oder stapelbare Sitzkissen aus Palmwedeln, Baumwolle und Bienenwachs. Nicht nur in Europa, sondern auch zum Beispiel in den arabischen Emiraten fand das Team Vorbilder und nutzt Naturmaterialien für Bau oder Möbel. Für ein Bauprojekt in Arles haben sie Materialien entwickelt und verwendet, die aus einem Radius nicht größer als 70 Kilometer stammen. In ihrem Projekt geht es aber nicht nur um die Materialfrage, sondern auch darum, wie man lokale Strukturen stärken kann, in dem man lokales Handwerk stärkt.

Arbeit in der Meerwassersaline Salin-de-Giraud in der Nähe von Arles
Foto: © Adrian Deweerdt

Arbeit in der Meerwassersaline Salin-de-Giraud in der Nähe von Arles

Um Materialiforschung ging es auch in der Accademia di Belle Arti di Brera. Vivarium heißt das Projekt für das Firmen zusammengestellt wurden, die mit biobasierten Materialien arbeiten. Mycelien oder Abfälle aus der Muschelwirtschaft zum Beispiel. Die Suche nach Materialien der Zukunft, die weniger Abfall produzieren, die auf Klimawandel und Preissteigerungen reagieren, ist also weiter ein großes Thema.

Auch die Prada Frames Talks, ein interdisziplinäres Symposium, das von dem Mailänder Studio Formafantasma organisiert wird und in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand, hat sich dem Abfall gewidmet. "Materials in flux" lautet der Titel und es kamen der Kurator Hans Ulrich Obrist, der sich mit dem Anthropologen Eduardo Kohn über seine Jahre im Amazonas-Gebiet, aber auch über sein neues Buch zu psychedelischen Substanzen unterhalten hat.

Die Archäologin Anna Anguissola von der Universität in Pisa hat einen Vortrag über die Bedeutung und Nutzung von Abfall im alten Pompeji gehalten. Muscheln, die als Dekoration an Wänden dienten, zerbrochene Amphoren, die zu Terrazzo-Böden wurden und welchen Wert Bauschutt hatte. Die Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina und der Architekt und Autor Mark Wigley, haben darüber gesprochen, wie die Angst vor Bakterien die Bauweise und Architektur verändert hat und immer reinlicher machte. Die Vermeidung von Bakterien und Mikroben, sagen sie, sei gefährlicher als der Klimawandel, da sie uns unter anderen immer anfälliger für Krankheiten macht. Sie plädieren daher für eine probiotische Architektur. Pflanzen und Tiere, seien sie auch noch so klein, sollten um uns herum leben und bleiben. Luft und Leben soll herein in die Häuser. "Inhabit the unwanted!", fordern sie.

Einen ähnlich forderungsreichen Vortrag haben anschließend die Architekten Olaf Grawert und Arno Brandlhuber vom Studio bplus gehalten, die die Wegwerf-Kultur bei Häusern anprangern und im Sinne des Klimaschutzes fordern, bestehende Bauten zu nutzen, anstatt sie abzureißen. Sie sagen, dass günstige Besteuerung bei Neubauten oder bei Banken, die Neubauten bei Kreditvergabe bevorzugten, dies verhindern und haben deswegen eine Unterschriften-Kampagne vorgestellt, mit der sie eine Gesetzesänderung der EU erwirken wollen. Mit der Website HouseEurope.eu gibt es eine entsprechende Platform, mit der sie mehr Initiatoren gewinnen wollen.


Und dann, nach der Nacht vor der Bar Basso geht man natürlich noch in die Triennale Milano, das Museum, das nie enttäuscht (außer die dritte Ettore-Sottsass-Ausstellung "La Parola", die kann man sich wirklich sparen), und sieht die Entwürfe des Mailänder Architekten Angelo Mangiarotti, seine perfekten Stühle, Lampen, eine beeindruckende Kirche, für die man vielleicht sogar gläubig werden würde. Die Stimmung war wirklich super auf dem diesjährigen Salone.