Krypto-Kunst, NFTs und die "Power100"

Science-Fiction für einen sterbenden Planeten (3)

Kunst wird in der Krypto-Welt endgültig zur Wertmarke, und was demokratisch und transparent sein soll, führt mal wieder zu monolithischer Machtkonzentration. Ein Jahresrückblick von Oliver Koerner von Gustorf, Teil 3

Der Kunstkritiker Kolja Reichert zeigt in seinem Buch "Krypto-Kunst" auf, wie komplex das Thema ist. Blockchain, das ist auch eine Technologie die Flüchtlingen ohne Kontozugang erlaubt, Bankgeschäfte über das Internet abzuwickeln, die Ländern wie Argentinien oder Venezuela hilft, sich mit Bitcoin über Inflationen zu retten, oder vielen Menschen im globalen Süden ermöglicht, Armut zu überwinden. Immer wieder spricht Reichert das "utopische" Potential der Krypto-Kunst an: "Utopist:innen sehen NFTs als unverzichtbare Bausteine neuer Ökosysteme an, die nicht von einzelnen Unternehmen kontrolliert werden, sondern durch eine Vielfalt von Plattformen und Geschäftsmodellen, die Menschen mehr Autonomie und Selbstbestimmung erlauben."

Zugleich attestiert er aber: "Mit vier dominanten Plattformen hat sich auf dem NFT-Markt schnell ein Spiegelbild der Machtkonzentration auf dem Kunstmarkt etabliert: Die Megagalerien Gagosian, Zwirner, Pace und Hauser & Wirth hier – Nifty Gateway, Foundation, OpenSea und Super Rare dort." Es geht also nicht, wie in "ArtReview" behauptet, um "chaotische, kreative Unsicherheit" sondern schon wieder um Monopole, Marken, Claims. Interessanterweise werden dafür monolithische Machtkonzentrationen geschaffen, obwohl die Technologie dezentralisiert ist und eigentlich dazu dienen sollte, diese zu umgehen und für mehr Transparenz und Diversität zu sorgen.

Stattdessen wird schon bald der Besitz von Kunstwerken in ihrer Krypto-Form nicht nur metaphorisch wie ein Schlüssel zu bestimmten exklusiven Szenen und Events funktionieren, sondern ganz buchstäblich Türen öffnen. "Token", das bedeutet auf Deutsch so etwas wie Wertmarke. Kunst wird in der Krypto-Welt wirklich zur Wertmarke, die den Einlass in den Club garantiert. Anstatt sich mit einem Namen oder Passwort einzuloggen, wird in der Krypto-Welt deine wallet, deine digitale Börse, gecheckt, ob da begehrte Token drin sind, etwa ein CryptoPunk.

Punks für Millionen

Die berühmten CryptoPunks gehören zu den ganz frühen NFT-Kunstwerken und wurden bereits 2017 von John Watkinson & Matt Hall aka Larva Lab auf der Etherum-Blockchain lanciert. Es gibt 10.000 CryptoPunks, die alle durch den Einsatz der Blockchain-Technologie digital limitiert wurden. Jeder von ihnen ist einzigartig und wurde algorithmisch durch einen Computercode generiert, so dass keine zwei Charaktere exakt gleich sind und einige Eigenschaften seltener sind als andere. Ursprünglich wurden sie kostenlos veröffentlicht und konnten von jedem und jeder mit einer Ethereum-Wallet angefordert werden. Das Interesse war anfangs lau, doch dann begann sich eine potente Sammel-Szene zu bilden.

Inzwischen sind einzelne Punks Millionen von Euro wert, echte Statussymbole. Ein teures Auto, ein Haute-Couture-Kleid können nur von ein paar Menschen bewundert werden. Man kann sein Gemälde von Elizabeth Peyton nicht mit zur Party nehmen, um anzugeben. Das Tolle an Krypto Kunst ist, dass man seinen exklusiven CryptoPunk als Twitter-Profilbild nutzen kann, Zigtausende werden wissen, dass einem dieses begehrte NFT-Werk auch gehört. Im Frühjahr wurden neun der pixeligen Avatare aus dem Besitz von Larva Lab beim Auktionshaus Christie‘s für fast 17 Millionen US-Dollar versteigert. Doch das war nur der Einstieg.

Ebenfalls im Frühjahr 2021 kollaborierte Larva Lab mit dem Designteam von RTFKT, gesprochen "Artefakt". Das Unternehmen entwickelt virtuelle Turnschuhe und Sammlerstücke und wurde erst vor wenigen Tagen von Nike übernommen, die mit RTFKT ins Metaverse wollen. Gemeinsam mit Larva Lab launchte RTFKT eine Kollektion von 10.000 Sneaker-NFTs, die man sich auch anfertigen lassen kann. Jeder Schuh-Entwurf korrespondiert mit einem CryptoPunk. Der Witz: nur der Besitzer oder die Besitzerin des fälschungssicheren  Avatars konnten auch den dazugehörigen Sneaker für einen begrenzten Zeitraum erwerben.

CryptoPunks sind die Eintrittskarten in exklusive Communities

Vielleicht kauft jemand bei der nächsten Aktion für vier Millionen Dollar einen CryptoPunk, nur um den Turnschuh zu besitzen. Diese Realität muss man weiterdenken. In seinem Podcast macht Teo Pham, Experte für digitale Geschäftsmodelle und Marketing, eine Prognose: "In unserer digitalen Welt spielen virtuelle Assets eine immer größere Rolle. Und NFTs wie die CryptoPunks sind die Eintrittskarten in exklusive Communities mit einzigartigen Privilegien." Man könnte also einen CryptoPunk-Club gründen, den exklusivsten Club der Welt, dem nur die Besitzerinnen und Besitzer der NFTs angehören, die dann auch andere exklusive Angebote bekommen: Konzerte, Backstage Partys, Raumfahrten, Evakuierungen von der Erde. Kommt einem bekannt vor, oder?

NFTs sind "Building Blocks" für unterschiedliche Welten, die noch etwas verstreut wirken, aber bald zusammenkommen: Kunst, Mode, digitale Güter, Gaming, Krypto-Währungen, Metaverse. Das heißt also, dass ich in naher Zukunft nur, wenn ich in Besitz eines bestimmten Tokens bin, an bestimmten digitalen oder analogen Events teilnehmen darf, bestimmte Produkte erhalte, die sowohl digital als auch in der physischen Welt einsetzbar sind. Das wird auch den Alltag von uns allen betreffen, ganz egal, wie prekär der Zustand der Welt noch wird. Dafür erfindet Pham ein Beispiel: Dass etwa eine Firma wie Netflix ihre Mitgliedschaften als NFTs unter die Leute bringt, limitiert als Edition.

Gibt es 250 Millionen Mitgliedschaften und ich bin Nummer 250.000.001, muss ich jemanden finden, der mir seine NFT-Mitgliedschaft verkauft. Das treibt die Spekulation an, ein reger Handel beginnt. Aufgrund der steigenden Nachfrage bringt Netflix verschiedene NFT-Versionen heraus, Silber, Gold, Platin, die wieder alle an neue hybride Produkte und Privilegien gebunden sind. In dieser Science-Fiction-Erzählung, die gerade jetzt beginnt, werden wir alle Teil eines Metaverse-Game-Universums, eines "Life Action-Role-Plays" (LARP), in dem alles gehandelt, wo mit jeder Form von digitalen Daten spekuliert werden kann und muss.

Die Zugewinne dienen nicht alle gleichermaßen

Das wird natürlich die Gesellschaft grundlegend verändern. Status und Klassenzugehörigkeit können sich blitzschnell ändern, mit den Kursen von Krypto-Währungen oder den irrsten Sammel-Hypes. Im Metaverse kann ich meine Identität selbst kuratieren und vermarkten. "Der utopische Freibeutergeist der Krypto-Kultur wird dadurch befördert, dass sich alle Inhaber:innen derselben Blockchain-Währung demselben Schicksal verschreiben", schreibt Kolja Reichert. Die Zugewinne dienten allen, dennoch nicht allen gleichermaßen. Denn die astronomischen Gefälle der Krypto-Vermögen sorgen dafür, dass frühe Krypto-Inverstorinnen und -Investoren in einem kaum vorstellbaren Maße bevorteilt würden. Reicherts Fazit zum Thema Utopie: "Die Krypto-Kultur ist eine knallharte Plutokratie." Man könnte auch sagen, Herrschaft der Reichen, die ja gerade die Welt zerstört.

Als Pop-Omi frage ich mich wie ob ich mit dieser "Ready Player One"-Story noch mitkomme, mitkommen will. Ich weiß, das Digitale wird die physische Welt durchdringen und etwas völlig Neues erzeugen. Da gibt es keinen Weg zurück zu einem vermeintlich intakten Menschsein oder alten Vorstellungen von Zivilisation und Natur. Das ist wirklich spannend. Doch ich würde mir lieber Dreck vom Kreuzberger Oranienplatz reinlöffeln und mir die Augen mit Essstäbchen ausstechen, als in Zuckerbergs Metaverse zu landen.

Hier ist meine Horrorvision: Meine letzten Daten-Token habe ich verkauft, ein schlauerweise vor 20 Jahren gekauftes NFT von Simon Fujiwaras "Who The Bear"-Merchandising kann ich versteigern – und bekomme Gottseidank noch einen Platz in der Sterbestation in einem Container in der Wagenburg. Die Schwester, die heute einen Hamster-Avatar gewählt hat, lacht über meine altmodische VR-Brille. Aber ich hatte doch keine Coins für Implantate! Sie spielt mir "Coming Home", die preiswerteste Metaverse-Sterbeversion ein, während sie die Medikamente vorbereitet. Ich bin in einem der alten Horizon-Home-Bungalows. Die Innereinrichtung eine Mischung aus Hotelzimmer und meinen Möbeln und Bildern der letzten 30 Jahre. Über das  Boxspringbett hat jemand ein altes Bild des Krypto-Künstlers Pak gehängt, ein sich drehendes Möbiusband, das ein sich windendes Unendlichkeitszeichen formt. Das soll beruhigen. Vor den Glasfenstern eine Landschaft, die aussieht wie ein Screen Saver, eine irische Küste vielleicht, oder etwas in Neuseeland. Ich kann das Meer riechen. In der Ecke steht der berühmte nordische Midcentury-Kamin aus dem Zuckerberg-Video, damals, als aus Facebook Meta wurde. Ein Feuerchen lodert. Meine Hunde, alle die ich je hatte, singen "You’ll Never Walk Alone".

Die ewige Home-Office-Hölle mit Cupcakes

Wer hat sich das nur ausgedacht? Und dann tauchen wie aus dem Nichts Menschen auf, mit denen ich in den letzten 30 Jahren zu tun hatte, Freunde, Familie, Lebende und Tote, auch völlig Unbekannte. Sie sehen wie Pixar-Figuren oder diese Babykopf-Facebook Avatare aus. Und dann finde ich langsam heraus, dass dies eine ewige Home-Office-Hölle mit Cupcakes und Grillvideos, Regenbogenflaggen und Jacuzzi Pools ist. Zum Sterben darf ich sogar die Jogginghose anbehalten und den anderen Toten im Büro zuwinken.

Ich möchte nicht in dieser spießigen, Corporate-Krypto-Welt sterben. Ich möchte lieber in der aufgewühlten, kontaminierten, kaputten Science-Fiction-Welt von Donna Haraway zu Kompost werden. Ich möchte in einer Welt kinship finden, die nicht mehr auf den Menschen zentriert ist. Ich möchte auf eine Zukunft hoffen, in der Familien keine Kinder kriegen müssen, sondern sich frei durch gegenseitige Fürsorge formieren, bedürftige Tiere oder Menschen adoptieren und füreinander sorgen. Da ist angesichts dieser völlig zusammengeschusterten Power-100-Listen trotzdem noch ein Rest von Hoffnung: Dass auch andere, weniger eskapistische Formen von Science-Fiction in der Kunstwelt weiterentwickelt und erzählt werden können.

Ich wünsche mir eine Zukunft, in der die Kinder meiner Großnichten und Neffen wie in Haraways kollektiv erfundenen "Camille Stories" mehr als zwei Eltern haben und die Gene von aussterbenden Schmetterlingen in sich tragen. Das hört sich noch verrückt an, ist aber tatsächlich geerdeter als alle Stories, die gerade von Tech-Milliardären und auf dem Kunstmarkt erfunden werden.